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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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liegt darin, daß vergessen wird, wie der Vogel -- denke nur
an unsere Chlamydodera oben -- ja bunte Sachen (Federn,
Beeren) sammelt auch unabhängig vom Männchen und seiner
Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der australischen
Liebeslaube wirft diese ganze Ecke des Arguments um: der
Vogel hat eben überhaupt Freude am Bunten, am ästhetisch
Hübschen -- und weil er sie ohnehin hat, hieße es in der
Liebeswahl einen Sinn bei ihm ausschalten, wollte man von
der ästhetischen Wahl hier absehen. Erdrückend sind aber die
Beweise wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und
Geistesanlagen ausschaltet, sondern im Gegenteil alles auf die
denkbar höchste Höhe schraubt.

Der dunkle Punkt dagegen scheint mir darin zu stecken,
daß diese Ansicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬
stehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus
Kraftüberschuß im Liebesstadium wirklich erklärt. Das "Wie?"
wird hier einfach mit einem Wort übersprungen.

Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe
eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichsam bringt. Wie der
Blick feuriger wird, so wird auch die Haut lebhafter durch¬
blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das
Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬
zeit vielleicht selber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei
Vögeln im geschützten Urwald, wo der Kampf ums Dasein
wenig eine Rolle spielt. Und zumal gewisse Federn der be¬
sonders hoch geheizten Geschlechtsgegend. Ein solches verliebtes
Vöglein könnte ganz gut stärkere, längere Schwanzfedern als
"Hochzeitskleid" entwickeln. Ja ich will sogar zugeben, daß
-- in einer mir im Engeren allerdings schon unbekannten
Weise -- diese verschärften Reize gewisse chemische Wirkungen
derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend
eine veränderte Farbe aufgetreten wäre. Eine früher braune
Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬
fieber rot geworden sein.

liegt darin, daß vergeſſen wird, wie der Vogel — denke nur
an unſere Chlamydodera oben — ja bunte Sachen (Federn,
Beeren) ſammelt auch unabhängig vom Männchen und ſeiner
Kraft. Jede knallrote Beere und blaue Feder an der auſtraliſchen
Liebeslaube wirft dieſe ganze Ecke des Arguments um: der
Vogel hat eben überhaupt Freude am Bunten, am äſthetiſch
Hübſchen — und weil er ſie ohnehin hat, hieße es in der
Liebeswahl einen Sinn bei ihm ausſchalten, wollte man von
der äſthetiſchen Wahl hier abſehen. Erdrückend ſind aber die
Beweiſe wieder, daß die Liebe wahrlich keine Sinne und
Geiſtesanlagen ausſchaltet, ſondern im Gegenteil alles auf die
denkbar höchſte Höhe ſchraubt.

Der dunkle Punkt dagegen ſcheint mir darin zu ſtecken,
daß dieſe Anſicht noch durchaus nicht ohne weiteres die Ent¬
ſtehung etwa der Prachtfarben eines Königsparadiesvogels aus
Kraftüberſchuß im Liebesſtadium wirklich erklärt. Das „Wie?“
wird hier einfach mit einem Wort überſprungen.

Gut, ich glaube gern, daß die Liebeszeit alles im Leibe
eines Vogelmännchens zur Hochglut gleichſam bringt. Wie der
Blick feuriger wird, ſo wird auch die Haut lebhafter durch¬
blutet werden. Ich will zugeben, daß das als Reiz auf das
Wachstum der Federn wirkt. Die Federn werden zur Liebes¬
zeit vielleicht ſelber dicker, größer, üppiger werden. Zumal bei
Vögeln im geſchützten Urwald, wo der Kampf ums Daſein
wenig eine Rolle ſpielt. Und zumal gewiſſe Federn der be¬
ſonders hoch geheizten Geſchlechtsgegend. Ein ſolches verliebtes
Vöglein könnte ganz gut ſtärkere, längere Schwanzfedern als
„Hochzeitskleid“ entwickeln. Ja ich will ſogar zugeben, daß
— in einer mir im Engeren allerdings ſchon unbekannten
Weiſe — dieſe verſchärften Reize gewiſſe chemiſche Wirkungen
derart in den Federn hervorgebracht haben könnten, daß irgend
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Feder mag meinetwegen, wie, weiß ich nicht näher, im Hochzeits¬
fieber rot geworden ſein.

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/402>, abgerufen am 28.04.2024.