Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Lockenhaar von Jugend an eine einzelne weiße Locke; oder
diese oder jene ganz bestimmte Form von individueller Be¬
sonderheit? Sei es zunächst einmal auch dort bloß so: es
hat eben einer eine mehr rote Feder. Und unsere Wahlmaid
wählt diesen Bewerber gerade aus, sintemalen er am eigenen
Leibe etwas hat, was mehr den roten Beeren als den braunen
gleicht, also den Beeren, die der Paradiesierin einfach netter
vorkommen. Nach demselben Gesetz gefällt ihr jetzt die rötliche
Feder dort besser, und sie wählt diesen Vogel zum Gemahl
unter Zwölfen.

Hundertmal, tausendmal geht das ebenso.

Immer ziehen die Paradiesier mit etwas mehr roten
Federn am Kopfe das Loos der Mischliebe statt der Distance¬
schwärmerei und bringen es im Gegensatz zu allen anderen zur
Gründung einer Familie mit entsprechender Dauerliebe.

Nun fangen gewisse dunkle Vererbungsgesetze an, mit¬
zuarbeiten. Die Jungen mit roten Federn am Kopfe gewinnen
überhaupt schon von vornherein das Übergewicht. Und zwar
vererbt sich -- hier arbeitet die Vererbung allerdings ganz in
der dunklen Tiefe -- die rote Federfarbe, die ja bei den
Männchen stets ausgesucht wurde, mehr und mehr auch bloß
auf diese Männchen und nicht ebenso auf die Weibchen.
Warum? Ja, danach darf man bei "Vererbungsgesetzen" heute
noch nicht fragen. Warum entstehen überhaupt Männchen und
Weibchen? Warum mehr Männchen als Weibchen? Lassen
wir auch diese Frage hier einstweilen beiseite.

Genug: so und so viel Zeit geht hin und es giebt über¬
haupt schließlich nur noch Paradiesvogelmännchen mit roten
Köpfen. Da die Weibchen die Auswahl ins immer Intensivere
getrieben haben, ist das Rot sogar schon ganz grell geworden,
Zinnober, leuchtend, wie gesponnenes Glas so farbenschön.
Aber nun ist's da und weiter läßt sich's nicht mehr treiben.
Wieder sind die Liebeswerber gleich.

Da tritt unter ihnen im Banne jenes ganz leichten,

Lockenhaar von Jugend an eine einzelne weiße Locke; oder
dieſe oder jene ganz beſtimmte Form von individueller Be¬
ſonderheit? Sei es zunächſt einmal auch dort bloß ſo: es
hat eben einer eine mehr rote Feder. Und unſere Wahlmaid
wählt dieſen Bewerber gerade aus, ſintemalen er am eigenen
Leibe etwas hat, was mehr den roten Beeren als den braunen
gleicht, alſo den Beeren, die der Paradieſierin einfach netter
vorkommen. Nach demſelben Geſetz gefällt ihr jetzt die rötliche
Feder dort beſſer, und ſie wählt dieſen Vogel zum Gemahl
unter Zwölfen.

Hundertmal, tauſendmal geht das ebenſo.

Immer ziehen die Paradieſier mit etwas mehr roten
Federn am Kopfe das Loos der Miſchliebe ſtatt der Diſtance¬
ſchwärmerei und bringen es im Gegenſatz zu allen anderen zur
Gründung einer Familie mit entſprechender Dauerliebe.

Nun fangen gewiſſe dunkle Vererbungsgeſetze an, mit¬
zuarbeiten. Die Jungen mit roten Federn am Kopfe gewinnen
überhaupt ſchon von vornherein das Übergewicht. Und zwar
vererbt ſich — hier arbeitet die Vererbung allerdings ganz in
der dunklen Tiefe — die rote Federfarbe, die ja bei den
Männchen ſtets ausgeſucht wurde, mehr und mehr auch bloß
auf dieſe Männchen und nicht ebenſo auf die Weibchen.
Warum? Ja, danach darf man bei „Vererbungsgeſetzen“ heute
noch nicht fragen. Warum entſtehen überhaupt Männchen und
Weibchen? Warum mehr Männchen als Weibchen? Laſſen
wir auch dieſe Frage hier einſtweilen beiſeite.

Genug: ſo und ſo viel Zeit geht hin und es giebt über¬
haupt ſchließlich nur noch Paradiesvogelmännchen mit roten
Köpfen. Da die Weibchen die Auswahl ins immer Intenſivere
getrieben haben, iſt das Rot ſogar ſchon ganz grell geworden,
Zinnober, leuchtend, wie geſponnenes Glas ſo farbenſchön.
Aber nun iſt's da und weiter läßt ſich's nicht mehr treiben.
Wieder ſind die Liebeswerber gleich.

