Das Liebesleben der Krebse kann ich dir nicht passender und liebenswürdiger schildern als in einem Geschöpf, das auf der Höhe seines Daseins ganz Liebe ist. Allerdings in einer Form, die nicht gerade nach jedermanns Geschmack sein dürfte.
Es ist der Wurzelkrebs.
Dieser Wurzelkrebs gehört zu den Tieren, die ich dir nicht ohne weiteres beschreiben kann; es thut not, daß du dich gewissermaßen in ihn "hineindenkst".
[Abbildung]
Also denke dir zunächst eine Art roter Frankfurter Wurst, ohne Gliederung und Gliedmaßen, bloß mit einem Loch. Im Innern findest du keinen Darm, kein Herz, sondern bloß Eier¬ stöcke. Das Loch erscheint als die zugehörige weibliche Ge¬ schlechtsöffnung.
Diese groteske Geschlechtswurst schwimmt nun nicht etwa frei im Meere herum. Um sie zu erjagen, mußt du zunächst Jagd auf gewisse Krebse der bekanntesten Art, z. B. gewöhn¬ liche Strandkrabben an der Nordsee, machen. Bei der einen oder anderen solcher Krabben findest du dann wohl unsere gespenstische rote Frankfurter unten an dem kurzen, unter den Bauch geschlagenen Schwanze (beim Krebs ist das, was man gemeinhin Schwanz nennt, eigentlich noch Hinterleib) festsitzend. Es sieht aus, als wachse der Krabbe hier ein besonderes weib¬ liches Geschlechtsorgan aus dem Leibe. Aber die Krabbe hat in Wahrheit ihren eigenen Geschlechtsapparat, und zwar hübsch
Das Liebesleben der Krebſe kann ich dir nicht paſſender und liebenswürdiger ſchildern als in einem Geſchöpf, das auf der Höhe ſeines Daſeins ganz Liebe iſt. Allerdings in einer Form, die nicht gerade nach jedermanns Geſchmack ſein dürfte.
Es iſt der Wurzelkrebs.
Dieſer Wurzelkrebs gehört zu den Tieren, die ich dir nicht ohne weiteres beſchreiben kann; es thut not, daß du dich gewiſſermaßen in ihn „hineindenkſt“.
[Abbildung]
Alſo denke dir zunächſt eine Art roter Frankfurter Wurſt, ohne Gliederung und Gliedmaßen, bloß mit einem Loch. Im Innern findeſt du keinen Darm, kein Herz, ſondern bloß Eier¬ ſtöcke. Das Loch erſcheint als die zugehörige weibliche Ge¬ ſchlechtsöffnung.
Dieſe groteske Geſchlechtswurſt ſchwimmt nun nicht etwa frei im Meere herum. Um ſie zu erjagen, mußt du zunächſt Jagd auf gewiſſe Krebſe der bekannteſten Art, z. B. gewöhn¬ liche Strandkrabben an der Nordſee, machen. Bei der einen oder anderen ſolcher Krabben findeſt du dann wohl unſere geſpenſtiſche rote Frankfurter unten an dem kurzen, unter den Bauch geſchlagenen Schwanze (beim Krebs iſt das, was man gemeinhin Schwanz nennt, eigentlich noch Hinterleib) feſtſitzend. Es ſieht aus, als wachſe der Krabbe hier ein beſonderes weib¬ liches Geſchlechtsorgan aus dem Leibe. Aber die Krabbe hat in Wahrheit ihren eigenen Geſchlechtsapparat, und zwar hübſch
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Das Liebesleben der Krebſe kann ich dir nicht paſſender
und liebenswürdiger ſchildern als in einem Geſchöpf, das auf
der Höhe ſeines Daſeins ganz Liebe iſt. Allerdings in einer
Form, die nicht gerade nach jedermanns Geſchmack ſein dürfte.
Es iſt der Wurzelkrebs.
Dieſer Wurzelkrebs gehört zu den Tieren, die ich dir
nicht ohne weiteres beſchreiben kann; es thut not, daß du dich
gewiſſermaßen in ihn „hineindenkſt“.
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Alſo denke dir zunächſt eine Art roter Frankfurter Wurſt,
ohne Gliederung und Gliedmaßen, bloß mit einem Loch. Im
Innern findeſt du keinen Darm, kein Herz, ſondern bloß Eier¬
ſtöcke. Das Loch erſcheint als die zugehörige weibliche Ge¬
ſchlechtsöffnung.
Dieſe groteske Geſchlechtswurſt ſchwimmt nun nicht etwa
frei im Meere herum. Um ſie zu erjagen, mußt du zunächſt
Jagd auf gewiſſe Krebſe der bekannteſten Art, z. B. gewöhn¬
liche Strandkrabben an der Nordſee, machen. Bei der einen
oder anderen ſolcher Krabben findeſt du dann wohl unſere
geſpenſtiſche rote Frankfurter unten an dem kurzen, unter den
Bauch geſchlagenen Schwanze (beim Krebs iſt das, was man
gemeinhin Schwanz nennt, eigentlich noch Hinterleib) feſtſitzend.
Es ſieht aus, als wachſe der Krabbe hier ein beſonderes weib¬
liches Geſchlechtsorgan aus dem Leibe. Aber die Krabbe hat
in Wahrheit ihren eigenen Geſchlechtsapparat, und zwar hübſch
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/327>, abgerufen am 25.11.2024.
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