Von Parthenos, griechisch, die Jungfrau, und Genesis, die Entstehung oder Zeugung. Jungfernzeugung also. Das Wort ist gerade für unser Beispiel schlecht.
Denn augenfällig ist doch unsere Frau Bienenkönigin längst keine Jungfrau mehr, -- sie, die in einem Jahre allein an die sechzigtausend regelrecht befruchtete Eier gelegt hat und die eine Riesenbüchse voll Sparsamen von ihrer vor¬ jährigen Begattung her noch jetzt im Leibe trägt, ausreichend, um noch mindestens eine Million Eier mit vollem Mannes¬ erbe zu versetzen. Wahr bleibt bloß, daß die Drohneneier, die sie legt, an sich gleichsam jungfräuliche Eier darstellen, die als solche kein Mannessamen berührt hat.
Zum Wunderbaren genügt diese letztere Thatsache aber vollauf.
Es liegt hier einer der Fälle vor, wo der Naturforscher wohl in den alten paradoxen Verzweiflungsruf ausbrechen möchte: ich habe's gesehen, aber ich glaube's nicht. An der Sache selbst ist schlechterdings heute nicht mehr zu zweifeln. Die haarspalterigsten Beobachter haben sich wieder und wieder daran erprobt. Es sind auch eine Anzahl verwandter Fälle bei anderen Gliedertieren nachgewiesen worden, die dem Drohnen¬ fall eine gewisse allgemeinere Bedeutung geben. Also!
Sachlich liegt hier scheinbar die gröbste Ausnahme von dem vor, was sonst in der ganzen höheren Tier- und Pflanzen¬ welt "ehernes Gesetz der Zeugung" ist. Eine Ausnahme davon, daß zu einem Zeugungsakt, der von einem regelrechten Ge¬ schlechtsorgan (einem weiblichen Eierstock) ausgeht, die regel¬ rechte Vermischung einer Samenzelle und einer Eizelle als un¬ erläßliche Station gehört. Dieses Gesetz steht auf der Tradition von Myriaden lebender Wesen, die unverbrüchlich alle so ent¬ standen sind und weiter so entstehen lassen. Unsere Betrachtung hat dir gezeigt, wie es zu stande kam auf Grund der Zwergen¬ geschichte, -- zu stande kommen mußte. Und nun doch eine Ausnahme gerade davon!
Parthenogeneſis nennt's der Naturforſcher.
Von Parthenos, griechiſch, die Jungfrau, und Geneſis, die Entſtehung oder Zeugung. Jungfernzeugung alſo. Das Wort iſt gerade für unſer Beiſpiel ſchlecht.
Denn augenfällig iſt doch unſere Frau Bienenkönigin längſt keine Jungfrau mehr, — ſie, die in einem Jahre allein an die ſechzigtauſend regelrecht befruchtete Eier gelegt hat und die eine Rieſenbüchſe voll Sparſamen von ihrer vor¬ jährigen Begattung her noch jetzt im Leibe trägt, ausreichend, um noch mindeſtens eine Million Eier mit vollem Mannes¬ erbe zu verſetzen. Wahr bleibt bloß, daß die Drohneneier, die ſie legt, an ſich gleichſam jungfräuliche Eier darſtellen, die als ſolche kein Mannesſamen berührt hat.
Zum Wunderbaren genügt dieſe letztere Thatſache aber vollauf.
Es liegt hier einer der Fälle vor, wo der Naturforſcher wohl in den alten paradoxen Verzweiflungsruf ausbrechen möchte: ich habe's geſehen, aber ich glaube's nicht. An der Sache ſelbſt iſt ſchlechterdings heute nicht mehr zu zweifeln. Die haarſpalterigſten Beobachter haben ſich wieder und wieder daran erprobt. Es ſind auch eine Anzahl verwandter Fälle bei anderen Gliedertieren nachgewieſen worden, die dem Drohnen¬ fall eine gewiſſe allgemeinere Bedeutung geben. Alſo!
Sachlich liegt hier ſcheinbar die gröbſte Ausnahme von dem vor, was ſonſt in der ganzen höheren Tier- und Pflanzen¬ welt „ehernes Geſetz der Zeugung“ iſt. Eine Ausnahme davon, daß zu einem Zeugungsakt, der von einem regelrechten Ge¬ ſchlechtsorgan (einem weiblichen Eierſtock) ausgeht, die regel¬ rechte Vermiſchung einer Samenzelle und einer Eizelle als un¬ erläßliche Station gehört. Dieſes Geſetz ſteht auf der Tradition von Myriaden lebender Weſen, die unverbrüchlich alle ſo ent¬ ſtanden ſind und weiter ſo entſtehen laſſen. Unſere Betrachtung hat dir gezeigt, wie es zu ſtande kam auf Grund der Zwergen¬ geſchichte, — zu ſtande kommen mußte. Und nun doch eine Ausnahme gerade davon!
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Parthenogeneſis nennt's der Naturforſcher.
Von Parthenos, griechiſch, die Jungfrau, und Geneſis,
die Entſtehung oder Zeugung. Jungfernzeugung alſo. Das
Wort iſt gerade für unſer Beiſpiel ſchlecht.
Denn augenfällig iſt doch unſere Frau Bienenkönigin
längſt keine Jungfrau mehr, — ſie, die in einem Jahre
allein an die ſechzigtauſend regelrecht befruchtete Eier gelegt
hat und die eine Rieſenbüchſe voll Sparſamen von ihrer vor¬
jährigen Begattung her noch jetzt im Leibe trägt, ausreichend,
um noch mindeſtens eine Million Eier mit vollem Mannes¬
erbe zu verſetzen. Wahr bleibt bloß, daß die Drohneneier, die
ſie legt, an ſich gleichſam jungfräuliche Eier darſtellen, die als
ſolche kein Mannesſamen berührt hat.
Zum Wunderbaren genügt dieſe letztere Thatſache aber vollauf.
Es liegt hier einer der Fälle vor, wo der Naturforſcher
wohl in den alten paradoxen Verzweiflungsruf ausbrechen
möchte: ich habe's geſehen, aber ich glaube's nicht. An der
Sache ſelbſt iſt ſchlechterdings heute nicht mehr zu zweifeln.
Die haarſpalterigſten Beobachter haben ſich wieder und wieder
daran erprobt. Es ſind auch eine Anzahl verwandter Fälle
bei anderen Gliedertieren nachgewieſen worden, die dem Drohnen¬
fall eine gewiſſe allgemeinere Bedeutung geben. Alſo!
Sachlich liegt hier ſcheinbar die gröbſte Ausnahme von
dem vor, was ſonſt in der ganzen höheren Tier- und Pflanzen¬
welt „ehernes Geſetz der Zeugung“ iſt. Eine Ausnahme davon,
daß zu einem Zeugungsakt, der von einem regelrechten Ge¬
ſchlechtsorgan (einem weiblichen Eierſtock) ausgeht, die regel¬
rechte Vermiſchung einer Samenzelle und einer Eizelle als un¬
erläßliche Station gehört. Dieſes Geſetz ſteht auf der Tradition
von Myriaden lebender Weſen, die unverbrüchlich alle ſo ent¬
ſtanden ſind und weiter ſo entſtehen laſſen. Unſere Betrachtung
hat dir gezeigt, wie es zu ſtande kam auf Grund der Zwergen¬
geſchichte, — zu ſtande kommen mußte. Und nun doch eine
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/393>, abgerufen am 25.11.2024.
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