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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Erst aus diesem Topf führte ein letztes Kanalstück dann ganz
ins Freie und ließ den Urin äußerlich abfließen. Und damit
war denn auch beim Manne der alte Urinkanal ganz entlastet,
der Samen brauchte nicht mehr durch die Niere und neben
dem Urin in ihn einzufallen: die alte Röhre wurde auch hier
gänzlich für die Geschlechtsfracht frei, -- sie wurde ausschlie߬
lich "Samenleiter" ohne Urin. Beim Weibe konnte der
betreffende Kanal jetzt überhaupt einschrumpfen, da er, sobald
der Urin nicht mehr durchging, hier sofort ganz arbeits¬
los war.

Und so blieb schließlich bis zu dir selber herauf nur
zweierlei von der schönen Odyssee der Eier, Samen und
Urin übrig.

Erstlich die Thatsache, daß deine sowie deiner Liebsten
Ausfuhrkanäle für Samen sowohl wie Eier auch heute eigent¬
lich und von Rechtswegen immer noch ursprüngliche Urinkanale
sind, die bloß allmählich okkupiert und endlich dauernd ein¬
genommen wurden von den Geschlechtsstoffen. Und zweitens
eine Folgerung, die nahe genug lag: die alte Gemeinschaft,
ja Identität von Urinkanal und Geschlechtskanal äußerte sich
immerzu wenigstens noch in der ganz oder nahezu gleichen
Mündungsstelle der beiden großen Leibeskanalisationen. Beim
Menschenweibe mündet der Urinkanal noch immer mit dem
Geschlechtskanal gleichsam in der Pfortenwölbung einer und
derselben Öffnung zwischen den Schenkeln zusammen aus.
Und beim Menschenmanne geht der Samenkanal sogar schon
dicht unter der Blase immer noch in den Urinkanal selber ein,
und das ganze äußere Mannesglied durch fließen Urin und
Samen doch noch immer einträchtiglich zusammen derselben
Mündung zu. Wobei freilich dieses Mannesglied erst noch
wieder eine besondere Bildung als solches darstellt, von der
wir gleich noch zu reden haben.

Du aber erkennst: was dir als Inbegriff schon des
Greulichsten erschienen ist -- die Urinkanal-Liebe, -- die Mit¬

Erſt aus dieſem Topf führte ein letztes Kanalſtück dann ganz
ins Freie und ließ den Urin äußerlich abfließen. Und damit
war denn auch beim Manne der alte Urinkanal ganz entlaſtet,
der Samen brauchte nicht mehr durch die Niere und neben
dem Urin in ihn einzufallen: die alte Röhre wurde auch hier
gänzlich für die Geſchlechtsfracht frei, — ſie wurde ausſchlie߬
lich „Samenleiter“ ohne Urin. Beim Weibe konnte der
betreffende Kanal jetzt überhaupt einſchrumpfen, da er, ſobald
der Urin nicht mehr durchging, hier ſofort ganz arbeits¬
los war.

Und ſo blieb ſchließlich bis zu dir ſelber herauf nur
zweierlei von der ſchönen Odyſſee der Eier, Samen und
Urin übrig.

Erſtlich die Thatſache, daß deine ſowie deiner Liebſten
Ausfuhrkanäle für Samen ſowohl wie Eier auch heute eigent¬
lich und von Rechtswegen immer noch urſprüngliche Urinkanale
ſind, die bloß allmählich okkupiert und endlich dauernd ein¬
genommen wurden von den Geſchlechtsſtoffen. Und zweitens
eine Folgerung, die nahe genug lag: die alte Gemeinſchaft,
ja Identität von Urinkanal und Geſchlechtskanal äußerte ſich
immerzu wenigſtens noch in der ganz oder nahezu gleichen
Mündungsſtelle der beiden großen Leibeskanaliſationen. Beim
Menſchenweibe mündet der Urinkanal noch immer mit dem
Geſchlechtskanal gleichſam in der Pfortenwölbung einer und
derſelben Öffnung zwiſchen den Schenkeln zuſammen aus.
Und beim Menſchenmanne geht der Samenkanal ſogar ſchon
dicht unter der Blaſe immer noch in den Urinkanal ſelber ein,
und das ganze äußere Mannesglied durch fließen Urin und
Samen doch noch immer einträchtiglich zuſammen derſelben
Mündung zu. Wobei freilich dieſes Mannesglied erſt noch
wieder eine beſondere Bildung als ſolches darſtellt, von der
wir gleich noch zu reden haben.

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Greulichſten erſchienen iſt — die Urinkanal-Liebe, — die Mit¬

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[254/0270] Erſt aus dieſem Topf führte ein letztes Kanalſtück dann ganz ins Freie und ließ den Urin äußerlich abfließen. Und damit war denn auch beim Manne der alte Urinkanal ganz entlaſtet, der Samen brauchte nicht mehr durch die Niere und neben dem Urin in ihn einzufallen: die alte Röhre wurde auch hier gänzlich für die Geſchlechtsfracht frei, — ſie wurde ausſchlie߬ lich „Samenleiter“ ohne Urin. Beim Weibe konnte der betreffende Kanal jetzt überhaupt einſchrumpfen, da er, ſobald der Urin nicht mehr durchging, hier ſofort ganz arbeits¬ los war. Und ſo blieb ſchließlich bis zu dir ſelber herauf nur zweierlei von der ſchönen Odyſſee der Eier, Samen und Urin übrig. Erſtlich die Thatſache, daß deine ſowie deiner Liebſten Ausfuhrkanäle für Samen ſowohl wie Eier auch heute eigent¬ lich und von Rechtswegen immer noch urſprüngliche Urinkanale ſind, die bloß allmählich okkupiert und endlich dauernd ein¬ genommen wurden von den Geſchlechtsſtoffen. Und zweitens eine Folgerung, die nahe genug lag: die alte Gemeinſchaft, ja Identität von Urinkanal und Geſchlechtskanal äußerte ſich immerzu wenigſtens noch in der ganz oder nahezu gleichen Mündungsſtelle der beiden großen Leibeskanaliſationen. Beim Menſchenweibe mündet der Urinkanal noch immer mit dem Geſchlechtskanal gleichſam in der Pfortenwölbung einer und derſelben Öffnung zwiſchen den Schenkeln zuſammen aus. Und beim Menſchenmanne geht der Samenkanal ſogar ſchon dicht unter der Blaſe immer noch in den Urinkanal ſelber ein, und das ganze äußere Mannesglied durch fließen Urin und Samen doch noch immer einträchtiglich zuſammen derſelben Mündung zu. Wobei freilich dieſes Mannesglied erſt noch wieder eine beſondere Bildung als ſolches darſtellt, von der wir gleich noch zu reden haben. Du aber erkennſt: was dir als Inbegriff ſchon des Greulichſten erſchienen iſt — die Urinkanal-Liebe, — die Mit¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/270>, abgerufen am 12.05.2024.