Was man zunächst nur bestritt, war der verknüpfende Gedankengang des Alten von Down. Darwin war in seiner Zuchtwahltheorie so vielen zu "mechanisch," Allzugrob und roh durch reine Kampf- ums Dasein-Auslese der Passendsten sollte die große Entwickelungslinie sich dahin gedrängelt haben! Jetzt umgekehrt die ästhetische Auslese bei der Liebe, dieses "Sichvermehren der Wohlgefälligsten", wie einer die Sache gut bezeichnet hat, war so und so viel anderen wieder zu "seelisch", zu "menschenähnlich", zu sehr Gehirnarbeit des In¬ dividuums.
Manche dieser Argumente fallen gleich wie windige Spreu ab. So das: der Mensch habe allein Ästhetik, Freude an Schönem, das Tier nicht. Warum? Ja weil der Mensch halt "Mensch" sei, himmelhoch von jedem Tier getrennt. Das richtet sich von selbst durch Darwins weitere, umfassendere Tier- und Menschanschauung, von der wir keinerlei Grund haben, auch nur ein Titelchen nachzugeben. Diesen Standpunkt brauche ich dir nicht zu widerlegen, nachdem wir uns jetzt zwei Bände lang unterhalten haben. Zieh dich nackt aus, be¬ frage deinen Leib, sage dir, daß Leib und Geist Eines sind, und frage nichts mehr ....
Weiter aber. Die ganze Pracht des Paradiesvogel- Männchens (und sonst ad infinitum bei Tieren) sei, heißt es, ein unmittelbarer "Überschuß von Kraft", ausgemünzt im Liebesstadium mit seiner Entlastung von Kampfessorge bei Tieren, die ohnehin im Daseinskampfe schon stark entlastet. Das Weibchen soll stets nur das aufdringlichste, auffälligste, üppigste Männchen wählen, das kräftigste eben, dessen Kraft es an dieser Üppigkeit merkt. Besonderes Wohlgefallen aber an dieser oder jener Farbe oder am feinen Rhythmus des Gesanges soll keinerlei Rolle dabei spielen, also nichts eigent¬ lich Ästhetisches.
Diese Meinung, mit viel Energie vorgeführt, hat einen dunkeln Punkt und einen direkt falschen Punkt. Der falsche
25
Was man zunächſt nur beſtritt, war der verknüpfende Gedankengang des Alten von Down. Darwin war in ſeiner Zuchtwahltheorie ſo vielen zu „mechaniſch,“ Allzugrob und roh durch reine Kampf- ums Daſein-Ausleſe der Paſſendſten ſollte die große Entwickelungslinie ſich dahin gedrängelt haben! Jetzt umgekehrt die äſthetiſche Ausleſe bei der Liebe, dieſes „Sichvermehren der Wohlgefälligſten“, wie einer die Sache gut bezeichnet hat, war ſo und ſo viel anderen wieder zu „ſeeliſch“, zu „menſchenähnlich“, zu ſehr Gehirnarbeit des In¬ dividuums.
Manche dieſer Argumente fallen gleich wie windige Spreu ab. So das: der Menſch habe allein Äſthetik, Freude an Schönem, das Tier nicht. Warum? Ja weil der Menſch halt „Menſch“ ſei, himmelhoch von jedem Tier getrennt. Das richtet ſich von ſelbſt durch Darwins weitere, umfaſſendere Tier- und Menſchanſchauung, von der wir keinerlei Grund haben, auch nur ein Titelchen nachzugeben. Dieſen Standpunkt brauche ich dir nicht zu widerlegen, nachdem wir uns jetzt zwei Bände lang unterhalten haben. Zieh dich nackt aus, be¬ frage deinen Leib, ſage dir, daß Leib und Geiſt Eines ſind, und frage nichts mehr ....
Weiter aber. Die ganze Pracht des Paradiesvogel- Männchens (und ſonſt ad infinitum bei Tieren) ſei, heißt es, ein unmittelbarer „Überſchuß von Kraft“, ausgemünzt im Liebesſtadium mit ſeiner Entlaſtung von Kampfesſorge bei Tieren, die ohnehin im Daſeinskampfe ſchon ſtark entlaſtet. Das Weibchen ſoll ſtets nur das aufdringlichſte, auffälligſte, üppigſte Männchen wählen, das kräftigſte eben, deſſen Kraft es an dieſer Üppigkeit merkt. Beſonderes Wohlgefallen aber an dieſer oder jener Farbe oder am feinen Rhythmus des Geſanges ſoll keinerlei Rolle dabei ſpielen, alſo nichts eigent¬ lich Äſthetiſches.
