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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Eine sehr einfache Sache im Grunde. Unendlich viel ein¬
facher als jene Seelenfrage und im Herzen wieder nur eine
Konsequenz.

Ich hatte dir die Liebes-Urgeschichte so weit erzählt, daß
du sahest: im einzelnen Zellwesen spaltete sich ein Teil als
Geschlechtsecke, als Fortpflanzungsecke ab. Es trat halt gerade
in Hinsicht auf den Liebesakt eine erste Arbeitsteilung ein:
nicht mehr der ganze männliche Zellkörper beispielsweise zerfiel
in lauter Samenzellen, sondern er reservierte sich eine Ecke nur,
wo dieser Samenzerfall stattfand. Wir verglichen das mit dem
höheren Tier, mit dir selber, und sahen da jene reservierte
Ecke bei Mann wie Weib zum regelrechten "Fortpflanzungs-
Organe" entwickelt.

Nun sind wir inzwischen klug geworden, daß ein Orga¬
nismus wie deiner nicht in einfacher Parallele zum einzelligen
Urwesen steht, sondern daß du eine riesige soziale Gemeinschaft
solcher Einzeller bist. In dieser Gemeinschaft ist jedes "Organ"
ebenfalls nur ein gewisser Klumpen Zellen, die mit den andern
im Verhältnis der Arbeitsteilung stehen. Also auch dein Ge¬
schlechtsorgan. Dein Mannesorgan, das Samen produziert,
ist nicht mehr bloß eine reservierte Ecke in einem einzelligen
Leibe, -- -- sondern es ist die betreffende Zellabteilung in
einem großen Zellenverbande, -- die Zellabteilung, die in der

Eine ſehr einfache Sache im Grunde. Unendlich viel ein¬
facher als jene Seelenfrage und im Herzen wieder nur eine
Konſequenz.

Ich hatte dir die Liebes-Urgeſchichte ſo weit erzählt, daß
du ſaheſt: im einzelnen Zellweſen ſpaltete ſich ein Teil als
Geſchlechtsecke, als Fortpflanzungsecke ab. Es trat halt gerade
in Hinſicht auf den Liebesakt eine erſte Arbeitsteilung ein:
nicht mehr der ganze männliche Zellkörper beiſpielsweiſe zerfiel
in lauter Samenzellen, ſondern er reſervierte ſich eine Ecke nur,
wo dieſer Samenzerfall ſtattfand. Wir verglichen das mit dem
höheren Tier, mit dir ſelber, und ſahen da jene reſervierte
Ecke bei Mann wie Weib zum regelrechten „Fortpflanzungs-
Organe“ entwickelt.

Nun ſind wir inzwiſchen klug geworden, daß ein Orga¬
nismus wie deiner nicht in einfacher Parallele zum einzelligen
Urweſen ſteht, ſondern daß du eine rieſige ſoziale Gemeinſchaft
ſolcher Einzeller biſt. In dieſer Gemeinſchaft iſt jedes „Organ“
ebenfalls nur ein gewiſſer Klumpen Zellen, die mit den andern
im Verhältnis der Arbeitsteilung ſtehen. Alſo auch dein Ge¬
ſchlechtsorgan. Dein Mannesorgan, das Samen produziert,
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[180/0196] Eine ſehr einfache Sache im Grunde. Unendlich viel ein¬ facher als jene Seelenfrage und im Herzen wieder nur eine Konſequenz. Ich hatte dir die Liebes-Urgeſchichte ſo weit erzählt, daß du ſaheſt: im einzelnen Zellweſen ſpaltete ſich ein Teil als Geſchlechtsecke, als Fortpflanzungsecke ab. Es trat halt gerade in Hinſicht auf den Liebesakt eine erſte Arbeitsteilung ein: nicht mehr der ganze männliche Zellkörper beiſpielsweiſe zerfiel in lauter Samenzellen, ſondern er reſervierte ſich eine Ecke nur, wo dieſer Samenzerfall ſtattfand. Wir verglichen das mit dem höheren Tier, mit dir ſelber, und ſahen da jene reſervierte Ecke bei Mann wie Weib zum regelrechten „Fortpflanzungs- Organe“ entwickelt. Nun ſind wir inzwiſchen klug geworden, daß ein Orga¬ nismus wie deiner nicht in einfacher Parallele zum einzelligen Urweſen ſteht, ſondern daß du eine rieſige ſoziale Gemeinſchaft ſolcher Einzeller biſt. In dieſer Gemeinſchaft iſt jedes „Organ“ ebenfalls nur ein gewiſſer Klumpen Zellen, die mit den andern im Verhältnis der Arbeitsteilung ſtehen. Alſo auch dein Ge¬ ſchlechtsorgan. Dein Mannesorgan, das Samen produziert, iſt nicht mehr bloß eine reſervierte Ecke in einem einzelligen Leibe, — — ſondern es iſt die betreffende Zellabteilung in einem großen Zellenverbande, — die Zellabteilung, die in der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/196>, abgerufen am 09.11.2024.