Ganz noch im Bann dieser Herrlichkeiten schlenderte ich durch den alten, lieben Zwingergarten mit seinen brennend roten Geranienbeeten und seinem Dornröschenzauber inmitten der rasselnden Großstadt. Schlenderte hinüber ins zoologische Museum, das stilvoller als wohl irgend ein zweites seines gleichen, in den Gängen und Pavillons dieses Zwingers seine Heimat hat.
Es hat das vornehme Haus schon einmal mit seiner Existenz bezahlt, damals, als im Straßenkampfe von 1849 die Flamme hineinfiel und seine Schätze fraß. Aber aus den ver¬ kohlten Räumen ist es zu erneuter Kraft auferstanden, heute abermals der besten eines im deutschen Land.
Wer mit dem frischen Kuß der Kunst auf der Stirn kommt, wie ich in diesem Moment, dem leuchtet aber alles in einem fremden Licht. Ich kam nicht, um lateinische Namen auf den Schildern trüber Spiritusgläser zu entziffern. Durch die schönen lichtfreien Zwingerfenster flutete auch hier das ganze Herbstgold herein. Ein Hauch des Lebendigen zitterte über die grotesken Fratzen ausgestopfter Tierwelt von nah und fern. Und mit dem Leben zugleich etwas, das im innersten noch mehr, noch höher war.
Ich sah heute nicht die Drähte, die nachhelfenden Fäden, die diese tote Welt zu wissenschaftlichem Belehrungszweck noch einmal zusammenhielten. Aber mir war, als zögen sich feine, nur im äußersten Silberglast wahrnehmbare Fädlein hinüber von dieser reglos erstarrten Tierwelt des Naturforschers zu jener leuchtenden Farbenwelt in dem Kunsttempel da drüben. In solcher guten Stunde grübelst du, verbindest und vergleichst wie ein Sonntagskind, das den grünen Wald und den blauen Himmel auf einmal ganz neu anschaut und auch fühlt, daß es von ihnen mit den Augen eines viel tieferen, geheimnisvolleren Lebens angesehen wird.
[Abbildung]
Ganz noch im Bann dieſer Herrlichkeiten ſchlenderte ich durch den alten, lieben Zwingergarten mit ſeinen brennend roten Geranienbeeten und ſeinem Dornröschenzauber inmitten der raſſelnden Großſtadt. Schlenderte hinüber ins zoologiſche Muſeum, das ſtilvoller als wohl irgend ein zweites ſeines gleichen, in den Gängen und Pavillons dieſes Zwingers ſeine Heimat hat.
Es hat das vornehme Haus ſchon einmal mit ſeiner Exiſtenz bezahlt, damals, als im Straßenkampfe von 1849 die Flamme hineinfiel und ſeine Schätze fraß. Aber aus den ver¬ kohlten Räumen iſt es zu erneuter Kraft auferſtanden, heute abermals der beſten eines im deutſchen Land.
Wer mit dem friſchen Kuß der Kunſt auf der Stirn kommt, wie ich in dieſem Moment, dem leuchtet aber alles in einem fremden Licht. Ich kam nicht, um lateiniſche Namen auf den Schildern trüber Spiritusgläſer zu entziffern. Durch die ſchönen lichtfreien Zwingerfenſter flutete auch hier das ganze Herbſtgold herein. Ein Hauch des Lebendigen zitterte über die grotesken Fratzen ausgeſtopfter Tierwelt von nah und fern. Und mit dem Leben zugleich etwas, das im innerſten noch mehr, noch höher war.
Ich ſah heute nicht die Drähte, die nachhelfenden Fäden, die dieſe tote Welt zu wiſſenſchaftlichem Belehrungszweck noch einmal zuſammenhielten. Aber mir war, als zögen ſich feine, nur im äußerſten Silberglaſt wahrnehmbare Fädlein hinüber von dieſer reglos erſtarrten Tierwelt des Naturforſchers zu jener leuchtenden Farbenwelt in dem Kunſttempel da drüben. In ſolcher guten Stunde grübelſt du, verbindeſt und vergleichſt wie ein Sonntagskind, das den grünen Wald und den blauen Himmel auf einmal ganz neu anſchaut und auch fühlt, daß es von ihnen mit den Augen eines viel tieferen, geheimnisvolleren Lebens angeſehen wird.