Dieſe Meinung, mit viel Energie vorgeführt, hat einen dunkeln Punkt und einen direkt falſchen Punkt. Der falſche
25
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0401"n="385"/><p>Was man zunächſt nur beſtritt, war der verknüpfende<lb/>
Gedankengang des Alten von Down. Darwin war in ſeiner<lb/>
Zuchtwahltheorie ſo vielen zu „mechaniſch,“ Allzugrob und roh<lb/>
durch reine Kampf- ums Daſein-Ausleſe der Paſſendſten ſollte<lb/>
die große Entwickelungslinie ſich dahin gedrängelt haben!<lb/>
Jetzt umgekehrt die äſthetiſche Ausleſe bei der Liebe, dieſes<lb/>„Sichvermehren der Wohlgefälligſten“, wie einer die Sache<lb/>
gut bezeichnet hat, war ſo und ſo viel anderen wieder zu<lb/>„ſeeliſch“, zu „menſchenähnlich“, zu ſehr Gehirnarbeit des In¬<lb/>
dividuums.</p><lb/><p>Manche dieſer Argumente fallen gleich wie windige Spreu<lb/>
ab. So das: der Menſch habe allein Äſthetik, Freude an<lb/>
Schönem, das Tier nicht. Warum? Ja weil der Menſch<lb/>
halt „Menſch“ſei, himmelhoch von jedem Tier getrennt. Das<lb/>
richtet ſich von ſelbſt durch Darwins weitere, umfaſſendere<lb/>
Tier- und Menſchanſchauung, von der wir keinerlei Grund<lb/>
haben, auch nur ein Titelchen nachzugeben. Dieſen Standpunkt<lb/>
brauche ich dir nicht zu widerlegen, nachdem wir uns jetzt<lb/>
zwei Bände lang unterhalten haben. Zieh dich nackt aus, be¬<lb/>
frage deinen Leib, ſage dir, daß Leib und Geiſt Eines ſind,<lb/>
und frage nichts mehr ....</p><lb/><p>Weiter aber. Die ganze Pracht des Paradiesvogel-<lb/>
Männchens (und ſonſt <hirendition="#aq">ad infinitum</hi> bei Tieren) ſei, heißt<lb/>
es, ein unmittelbarer „Überſchuß von Kraft“, ausgemünzt im<lb/>
Liebesſtadium mit ſeiner Entlaſtung von Kampfesſorge bei<lb/>
Tieren, die ohnehin im Daſeinskampfe ſchon ſtark entlaſtet.<lb/>
Das Weibchen ſoll ſtets nur das aufdringlichſte, auffälligſte,<lb/>
üppigſte Männchen wählen, das kräftigſte eben, deſſen Kraft<lb/>
es an dieſer Üppigkeit merkt. Beſonderes Wohlgefallen aber<lb/>
an dieſer oder jener Farbe oder am feinen Rhythmus des<lb/>
Geſanges ſoll keinerlei Rolle dabei ſpielen, alſo nichts eigent¬<lb/>
lich Äſthetiſches.</p><lb/><p>Dieſe Meinung, mit viel Energie vorgeführt, hat einen<lb/>
dunkeln Punkt und einen direkt falſchen Punkt. Der <hirendition="#g">falſche</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">25<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[385/0401]
Was man zunächſt nur beſtritt, war der verknüpfende
Gedankengang des Alten von Down. Darwin war in ſeiner
Zuchtwahltheorie ſo vielen zu „mechaniſch,“ Allzugrob und roh
durch reine Kampf- ums Daſein-Ausleſe der Paſſendſten ſollte
die große Entwickelungslinie ſich dahin gedrängelt haben!
Jetzt umgekehrt die äſthetiſche Ausleſe bei der Liebe, dieſes
„Sichvermehren der Wohlgefälligſten“, wie einer die Sache
gut bezeichnet hat, war ſo und ſo viel anderen wieder zu
„ſeeliſch“, zu „menſchenähnlich“, zu ſehr Gehirnarbeit des In¬
dividuums.
Manche dieſer Argumente fallen gleich wie windige Spreu
ab. So das: der Menſch habe allein Äſthetik, Freude an
Schönem, das Tier nicht. Warum? Ja weil der Menſch
halt „Menſch“ ſei, himmelhoch von jedem Tier getrennt. Das
richtet ſich von ſelbſt durch Darwins weitere, umfaſſendere
Tier- und Menſchanſchauung, von der wir keinerlei Grund
haben, auch nur ein Titelchen nachzugeben. Dieſen Standpunkt
brauche ich dir nicht zu widerlegen, nachdem wir uns jetzt
zwei Bände lang unterhalten haben. Zieh dich nackt aus, be¬
frage deinen Leib, ſage dir, daß Leib und Geiſt Eines ſind,
und frage nichts mehr ....
Weiter aber. Die ganze Pracht des Paradiesvogel-
Männchens (und ſonſt ad infinitum bei Tieren) ſei, heißt
es, ein unmittelbarer „Überſchuß von Kraft“, ausgemünzt im
Liebesſtadium mit ſeiner Entlaſtung von Kampfesſorge bei
Tieren, die ohnehin im Daſeinskampfe ſchon ſtark entlaſtet.
Das Weibchen ſoll ſtets nur das aufdringlichſte, auffälligſte,
üppigſte Männchen wählen, das kräftigſte eben, deſſen Kraft
es an dieſer Üppigkeit merkt. Beſonderes Wohlgefallen aber
an dieſer oder jener Farbe oder am feinen Rhythmus des
Geſanges ſoll keinerlei Rolle dabei ſpielen, alſo nichts eigent¬
lich Äſthetiſches.
Dieſe Meinung, mit viel Energie vorgeführt, hat einen
dunkeln Punkt und einen direkt falſchen Punkt. Der falſche
25
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/401>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.