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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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nach 1789, wo August sich von ihm abspaltete. Stellte es
nicht das unvergleichlich kostbarere Teil dar, das in einer ver¬
nünftig gebauten Welt gewiß das beste Anrecht hatte auf eine
andersartige, besondere Seelenunsterblichkeit mit mehr Erhal¬
tungskraft zugleich und mehr Garantie überhaupt, als sie jene
Keimzellfolge bot?

Einmal im Fahrwasser dieser Frage, pflegt man dann
einfach aus der Sache von hier her ein Postulat zu machen:
man sagt, es muß noch eine besondere Unsterblichkeit geben
neben der bedingten, die über Liebesakte und Kinder läuft, --
eine für das beim Zeugungsakt übrig bleibende elterliche Indi¬
viduum. Ja, wenn die Dinge anders lägen, setzt man hinzu!
Malen wir's uns einmal aus, wie es sein könnte, wenn uns
jener Gedanke nicht kommen sollte. Denken wir uns, der
Zeugungsakt wäre stets und naturgesetzlich eisern zugleich der
Schlußakt des zeugenden Individuums. Ein Mensch lebt,
entwickelt sich, leistet sein Teil, -- zeugt ein Kind, und in
diesem Moment sinkt er tot hin, oder noch besser, er verwandelt
sich einfach unmittelbar in das Kind, die Mutter taucht im Ge¬
burtsakt unter wie in einem Jungbrunnen, ist plötzlich ver¬
schwunden und statt ihrer erscheint ein kleines Kind, in dessen
Stoffe alles hineingezehrt ist, was vorher das Individuum der
Mutter zusammensetzte. Vollkommen wäre die Sache auch so
noch nicht. Aber man sähe doch eine viel handgreiflichere
Hervorkehrung der einen Unsterblichkeitslinie: der Tod wäre in
gewissem bedingten Sinne wenigstens für das Individuum,
das zur Zeugung gelangt, aufgehoben in einen radikalen Ver¬
jüngungsprozeß. Das eine zur Zeugung nötige Samentierchen
oder die eine weibliche Eizelle verschlänge gleichsam das ganze
erwachsene elterliche Individuum zum Akt eines Neubeginns.
Zu mutmaßen wäre, daß bei so radikalem Akt auch die Über¬
tragung der Charaktereigenschaften von Vater und Mutter
auf das Kind eine intensivere wäre, das neue Individuum
umschlösse wohl immer das ganze Kernerbe des alten. Der

nach 1789, wo Auguſt ſich von ihm abſpaltete. Stellte es
nicht das unvergleichlich koſtbarere Teil dar, das in einer ver¬
nünftig gebauten Welt gewiß das beſte Anrecht hatte auf eine
andersartige, beſondere Seelenunſterblichkeit mit mehr Erhal¬
tungskraft zugleich und mehr Garantie überhaupt, als ſie jene
Keimzellfolge bot?

Einmal im Fahrwaſſer dieſer Frage, pflegt man dann
einfach aus der Sache von hier her ein Poſtulat zu machen:
man ſagt, es muß noch eine beſondere Unſterblichkeit geben
neben der bedingten, die über Liebesakte und Kinder läuft, —
eine für das beim Zeugungsakt übrig bleibende elterliche Indi¬
viduum. Ja, wenn die Dinge anders lägen, ſetzt man hinzu!
Malen wir's uns einmal aus, wie es ſein könnte, wenn uns
jener Gedanke nicht kommen ſollte. Denken wir uns, der
Zeugungsakt wäre ſtets und naturgeſetzlich eiſern zugleich der
Schlußakt des zeugenden Individuums. Ein Menſch lebt,
entwickelt ſich, leiſtet ſein Teil, — zeugt ein Kind, und in
dieſem Moment ſinkt er tot hin, oder noch beſſer, er verwandelt
ſich einfach unmittelbar in das Kind, die Mutter taucht im Ge¬
burtsakt unter wie in einem Jungbrunnen, iſt plötzlich ver¬
ſchwunden und ſtatt ihrer erſcheint ein kleines Kind, in deſſen
Stoffe alles hineingezehrt iſt, was vorher das Individuum der
Mutter zuſammenſetzte. Vollkommen wäre die Sache auch ſo
noch nicht. Aber man ſähe doch eine viel handgreiflichere
Hervorkehrung der einen Unſterblichkeitslinie: der Tod wäre in
gewiſſem bedingten Sinne wenigſtens für das Individuum,
das zur Zeugung gelangt, aufgehoben in einen radikalen Ver¬
jüngungsprozeß. Das eine zur Zeugung nötige Samentierchen
oder die eine weibliche Eizelle verſchlänge gleichſam das ganze
erwachſene elterliche Individuum zum Akt eines Neubeginns.
Zu mutmaßen wäre, daß bei ſo radikalem Akt auch die Über¬
tragung der Charaktereigenſchaften von Vater und Mutter
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[228/0244] nach 1789, wo Auguſt ſich von ihm abſpaltete. Stellte es nicht das unvergleichlich koſtbarere Teil dar, das in einer ver¬ nünftig gebauten Welt gewiß das beſte Anrecht hatte auf eine andersartige, beſondere Seelenunſterblichkeit mit mehr Erhal¬ tungskraft zugleich und mehr Garantie überhaupt, als ſie jene Keimzellfolge bot? Einmal im Fahrwaſſer dieſer Frage, pflegt man dann einfach aus der Sache von hier her ein Poſtulat zu machen: man ſagt, es muß noch eine beſondere Unſterblichkeit geben neben der bedingten, die über Liebesakte und Kinder läuft, — eine für das beim Zeugungsakt übrig bleibende elterliche Indi¬ viduum. Ja, wenn die Dinge anders lägen, ſetzt man hinzu! Malen wir's uns einmal aus, wie es ſein könnte, wenn uns jener Gedanke nicht kommen ſollte. Denken wir uns, der Zeugungsakt wäre ſtets und naturgeſetzlich eiſern zugleich der Schlußakt des zeugenden Individuums. Ein Menſch lebt, entwickelt ſich, leiſtet ſein Teil, — zeugt ein Kind, und in dieſem Moment ſinkt er tot hin, oder noch beſſer, er verwandelt ſich einfach unmittelbar in das Kind, die Mutter taucht im Ge¬ burtsakt unter wie in einem Jungbrunnen, iſt plötzlich ver¬ ſchwunden und ſtatt ihrer erſcheint ein kleines Kind, in deſſen Stoffe alles hineingezehrt iſt, was vorher das Individuum der Mutter zuſammenſetzte. Vollkommen wäre die Sache auch ſo noch nicht. Aber man ſähe doch eine viel handgreiflichere Hervorkehrung der einen Unſterblichkeitslinie: der Tod wäre in gewiſſem bedingten Sinne wenigſtens für das Individuum, das zur Zeugung gelangt, aufgehoben in einen radikalen Ver¬ jüngungsprozeß. Das eine zur Zeugung nötige Samentierchen oder die eine weibliche Eizelle verſchlänge gleichſam das ganze erwachſene elterliche Individuum zum Akt eines Neubeginns. Zu mutmaßen wäre, daß bei ſo radikalem Akt auch die Über¬ tragung der Charaktereigenſchaften von Vater und Mutter auf das Kind eine intenſivere wäre, das neue Individuum umſchlöſſe wohl immer das ganze Kernerbe des alten. Der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/244>, abgerufen am 22.11.2024.