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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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nach der hergebrachten Ordnung nur einen einzigen männlichen
oder weiblichen tief drinnen im eigenen Körper. Die Wurst
da außen ist entschieden etwas Fremdes.

Wir schauen zu, wie sie an der Krabbe festhängt und
nun erscheint etwas nach jeder Richtung Scheußliches.

Aus der einen Längsseite der Wurst bohrt sich in den
Leib der Krabbe ein verzweigtes Geflecht, ganz und gar wie
die Wurzel einer Pflanze anzuschauen. Die Wurzel spinnt sich
tief in den dunklen Bauch der Krabbe hinein, bis um Darm
und Leber herum, und es kann nicht anders sein: sie saugt an
diesen Organen, trinkt mit von dem Nährsafte der Krabbe
genau so, wie wir es beim Bandwurm erlebt haben. Die
Krabbe wird dadurch natürlich in ihren eigenen Rationen etwas
beeinträchtigt, aber es scheint nicht, daß ihr die gefährliche
Wurzel, die ihr wie der Schnabel des Prometheusadlers in die
Leber hängt, ernstlich ans Leben geht, so wenig wie den
meisten Menschen ihr riesiger Mitesser, der Bandwurm.

Wurst und Freßgeflecht: dieses Ganze zusammen bildet den
"Wurzelkrebs".

Einen Krebs also, genau wie die Krabbe selbst einer ist.
Bloß daß jener auf diesem ein Schmarotzerleben führt. Denke
dir einen Menschen als Vergleich, an dessen Bauch sich ein
ganz kleines zweites Menschlein zäh festgebissen hat. Es hat
ein Loch in den großen Menschenbauch gefressen und eine un¬
geheuer lange Zunge um den Menschendarm gewickelt, mit der
es das reine Nährblut des Herrn Gastgebers auflöffelt. Einen
eigenen Magen und Darm, überhaupt eigene Ernährungswerk¬
stätten irgend welcher Art, braucht das Schmarotzermenschlein
nicht und hat sie denn auch thatsächlich nicht mehr. Bloß
seinen Geschlechtsapparat besitzt es noch in dem sackartig leeren
eigenen Leibe.

In dem Bilde habe ich dir von einer "Zunge" geredet.
In Wirklichkeit ist das schauerliche Geflecht, das der Wurzel¬

nach der hergebrachten Ordnung nur einen einzigen männlichen
oder weiblichen tief drinnen im eigenen Körper. Die Wurſt
da außen iſt entſchieden etwas Fremdes.

Wir ſchauen zu, wie ſie an der Krabbe feſthängt und
nun erſcheint etwas nach jeder Richtung Scheußliches.

Aus der einen Längsſeite der Wurſt bohrt ſich in den
Leib der Krabbe ein verzweigtes Geflecht, ganz und gar wie
die Wurzel einer Pflanze anzuſchauen. Die Wurzel ſpinnt ſich
tief in den dunklen Bauch der Krabbe hinein, bis um Darm
und Leber herum, und es kann nicht anders ſein: ſie ſaugt an
dieſen Organen, trinkt mit von dem Nährſafte der Krabbe
genau ſo, wie wir es beim Bandwurm erlebt haben. Die
Krabbe wird dadurch natürlich in ihren eigenen Rationen etwas
beeinträchtigt, aber es ſcheint nicht, daß ihr die gefährliche
Wurzel, die ihr wie der Schnabel des Prometheusadlers in die
Leber hängt, ernſtlich ans Leben geht, ſo wenig wie den
meiſten Menſchen ihr rieſiger Miteſſer, der Bandwurm.

Wurſt und Freßgeflecht: dieſes Ganze zuſammen bildet den
„Wurzelkrebs“.

Einen Krebs alſo, genau wie die Krabbe ſelbſt einer iſt.
Bloß daß jener auf dieſem ein Schmarotzerleben führt. Denke
dir einen Menſchen als Vergleich, an deſſen Bauch ſich ein
ganz kleines zweites Menſchlein zäh feſtgebiſſen hat. Es hat
ein Loch in den großen Menſchenbauch gefreſſen und eine un¬
geheuer lange Zunge um den Menſchendarm gewickelt, mit der
es das reine Nährblut des Herrn Gaſtgebers auflöffelt. Einen
eigenen Magen und Darm, überhaupt eigene Ernährungswerk¬
ſtätten irgend welcher Art, braucht das Schmarotzermenſchlein
nicht und hat ſie denn auch thatſächlich nicht mehr. Bloß
ſeinen Geſchlechtsapparat beſitzt es noch in dem ſackartig leeren
eigenen Leibe.

In dem Bilde habe ich dir von einer „Zunge“ geredet.
In Wirklichkeit iſt das ſchauerliche Geflecht, das der Wurzel¬

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[312/0328] nach der hergebrachten Ordnung nur einen einzigen männlichen oder weiblichen tief drinnen im eigenen Körper. Die Wurſt da außen iſt entſchieden etwas Fremdes. Wir ſchauen zu, wie ſie an der Krabbe feſthängt und nun erſcheint etwas nach jeder Richtung Scheußliches. Aus der einen Längsſeite der Wurſt bohrt ſich in den Leib der Krabbe ein verzweigtes Geflecht, ganz und gar wie die Wurzel einer Pflanze anzuſchauen. Die Wurzel ſpinnt ſich tief in den dunklen Bauch der Krabbe hinein, bis um Darm und Leber herum, und es kann nicht anders ſein: ſie ſaugt an dieſen Organen, trinkt mit von dem Nährſafte der Krabbe genau ſo, wie wir es beim Bandwurm erlebt haben. Die Krabbe wird dadurch natürlich in ihren eigenen Rationen etwas beeinträchtigt, aber es ſcheint nicht, daß ihr die gefährliche Wurzel, die ihr wie der Schnabel des Prometheusadlers in die Leber hängt, ernſtlich ans Leben geht, ſo wenig wie den meiſten Menſchen ihr rieſiger Miteſſer, der Bandwurm. Wurſt und Freßgeflecht: dieſes Ganze zuſammen bildet den „Wurzelkrebs“. Einen Krebs alſo, genau wie die Krabbe ſelbſt einer iſt. Bloß daß jener auf dieſem ein Schmarotzerleben führt. Denke dir einen Menſchen als Vergleich, an deſſen Bauch ſich ein ganz kleines zweites Menſchlein zäh feſtgebiſſen hat. Es hat ein Loch in den großen Menſchenbauch gefreſſen und eine un¬ geheuer lange Zunge um den Menſchendarm gewickelt, mit der es das reine Nährblut des Herrn Gaſtgebers auflöffelt. Einen eigenen Magen und Darm, überhaupt eigene Ernährungswerk¬ ſtätten irgend welcher Art, braucht das Schmarotzermenſchlein nicht und hat ſie denn auch thatſächlich nicht mehr. Bloß ſeinen Geſchlechtsapparat beſitzt es noch in dem ſackartig leeren eigenen Leibe. In dem Bilde habe ich dir von einer „Zunge“ geredet. In Wirklichkeit iſt das ſchauerliche Geflecht, das der Wurzel¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/328>, abgerufen am 13.05.2024.