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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Doch unsere kleine Vestalin tritt in ihren Stock. Um sie
summt es und brummt es, die Kammern und Gänge auf und
ab. Eine enge, wahrhaft beängstigend übereinander getürmte
Burg, fast wie das alte Troja, das Schliemann ausgegraben
hat. Kammer an Kammer, Zellchen an Zellchen. Gefüllte
Vorratskammern, wo bald das leckere Brot lagert, sorgsam zu¬
sammengestampft aus köstlichem Blütenstaub, bald in schwellender,
duftender Fülle der goldene Honigtrank bis zur Decke schwillt,
als schautest du in einen der riesigen Krüge eben jener Trojaner¬
burg, die größer als ein Mensch waren. Und Kinderstuben,
wo die kleinen hungrigen Würmchen sich regen oder in weißer
Seidenwiege schlafen. Kinder, -- ja woher Kinder?

Überall, wo du gehst und stehst, auf und ab, an den
Zellthüren, in den Versenkungen, am großen Burgthor fort-
und anfliegend: alles ja nur -- Vestalinnen. Tausende zählst
du und Abertausende. Zwischen zehntausend und dreißigtausend
pflegt ein Stock zu haben. Ganz deutlich gewahrst du jetzt,
daß sie wirklich trotz ihres verkümmerten Geschlechts eines nicht
verkümmert haben: Muttergefühle. Mit rührender Sorgfalt
werden die zahlreichen Jungen des Stockes in den Kinder¬
stübchen gefüttert und gewartet, bis sie endlich als fertige
Bienlein aus ihrer Wiege kriechen. Aber es sind von neuem
Vestalinnen, -- diese Jungen: -- Weibchen mit absolut ver¬
kümmertem Geschlecht. Sie ersetzen die Lücken, die der Tod
in die Reihen der schon vorhandenen reißt. Bald sind sie selbst
reif zu jeder Leistung, fliegen aus, bringen Vorräte heim,
pflegen die inzwischen neu entstandene nächste Kindergeneration.
Doch immer die alte Frage. Woher der neue Kindersegen?

Der Storch arbeitet hier ganz sichtbarlich ohne Zuthun
der vestalischen Bienengenerationen selbst. Sechs Wochen
dauert in dieser Sommerzeit durchweg nur die normale Lebens¬
zeit einer solchen Einzelvestalin. Aber in diesen sechs Wochen
erlebt sie um sich her im Stock eine unausgesetzt wirkende
Kinderproduktion, die jeden Todesfall sofort ersetzt. Die Kürze

Doch unſere kleine Veſtalin tritt in ihren Stock. Um ſie
ſummt es und brummt es, die Kammern und Gänge auf und
ab. Eine enge, wahrhaft beängſtigend übereinander getürmte
Burg, faſt wie das alte Troja, das Schliemann ausgegraben
hat. Kammer an Kammer, Zellchen an Zellchen. Gefüllte
Vorratskammern, wo bald das leckere Brot lagert, ſorgſam zu¬
ſammengeſtampft aus köſtlichem Blütenſtaub, bald in ſchwellender,
duftender Fülle der goldene Honigtrank bis zur Decke ſchwillt,
als ſchauteſt du in einen der rieſigen Krüge eben jener Trojaner¬
burg, die größer als ein Menſch waren. Und Kinderſtuben,
wo die kleinen hungrigen Würmchen ſich regen oder in weißer
Seidenwiege ſchlafen. Kinder, — ja woher Kinder?

