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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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meinsam denken", "gemeinsam wollen". Aber ist das so viel
anders, wirfst du ein, als etwa bei einem Trupp Soldaten,
die in gemeinsamem Takt marschieren? Ja, es muß doch wohl
noch etwas anders, etwas mehr sein. Die körperliche Be¬
rührung und Aneinanderfügung der Zellen, die erst zum mehr
zufälligen Stoffaustausch, schließlich aber bis zur regelmäßigen
Überleitung von Nahrungssäften und so weiter führt, muß in
diese Zellenklumpen mehr und mehr auch ein seelisches Zu¬
sammenströmen, immer bildlich gesprochen, gebracht haben, von
dem soziale Verbände etwa von Menschen untereinander zu¬
nächst dir gar kein Bild geben oder wenigstens in unserm
konventionellen Denken zu geben pflegen. Und das Resultat
ist (abgesehen hier ganz von der Arbeitsteilung an sich, die
schließlich wie ein besonderes Freßorgan im Magen, so auch
ein besonderes "Seelenorgan" als Orientierungszentrum im
Gehirn bei den höheren Tieren schuf) offenklar das gewesen,
daß der ganze Zellenstaat ein einheitliches Ichbewußtsein er¬
hielt -- gerade das Ichbewußtsein, das du selber als Einheit
in dir fühlst. Wie das freilich zugegangen ist ..... seelische
Ichs, die zu Millionen zusammenschmelzen in einer Art ge¬
heimnisvollster Seelenzeugung, bis schließlich ein neues Über-
Ich geboren ist, das den Inhalt von Millionen wieder als
Einheit faßt ..... das könnte uns ins Unendliche der
schwersten Fragen locken. Auf geistige Milchstraßen, wie wir
vorhin in körperliche geraten waren. Vielleicht merkst du dir
die Anknüpfungsstelle bloß fürs gelegentliche Durchdenken mit
einem roten Strich. Wir dürfen jetzt nicht zu tief hinein,
sonst gleitet uns unser Goldseil im Gewimmel der Dinge, die
Liebe, aus der Hand. Also statt aller seelischen Nebenpfade,
wo das jahrtausendalte Gedankenmoos deinen Tritt dämpft und
deine Spur verschlingt, bis du ganz im märchengrünen Zauber¬
walde Merlins verloren und verschollen bist, .... wie stellte sich
die Liebesentwickelung zu jener ungeheuren Thatsache sozialer
Zellverbände mit Arbeitsteilung?

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meinſam denken“, „gemeinſam wollen“. Aber iſt das ſo viel
anders, wirfſt du ein, als etwa bei einem Trupp Soldaten,
die in gemeinſamem Takt marſchieren? Ja, es muß doch wohl
noch etwas anders, etwas mehr ſein. Die körperliche Be¬
rührung und Aneinanderfügung der Zellen, die erſt zum mehr
zufälligen Stoffaustauſch, ſchließlich aber bis zur regelmäßigen
Überleitung von Nahrungsſäften und ſo weiter führt, muß in
dieſe Zellenklumpen mehr und mehr auch ein ſeeliſches Zu¬
ſammenſtrömen, immer bildlich geſprochen, gebracht haben, von
dem ſoziale Verbände etwa von Menſchen untereinander zu¬
nächſt dir gar kein Bild geben oder wenigſtens in unſerm
konventionellen Denken zu geben pflegen. Und das Reſultat
iſt (abgeſehen hier ganz von der Arbeitsteilung an ſich, die
ſchließlich wie ein beſonderes Freßorgan im Magen, ſo auch
ein beſonderes „Seelenorgan“ als Orientierungszentrum im
Gehirn bei den höheren Tieren ſchuf) offenklar das geweſen,
daß der ganze Zellenſtaat ein einheitliches Ichbewußtſein er¬
hielt — gerade das Ichbewußtſein, das du ſelber als Einheit
in dir fühlſt. Wie das freilich zugegangen iſt ..... ſeeliſche
Ichs, die zu Millionen zuſammenſchmelzen in einer Art ge¬
heimnisvollſter Seelenzeugung, bis ſchließlich ein neues Über-
Ich geboren iſt, das den Inhalt von Millionen wieder als
Einheit faßt ..... das könnte uns ins Unendliche der
ſchwerſten Fragen locken. Auf geiſtige Milchſtraßen, wie wir
vorhin in körperliche geraten waren. Vielleicht merkſt du dir
die Anknüpfungsſtelle bloß fürs gelegentliche Durchdenken mit
einem roten Strich. Wir dürfen jetzt nicht zu tief hinein,
ſonſt gleitet uns unſer Goldſeil im Gewimmel der Dinge, die
Liebe, aus der Hand. Alſo ſtatt aller ſeeliſchen Nebenpfade,
wo das jahrtauſendalte Gedankenmoos deinen Tritt dämpft und
deine Spur verſchlingt, bis du ganz im märchengrünen Zauber¬
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Zellverbände mit Arbeitsteilung?

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[179/0195] meinſam denken“, „gemeinſam wollen“. Aber iſt das ſo viel anders, wirfſt du ein, als etwa bei einem Trupp Soldaten, die in gemeinſamem Takt marſchieren? Ja, es muß doch wohl noch etwas anders, etwas mehr ſein. Die körperliche Be¬ rührung und Aneinanderfügung der Zellen, die erſt zum mehr zufälligen Stoffaustauſch, ſchließlich aber bis zur regelmäßigen Überleitung von Nahrungsſäften und ſo weiter führt, muß in dieſe Zellenklumpen mehr und mehr auch ein ſeeliſches Zu¬ ſammenſtrömen, immer bildlich geſprochen, gebracht haben, von dem ſoziale Verbände etwa von Menſchen untereinander zu¬ nächſt dir gar kein Bild geben oder wenigſtens in unſerm konventionellen Denken zu geben pflegen. Und das Reſultat iſt (abgeſehen hier ganz von der Arbeitsteilung an ſich, die ſchließlich wie ein beſonderes Freßorgan im Magen, ſo auch ein beſonderes „Seelenorgan“ als Orientierungszentrum im Gehirn bei den höheren Tieren ſchuf) offenklar das geweſen, daß der ganze Zellenſtaat ein einheitliches Ichbewußtſein er¬ hielt — gerade das Ichbewußtſein, das du ſelber als Einheit in dir fühlſt. Wie das freilich zugegangen iſt ..... ſeeliſche Ichs, die zu Millionen zuſammenſchmelzen in einer Art ge¬ heimnisvollſter Seelenzeugung, bis ſchließlich ein neues Über- Ich geboren iſt, das den Inhalt von Millionen wieder als Einheit faßt ..... das könnte uns ins Unendliche der ſchwerſten Fragen locken. Auf geiſtige Milchſtraßen, wie wir vorhin in körperliche geraten waren. Vielleicht merkſt du dir die Anknüpfungsſtelle bloß fürs gelegentliche Durchdenken mit einem roten Strich. Wir dürfen jetzt nicht zu tief hinein, ſonſt gleitet uns unſer Goldſeil im Gewimmel der Dinge, die Liebe, aus der Hand. Alſo ſtatt aller ſeeliſchen Nebenpfade, wo das jahrtauſendalte Gedankenmoos deinen Tritt dämpft und deine Spur verſchlingt, bis du ganz im märchengrünen Zauber¬ walde Merlins verloren und verſchollen biſt, .... wie ſtellte ſich die Liebesentwickelung zu jener ungeheuren Thatſache ſozialer Zellverbände mit Arbeitsteilung? 12*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/195>, abgerufen am 28.04.2024.