[Abbildung]
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0357"n="341"/><p>Ganz noch im Bann dieſer Herrlichkeiten ſchlenderte ich<lb/>
durch den alten, lieben Zwingergarten mit ſeinen brennend<lb/>
roten Geranienbeeten und ſeinem Dornröschenzauber inmitten<lb/>
der raſſelnden Großſtadt. Schlenderte hinüber ins zoologiſche<lb/>
Muſeum, das ſtilvoller als wohl irgend ein zweites ſeines gleichen,<lb/>
in den Gängen und Pavillons dieſes Zwingers ſeine Heimat hat.</p><lb/><p>Es hat das vornehme Haus ſchon einmal mit ſeiner<lb/>
Exiſtenz bezahlt, damals, als im Straßenkampfe von 1849 die<lb/>
Flamme hineinfiel und ſeine Schätze fraß. Aber aus den ver¬<lb/>
kohlten Räumen iſt es zu erneuter Kraft auferſtanden, heute<lb/>
abermals der beſten eines im deutſchen Land.</p><lb/><p>Wer mit dem friſchen Kuß der Kunſt auf der Stirn<lb/>
kommt, wie ich in dieſem Moment, dem leuchtet aber alles in<lb/>
einem fremden Licht. Ich kam nicht, um lateiniſche Namen<lb/>
auf den Schildern trüber Spiritusgläſer zu entziffern. Durch<lb/>
die ſchönen lichtfreien Zwingerfenſter flutete auch hier das ganze<lb/>
Herbſtgold herein. Ein Hauch des Lebendigen zitterte über<lb/>
die grotesken Fratzen ausgeſtopfter Tierwelt von nah und fern.<lb/>
Und mit dem Leben zugleich etwas, das im innerſten noch mehr,<lb/>
noch höher war.</p><lb/><p>Ich ſah heute nicht die Drähte, die nachhelfenden Fäden,<lb/>
die dieſe tote Welt zu wiſſenſchaftlichem Belehrungszweck noch<lb/>
einmal zuſammenhielten. Aber mir war, als zögen ſich feine,<lb/>
nur im äußerſten Silberglaſt wahrnehmbare Fädlein hinüber<lb/>
von dieſer reglos erſtarrten Tierwelt des Naturforſchers zu<lb/>
jener leuchtenden Farbenwelt in dem Kunſttempel da drüben.<lb/>
In ſolcher guten Stunde grübelſt du, verbindeſt und vergleichſt<lb/>
wie ein Sonntagskind, das den grünen Wald und den blauen<lb/>
Himmel auf einmal ganz neu anſchaut und auch fühlt, daß es<lb/>
von ihnen mit den Augen eines viel tieferen, geheimnisvolleren<lb/>
Lebens angeſehen wird.</p><lb/><figure/></div></body></text></TEI>
[341/0357]
Ganz noch im Bann dieſer Herrlichkeiten ſchlenderte ich
durch den alten, lieben Zwingergarten mit ſeinen brennend
roten Geranienbeeten und ſeinem Dornröschenzauber inmitten
der raſſelnden Großſtadt. Schlenderte hinüber ins zoologiſche
Muſeum, das ſtilvoller als wohl irgend ein zweites ſeines gleichen,
in den Gängen und Pavillons dieſes Zwingers ſeine Heimat hat.
Es hat das vornehme Haus ſchon einmal mit ſeiner
Exiſtenz bezahlt, damals, als im Straßenkampfe von 1849 die
Flamme hineinfiel und ſeine Schätze fraß. Aber aus den ver¬
kohlten Räumen iſt es zu erneuter Kraft auferſtanden, heute
abermals der beſten eines im deutſchen Land.
Wer mit dem friſchen Kuß der Kunſt auf der Stirn
kommt, wie ich in dieſem Moment, dem leuchtet aber alles in
einem fremden Licht. Ich kam nicht, um lateiniſche Namen
auf den Schildern trüber Spiritusgläſer zu entziffern. Durch
die ſchönen lichtfreien Zwingerfenſter flutete auch hier das ganze
Herbſtgold herein. Ein Hauch des Lebendigen zitterte über
die grotesken Fratzen ausgeſtopfter Tierwelt von nah und fern.
Und mit dem Leben zugleich etwas, das im innerſten noch mehr,
noch höher war.
Ich ſah heute nicht die Drähte, die nachhelfenden Fäden,
die dieſe tote Welt zu wiſſenſchaftlichem Belehrungszweck noch
einmal zuſammenhielten. Aber mir war, als zögen ſich feine,
nur im äußerſten Silberglaſt wahrnehmbare Fädlein hinüber
von dieſer reglos erſtarrten Tierwelt des Naturforſchers zu
jener leuchtenden Farbenwelt in dem Kunſttempel da drüben.
In ſolcher guten Stunde grübelſt du, verbindeſt und vergleichſt
wie ein Sonntagskind, das den grünen Wald und den blauen
Himmel auf einmal ganz neu anſchaut und auch fühlt, daß es
von ihnen mit den Augen eines viel tieferen, geheimnisvolleren
Lebens angeſehen wird.
[Abbildung]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/357>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.