Eines Tages vollzog sich beim Vogel schon ein ganz ähnlicher Umschwung. Statt eines wilden Bewerbervolkes, das sich mit den Schnäbeln hackte, bis die Federn stoben und Blut floß, sah die minnigliche Maid auf einmal rings um sich einen Chor von Liebenden, die hübsche rhythmische Laute hervor¬ brachten, -- sangen. Und der beste Sänger ersang sich die Braut. Der Sinn für ästhetische Reize, ausströmend in der Liebeszeit, wurde dem wählenden Weiblein ein Gradmesser für die Beurteilung der Bewerber und gab schließlich den Aus¬ schlag. Aber auch hier wieder gilt das Gleiche wie früher: nicht allein der Gesang der Nachtigall kommt als ästhetisches Motiv in Betracht. Anderswo, bei anderen Vögeln, hatte der ästhetische Feinsinn sich konzentriert nicht so sehr auf das Ohr, als auf das Auge. Und da jetzt taucht für die Paradies¬ weibchen der Punkt auf, wo sich bei ihnen die Liebeswahl verknotete mit ihrem Schönheitssinn.
[Abbildung]
Da saß das Paradiesierweiblein. Zwölf Paradiesier¬ männlein saßen um es her und bemühten sich um seine Gunst.
In einem solchen Vogelhirnchen vollziehen sich keine verwickelten Denkprozesse. Was kommt, kommt ziemlich auto¬ matisch. Aber es ist, als stecke doch eine tiefste Gedankenlogik gerade erst recht darin. Das Paradiesweiblein findet dank seinem angeborenen Schönheitssinn eine knallrote Beere hübscher als eine kaffeebraune. Da sitzen nun zwölf Männlein um es her. Noch ist, wohlverstanden, auch die Schar dieser Männer da¬ mals gewohnheitsmäßig simpel kaffeebraun. Aber ein einziges Männlein hat auf dem Kopfe zwischen den braunen Federn eine etwas lebhafter gefärbte: nicht mehr so ganz kaffeebraun, sondern etwas mehr schon rotbraun. Einerlei für jetzt, wie das gekommen ist. Warum hat unter uns Menschen hier ein¬ mal einer ein rotes Mal an der Stirn; oder im pechschwarzen
Eines Tages vollzog ſich beim Vogel ſchon ein ganz ähnlicher Umſchwung. Statt eines wilden Bewerbervolkes, das ſich mit den Schnäbeln hackte, bis die Federn ſtoben und Blut floß, ſah die minnigliche Maid auf einmal rings um ſich einen Chor von Liebenden, die hübſche rhythmiſche Laute hervor¬ brachten, — ſangen. Und der beſte Sänger erſang ſich die Braut. Der Sinn für äſthetiſche Reize, ausſtrömend in der Liebeszeit, wurde dem wählenden Weiblein ein Gradmeſſer für die Beurteilung der Bewerber und gab ſchließlich den Aus¬ ſchlag. Aber auch hier wieder gilt das Gleiche wie früher: nicht allein der Geſang der Nachtigall kommt als äſthetiſches Motiv in Betracht. Anderswo, bei anderen Vögeln, hatte der äſthetiſche Feinſinn ſich konzentriert nicht ſo ſehr auf das Ohr, als auf das Auge. Und da jetzt taucht für die Paradies¬ weibchen der Punkt auf, wo ſich bei ihnen die Liebeswahl verknotete mit ihrem Schönheitsſinn.
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Da ſaß das Paradieſierweiblein. Zwölf Paradieſier¬ männlein ſaßen um es her und bemühten ſich um ſeine Gunſt.
In einem ſolchen Vogelhirnchen vollziehen ſich keine verwickelten Denkprozeſſe. Was kommt, kommt ziemlich auto¬ matiſch. Aber es iſt, als ſtecke doch eine tiefſte Gedankenlogik gerade erſt recht darin. Das Paradiesweiblein findet dank ſeinem angeborenen Schönheitsſinn eine knallrote Beere hübſcher als eine kaffeebraune. Da ſitzen nun zwölf Männlein um es her. Noch iſt, wohlverſtanden, auch die Schar dieſer Männer da¬ mals gewohnheitsmäßig ſimpel kaffeebraun. Aber ein einziges Männlein hat auf dem Kopfe zwiſchen den braunen Federn eine etwas lebhafter gefärbte: nicht mehr ſo ganz kaffeebraun, ſondern etwas mehr ſchon rotbraun. Einerlei für jetzt, wie das gekommen iſt. Warum hat unter uns Menſchen hier ein¬ mal einer ein rotes Mal an der Stirn; oder im pechſchwarzen
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Eines Tages vollzog ſich beim Vogel ſchon ein ganz
ähnlicher Umſchwung. Statt eines wilden Bewerbervolkes, das
ſich mit den Schnäbeln hackte, bis die Federn ſtoben und Blut
floß, ſah die minnigliche Maid auf einmal rings um ſich einen
Chor von Liebenden, die hübſche rhythmiſche Laute hervor¬
brachten, — ſangen. Und der beſte Sänger erſang ſich die
Braut. Der Sinn für äſthetiſche Reize, ausſtrömend in der
Liebeszeit, wurde dem wählenden Weiblein ein Gradmeſſer für
die Beurteilung der Bewerber und gab ſchließlich den Aus¬
ſchlag. Aber auch hier wieder gilt das Gleiche wie früher:
nicht allein der Geſang der Nachtigall kommt als äſthetiſches
Motiv in Betracht. Anderswo, bei anderen Vögeln, hatte der
äſthetiſche Feinſinn ſich konzentriert nicht ſo ſehr auf das Ohr,
als auf das Auge. Und da jetzt taucht für die Paradies¬
weibchen der Punkt auf, wo ſich bei ihnen die Liebeswahl
verknotete mit ihrem Schönheitsſinn.
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Da ſaß das Paradieſierweiblein. Zwölf Paradieſier¬
männlein ſaßen um es her und bemühten ſich um ſeine Gunſt.
In einem ſolchen Vogelhirnchen vollziehen ſich keine
verwickelten Denkprozeſſe. Was kommt, kommt ziemlich auto¬
matiſch. Aber es iſt, als ſtecke doch eine tiefſte Gedankenlogik
gerade erſt recht darin. Das Paradiesweiblein findet dank
ſeinem angeborenen Schönheitsſinn eine knallrote Beere hübſcher
als eine kaffeebraune. Da ſitzen nun zwölf Männlein um es
her. Noch iſt, wohlverſtanden, auch die Schar dieſer Männer da¬
mals gewohnheitsmäßig ſimpel kaffeebraun. Aber ein einziges
Männlein hat auf dem Kopfe zwiſchen den braunen Federn
eine etwas lebhafter gefärbte: nicht mehr ſo ganz kaffeebraun,
ſondern etwas mehr ſchon rotbraun. Einerlei für jetzt, wie
das gekommen iſt. Warum hat unter uns Menſchen hier ein¬
mal einer ein rotes Mal an der Stirn; oder im pechſchwarzen
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/395>, abgerufen am 22.11.2024.
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