Überall, wo du gehſt und ſtehſt, auf und ab, an den
Zellthüren, in den Verſenkungen, am großen Burgthor fort-
und anfliegend: alles ja nur — Veſtalinnen. Tauſende zählſt
du und Abertauſende. Zwiſchen zehntauſend und dreißigtauſend
pflegt ein Stock zu haben. Ganz deutlich gewahrſt du jetzt,
daß ſie wirklich trotz ihres verkümmerten Geſchlechts eines nicht
verkümmert haben: Muttergefühle. Mit rührender Sorgfalt
werden die zahlreichen Jungen des Stockes in den Kinder¬
ſtübchen gefüttert und gewartet, bis ſie endlich als fertige
Bienlein aus ihrer Wiege kriechen. Aber es ſind von neuem
Veſtalinnen, — dieſe Jungen: — Weibchen mit abſolut ver¬
kümmertem Geſchlecht. Sie erſetzen die Lücken, die der Tod
in die Reihen der ſchon vorhandenen reißt. Bald ſind ſie ſelbſt
reif zu jeder Leiſtung, fliegen aus, bringen Vorräte heim,
pflegen die inzwiſchen neu entſtandene nächſte Kindergeneration.
Doch immer die alte Frage. Woher der neue Kinderſegen?

Der Storch arbeitet hier ganz ſichtbarlich ohne Zuthun
der veſtaliſchen Bienengenerationen ſelbſt. Sechs Wochen
dauert in dieſer Sommerzeit durchweg nur die normale Lebens¬
zeit einer ſolchen Einzelveſtalin. Aber in dieſen ſechs Wochen
erlebt ſie um ſich her im Stock eine unausgeſetzt wirkende
Kinderproduktion, die jeden Todesfall ſofort erſetzt. Die Kürze

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[368/0384] Doch unſere kleine Veſtalin tritt in ihren Stock. Um ſie ſummt es und brummt es, die Kammern und Gänge auf und ab. Eine enge, wahrhaft beängſtigend übereinander getürmte Burg, faſt wie das alte Troja, das Schliemann ausgegraben hat. Kammer an Kammer, Zellchen an Zellchen. Gefüllte Vorratskammern, wo bald das leckere Brot lagert, ſorgſam zu¬ ſammengeſtampft aus köſtlichem Blütenſtaub, bald in ſchwellender, duftender Fülle der goldene Honigtrank bis zur Decke ſchwillt, als ſchauteſt du in einen der rieſigen Krüge eben jener Trojaner¬ burg, die größer als ein Menſch waren. Und Kinderſtuben, wo die kleinen hungrigen Würmchen ſich regen oder in weißer Seidenwiege ſchlafen. Kinder, — ja woher Kinder? Überall, wo du gehſt und ſtehſt, auf und ab, an den Zellthüren, in den Verſenkungen, am großen Burgthor fort- und anfliegend: alles ja nur — Veſtalinnen. Tauſende zählſt du und Abertauſende. Zwiſchen zehntauſend und dreißigtauſend pflegt ein Stock zu haben. Ganz deutlich gewahrſt du jetzt, daß ſie wirklich trotz ihres verkümmerten Geſchlechts eines nicht verkümmert haben: Muttergefühle. Mit rührender Sorgfalt werden die zahlreichen Jungen des Stockes in den Kinder¬ ſtübchen gefüttert und gewartet, bis ſie endlich als fertige Bienlein aus ihrer Wiege kriechen. Aber es ſind von neuem Veſtalinnen, — dieſe Jungen: — Weibchen mit abſolut ver¬ kümmertem Geſchlecht. Sie erſetzen die Lücken, die der Tod in die Reihen der ſchon vorhandenen reißt. Bald ſind ſie ſelbſt reif zu jeder Leiſtung, fliegen aus, bringen Vorräte heim, pflegen die inzwiſchen neu entſtandene nächſte Kindergeneration. Doch immer die alte Frage. Woher der neue Kinderſegen? Der Storch arbeitet hier ganz ſichtbarlich ohne Zuthun der veſtaliſchen Bienengenerationen ſelbſt. Sechs Wochen dauert in dieſer Sommerzeit durchweg nur die normale Lebens¬ zeit einer ſolchen Einzelveſtalin. Aber in dieſen ſechs Wochen erlebt ſie um ſich her im Stock eine unausgeſetzt wirkende Kinderproduktion, die jeden Todesfall ſofort erſetzt. Die Kürze

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/384>, abgerufen am 10.05.2024.