Da tritt unter ihnen im Banne jenes ganz leichten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0396" n="380"/>
Lockenhaar von Jugend an eine einzelne weiße Locke; oder<lb/>
die&#x017F;e oder jene ganz be&#x017F;timmte Form von individueller Be¬<lb/>
&#x017F;onderheit? Sei es zunäch&#x017F;t einmal auch dort bloß &#x017F;o: es<lb/><hi rendition="#g">hat</hi> eben einer eine mehr rote Feder. Und un&#x017F;ere Wahlmaid<lb/>
wählt <hi rendition="#g">die&#x017F;en</hi> Bewerber gerade aus, &#x017F;intemalen er am eigenen<lb/>
Leibe etwas hat, was mehr den roten Beeren als den braunen<lb/>
gleicht, al&#x017F;o <hi rendition="#g">den</hi> Beeren, die der Paradie&#x017F;ierin einfach netter<lb/>
vorkommen. Nach dem&#x017F;elben Ge&#x017F;etz gefällt ihr jetzt die rötliche<lb/>
Feder dort be&#x017F;&#x017F;er, und &#x017F;ie wählt die&#x017F;en Vogel zum Gemahl<lb/>
unter Zwölfen.</p><lb/>
        <p>Hundertmal, tau&#x017F;endmal geht das eben&#x017F;o.</p><lb/>
        <p>Immer ziehen die Paradie&#x017F;ier mit etwas mehr roten<lb/>
Federn am Kopfe das Loos der Mi&#x017F;chliebe &#x017F;tatt der Di&#x017F;tance¬<lb/>
&#x017F;chwärmerei und bringen es im Gegen&#x017F;atz zu allen anderen zur<lb/>
Gründung einer Familie mit ent&#x017F;prechender Dauerliebe.</p><lb/>
        <p>Nun fangen gewi&#x017F;&#x017F;e dunkle Vererbungsge&#x017F;etze an, mit¬<lb/>
zuarbeiten. Die Jungen mit roten Federn am Kopfe gewinnen<lb/>
überhaupt &#x017F;chon von vornherein das Übergewicht. Und zwar<lb/>
vererbt &#x017F;ich &#x2014; hier arbeitet die Vererbung allerdings ganz in<lb/>
der dunklen Tiefe &#x2014; die rote Federfarbe, die ja bei den<lb/>
Männchen &#x017F;tets ausge&#x017F;ucht wurde, mehr und mehr auch bloß<lb/>
auf die&#x017F;e Männchen und nicht eben&#x017F;o auf die Weibchen.<lb/>
Warum? Ja, danach darf man bei &#x201E;Vererbungsge&#x017F;etzen&#x201C; heute<lb/>
noch nicht fragen. Warum ent&#x017F;tehen überhaupt Männchen und<lb/>
Weibchen? Warum <hi rendition="#g">mehr</hi> Männchen als Weibchen? La&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wir auch die&#x017F;e Frage hier ein&#x017F;tweilen bei&#x017F;eite.</p><lb/>
        <p>Genug: &#x017F;o und &#x017F;o viel Zeit geht hin und es giebt über¬<lb/>
haupt &#x017F;chließlich nur noch Paradiesvogelmännchen mit roten<lb/>
Köpfen. Da die Weibchen die Auswahl ins immer Inten&#x017F;ivere<lb/>
getrieben haben, i&#x017F;t das Rot &#x017F;ogar &#x017F;chon ganz grell geworden,<lb/>
Zinnober, leuchtend, wie ge&#x017F;ponnenes Glas &#x017F;o farben&#x017F;chön.<lb/>
Aber nun i&#x017F;t's da und weiter läßt &#x017F;ich's nicht mehr treiben.<lb/>
Wieder &#x017F;ind die Liebeswerber gleich.</p><lb/>
        <p>Da tritt unter ihnen im Banne jenes ganz leichten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0396] Lockenhaar von Jugend an eine einzelne weiße Locke; oder dieſe oder jene ganz beſtimmte Form von individueller Be¬ ſonderheit? Sei es zunächſt einmal auch dort bloß ſo: es hat eben einer eine mehr rote Feder. Und unſere Wahlmaid wählt dieſen Bewerber gerade aus, ſintemalen er am eigenen Leibe etwas hat, was mehr den roten Beeren als den braunen gleicht, alſo den Beeren, die der Paradieſierin einfach netter vorkommen. Nach demſelben Geſetz gefällt ihr jetzt die rötliche Feder dort beſſer, und ſie wählt dieſen Vogel zum Gemahl unter Zwölfen. Hundertmal, tauſendmal geht das ebenſo. Immer ziehen die Paradieſier mit etwas mehr roten Federn am Kopfe das Loos der Miſchliebe ſtatt der Diſtance¬ ſchwärmerei und bringen es im Gegenſatz zu allen anderen zur Gründung einer Familie mit entſprechender Dauerliebe. Nun fangen gewiſſe dunkle Vererbungsgeſetze an, mit¬ zuarbeiten. Die Jungen mit roten Federn am Kopfe gewinnen überhaupt ſchon von vornherein das Übergewicht. Und zwar vererbt ſich — hier arbeitet die Vererbung allerdings ganz in der dunklen Tiefe — die rote Federfarbe, die ja bei den Männchen ſtets ausgeſucht wurde, mehr und mehr auch bloß auf dieſe Männchen und nicht ebenſo auf die Weibchen. Warum? Ja, danach darf man bei „Vererbungsgeſetzen“ heute noch nicht fragen. Warum entſtehen überhaupt Männchen und Weibchen? Warum mehr Männchen als Weibchen? Laſſen wir auch dieſe Frage hier einſtweilen beiſeite. Genug: ſo und ſo viel Zeit geht hin und es giebt über¬ haupt ſchließlich nur noch Paradiesvogelmännchen mit roten Köpfen. Da die Weibchen die Auswahl ins immer Intenſivere getrieben haben, iſt das Rot ſogar ſchon ganz grell geworden, Zinnober, leuchtend, wie geſponnenes Glas ſo farbenſchön. Aber nun iſt's da und weiter läßt ſich's nicht mehr treiben. Wieder ſind die Liebeswerber gleich. Da tritt unter ihnen im Banne jenes ganz leichten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/396
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/396>, abgerufen am 23.11.2024.