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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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schon dem späten Geisteswesen der Erde, dem hochentwickelten
Übertiere Mensch, so zu sagen, in der Grundsache vollkommen
gleich. Unwillkürlich folgt der Blick einer Perspektive, die sich
aufzurollen scheint.

Der Einzeller hatte mit dem Menschen jetzt nicht bloß
die Zelle, das Leben, gemein, sondern an einem Punkt auch
schon ein unendlich wichtiges Organ. Was fehlte ihm noch,
um ganz Mensch zu sein? Größe. Nun, die konnte er
ja durch Wachstum erwerben. Es giebt heute noch so gut
wie einzellige Wesen, die keineswegs mikroskopisch klein sind,
sondern bis zu einem Meter groß werden (Siphoneen). Was
weiter? Noch eine Unmasse anderer Organe. Magen und
Darm, Gehirn und Rückenmark, Lunge, Herz und Blutadern
und andere mehr. Aber warum nicht auch die erwerben,
nachdem ein Organ von so hoher Wichtigkeit erworben war?
Es giebt einzellige Ur- oder Vorpflanzen und einzellige tier¬
ähnliche Infusorien, also echte, obwohl schon relativ höchst
stehende Einzeller, die inmitten ihres unverkennbar einzelligen
Leibes doch die seltsamsten Organanfänge auch anderer Art
thatsächlich schon zeigen. Bei den eben erwähnten wasser¬
bewohnenden Siphoneen, den größten aller Einzeller, entwickelt
die eine Riesenzelle des Leibes sich zu einem Gesamtgebilde,
das geradezu täuschend einer echten, hoch stehenden Wasserpflanze
mit verwickeltsten Pflanzenorganen gleicht: mit unterirdischer
Wurzel und oberirdischen grünen Ästen, mit zungenförmigen,
am Rande gesägten Blättern. Und gerade einzelne solcher
Siphoneen zeigen nun auch noch mit das beste Muster von
wirklicher geschlechtlicher Fortpflanzung innerhalb der ganzen
Einzellerwelt! Noch interessanter ist aber, was die meisten
Infusorien, also schon mehr tierähnliche Einzeller, dir vor¬
machen.

Wir haben oben mehrfach vom Fressen und Ausscheiden
der Einzeller gesprochen. Aber wie macht das etwa so ein
allerniedrigstes Bürschchen, ein Bazillus oder eine Amöbe?

ſchon dem ſpäten Geiſtesweſen der Erde, dem hochentwickelten
Übertiere Menſch, ſo zu ſagen, in der Grundſache vollkommen
gleich. Unwillkürlich folgt der Blick einer Perſpektive, die ſich
aufzurollen ſcheint.

Der Einzeller hatte mit dem Menſchen jetzt nicht bloß
die Zelle, das Leben, gemein, ſondern an einem Punkt auch
ſchon ein unendlich wichtiges Organ. Was fehlte ihm noch,
um ganz Menſch zu ſein? Größe. Nun, die konnte er
ja durch Wachstum erwerben. Es giebt heute noch ſo gut
wie einzellige Weſen, die keineswegs mikroſkopiſch klein ſind,
ſondern bis zu einem Meter groß werden (Siphoneen). Was
weiter? Noch eine Unmaſſe anderer Organe. Magen und
Darm, Gehirn und Rückenmark, Lunge, Herz und Blutadern
und andere mehr. Aber warum nicht auch die erwerben,
nachdem ein Organ von ſo hoher Wichtigkeit erworben war?
Es giebt einzellige Ur- oder Vorpflanzen und einzellige tier¬
ähnliche Infuſorien, alſo echte, obwohl ſchon relativ höchſt
ſtehende Einzeller, die inmitten ihres unverkennbar einzelligen
Leibes doch die ſeltſamſten Organanfänge auch anderer Art
thatſächlich ſchon zeigen. Bei den eben erwähnten waſſer¬
bewohnenden Siphoneen, den größten aller Einzeller, entwickelt
die eine Rieſenzelle des Leibes ſich zu einem Geſamtgebilde,
das geradezu täuſchend einer echten, hoch ſtehenden Waſſerpflanze
mit verwickeltſten Pflanzenorganen gleicht: mit unterirdiſcher
Wurzel und oberirdiſchen grünen Äſten, mit zungenförmigen,
am Rande geſägten Blättern. Und gerade einzelne ſolcher
Siphoneen zeigen nun auch noch mit das beſte Muſter von
wirklicher geſchlechtlicher Fortpflanzung innerhalb der ganzen
Einzellerwelt! Noch intereſſanter iſt aber, was die meiſten
Infuſorien, alſo ſchon mehr tierähnliche Einzeller, dir vor¬
machen.

Wir haben oben mehrfach vom Freſſen und Ausſcheiden
der Einzeller geſprochen. Aber wie macht das etwa ſo ein
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[167/0183] ſchon dem ſpäten Geiſtesweſen der Erde, dem hochentwickelten Übertiere Menſch, ſo zu ſagen, in der Grundſache vollkommen gleich. Unwillkürlich folgt der Blick einer Perſpektive, die ſich aufzurollen ſcheint. Der Einzeller hatte mit dem Menſchen jetzt nicht bloß die Zelle, das Leben, gemein, ſondern an einem Punkt auch ſchon ein unendlich wichtiges Organ. Was fehlte ihm noch, um ganz Menſch zu ſein? Größe. Nun, die konnte er ja durch Wachstum erwerben. Es giebt heute noch ſo gut wie einzellige Weſen, die keineswegs mikroſkopiſch klein ſind, ſondern bis zu einem Meter groß werden (Siphoneen). Was weiter? Noch eine Unmaſſe anderer Organe. Magen und Darm, Gehirn und Rückenmark, Lunge, Herz und Blutadern und andere mehr. Aber warum nicht auch die erwerben, nachdem ein Organ von ſo hoher Wichtigkeit erworben war? Es giebt einzellige Ur- oder Vorpflanzen und einzellige tier¬ ähnliche Infuſorien, alſo echte, obwohl ſchon relativ höchſt ſtehende Einzeller, die inmitten ihres unverkennbar einzelligen Leibes doch die ſeltſamſten Organanfänge auch anderer Art thatſächlich ſchon zeigen. Bei den eben erwähnten waſſer¬ bewohnenden Siphoneen, den größten aller Einzeller, entwickelt die eine Rieſenzelle des Leibes ſich zu einem Geſamtgebilde, das geradezu täuſchend einer echten, hoch ſtehenden Waſſerpflanze mit verwickeltſten Pflanzenorganen gleicht: mit unterirdiſcher Wurzel und oberirdiſchen grünen Äſten, mit zungenförmigen, am Rande geſägten Blättern. Und gerade einzelne ſolcher Siphoneen zeigen nun auch noch mit das beſte Muſter von wirklicher geſchlechtlicher Fortpflanzung innerhalb der ganzen Einzellerwelt! Noch intereſſanter iſt aber, was die meiſten Infuſorien, alſo ſchon mehr tierähnliche Einzeller, dir vor¬ machen. Wir haben oben mehrfach vom Freſſen und Ausſcheiden der Einzeller geſprochen. Aber wie macht das etwa ſo ein allerniedrigſtes Bürſchchen, ein Bazillus oder eine Amöbe?

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/183>, abgerufen am 24.11.2024.