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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Sie besitzen die Fähigkeit, gewisse fremde Stoffe so in sich
aufzunehmen, daß sie sie völlig in sich verarbeiten, in eigenen
Lebensstoff verwandeln. Diese Aufnahme und Verwandlung
ist nötig zum sogenannten "Stoffwechsel", -- einer Grund¬
erscheinung offenbar des ganzen Lebens. Beständig werden im
Lebensprozeß die alten Bestandteile des Körpers unbrauchbar
und müssen ausgeschieden werden. Da muß Ersatz geschaffen
werden, -- und das geschieht durch -- Fressen und Verdauen.
Wie wir als höchst entwickelte Tiere, als Menschen, es heute
noch thun, thaten und thun es die Einzeller auch schon: sie
fressen, verdauen und erhalten sich so, -- sie ergänzen sich un¬
ablässig im Stoffwechsel.

Aber es bleibt nicht bei der einfachen Ergänzung. Ein
Kind, das ißt, ergänzt sich nicht bloß einfach im Stoffwechsel:
es setzt auch positiv zu, -- es wächst. Gerade so das einzellige
Urwesen, unser "Zwerg". Auch er nimmt Nahrung auf Über¬
schuß auf, er wird positiv größer: wächst.

Jetzt aber: erreicht dieses Wachsen eine gewisse Größe, so
ist es, als löse es eine besondere Kraft in dem kleinen Orga¬
nismus aus, er spaltet sich in sich selbst, -- er teilt sich in
zwei Teile ..... er "kriegt Kinder", das heißt: er zerfällt
einfach in zwei Kinder. Offenbar ist auch diese Fähigkeit ebenso
eine innere Notwendigkeit und Grundeigenschaft des einzelligen
Lebens, wie das Fressen und Wachsen selbst, sie muß auf Grund¬
kräften dieses Lebens beruhen, die wir in ihrem Wesen noch
nicht durchschauen können, aber als solche hinnehmen müssen
wie etwas fest Gegebenes. In gewissem Sinne scheint es, als
sei das "Zerfallen", diese einfachste Form der Fortpflanzung,
geradezu eine positive Fortführung der Ausscheidung im Stoff¬
wechsel, -- entsprechend der positiven Fortführung der er¬
gänzenden Nahrungsaufnahme im Wachstum. Doch einerlei:
jedenfalls steht das Faktum der Sache an sich eisern fest. Eine
einzelne Amöbe von heute macht dir den Vorgang direkt vor,
indem ihr weicher Schleimleib bei einer gewissen Größe anstatt

Sie beſitzen die Fähigkeit, gewiſſe fremde Stoffe ſo in ſich
aufzunehmen, daß ſie ſie völlig in ſich verarbeiten, in eigenen
Lebensſtoff verwandeln. Dieſe Aufnahme und Verwandlung
iſt nötig zum ſogenannten „Stoffwechſel“, — einer Grund¬
erſcheinung offenbar des ganzen Lebens. Beſtändig werden im
Lebensprozeß die alten Beſtandteile des Körpers unbrauchbar
und müſſen ausgeſchieden werden. Da muß Erſatz geſchaffen
werden, — und das geſchieht durch — Freſſen und Verdauen.
Wie wir als höchſt entwickelte Tiere, als Menſchen, es heute
noch thun, thaten und thun es die Einzeller auch ſchon: ſie
freſſen, verdauen und erhalten ſich ſo, — ſie ergänzen ſich un¬
abläſſig im Stoffwechſel.

Aber es bleibt nicht bei der einfachen Ergänzung. Ein
Kind, das ißt, ergänzt ſich nicht bloß einfach im Stoffwechſel:
es ſetzt auch poſitiv zu, — es wächſt. Gerade ſo das einzellige
Urweſen, unſer „Zwerg“. Auch er nimmt Nahrung auf Über¬
ſchuß auf, er wird poſitiv größer: wächſt.

Jetzt aber: erreicht dieſes Wachſen eine gewiſſe Größe, ſo
iſt es, als löſe es eine beſondere Kraft in dem kleinen Orga¬
nismus aus, er ſpaltet ſich in ſich ſelbſt, — er teilt ſich in
zwei Teile ..... er „kriegt Kinder“, das heißt: er zerfällt
einfach in zwei Kinder. Offenbar iſt auch dieſe Fähigkeit ebenſo
eine innere Notwendigkeit und Grundeigenſchaft des einzelligen
Lebens, wie das Freſſen und Wachſen ſelbſt, ſie muß auf Grund¬
kräften dieſes Lebens beruhen, die wir in ihrem Weſen noch
nicht durchſchauen können, aber als ſolche hinnehmen müſſen
wie etwas feſt Gegebenes. In gewiſſem Sinne ſcheint es, als
ſei das „Zerfallen“, dieſe einfachſte Form der Fortpflanzung,
geradezu eine poſitive Fortführung der Ausſcheidung im Stoff¬
wechſel, — entſprechend der poſitiven Fortführung der er¬
gänzenden Nahrungsaufnahme im Wachstum. Doch einerlei:
jedenfalls ſteht das Faktum der Sache an ſich eiſern feſt. Eine
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[146/0162] Sie beſitzen die Fähigkeit, gewiſſe fremde Stoffe ſo in ſich aufzunehmen, daß ſie ſie völlig in ſich verarbeiten, in eigenen Lebensſtoff verwandeln. Dieſe Aufnahme und Verwandlung iſt nötig zum ſogenannten „Stoffwechſel“, — einer Grund¬ erſcheinung offenbar des ganzen Lebens. Beſtändig werden im Lebensprozeß die alten Beſtandteile des Körpers unbrauchbar und müſſen ausgeſchieden werden. Da muß Erſatz geſchaffen werden, — und das geſchieht durch — Freſſen und Verdauen. Wie wir als höchſt entwickelte Tiere, als Menſchen, es heute noch thun, thaten und thun es die Einzeller auch ſchon: ſie freſſen, verdauen und erhalten ſich ſo, — ſie ergänzen ſich un¬ abläſſig im Stoffwechſel. Aber es bleibt nicht bei der einfachen Ergänzung. Ein Kind, das ißt, ergänzt ſich nicht bloß einfach im Stoffwechſel: es ſetzt auch poſitiv zu, — es wächſt. Gerade ſo das einzellige Urweſen, unſer „Zwerg“. Auch er nimmt Nahrung auf Über¬ ſchuß auf, er wird poſitiv größer: wächſt. Jetzt aber: erreicht dieſes Wachſen eine gewiſſe Größe, ſo iſt es, als löſe es eine beſondere Kraft in dem kleinen Orga¬ nismus aus, er ſpaltet ſich in ſich ſelbſt, — er teilt ſich in zwei Teile ..... er „kriegt Kinder“, das heißt: er zerfällt einfach in zwei Kinder. Offenbar iſt auch dieſe Fähigkeit ebenſo eine innere Notwendigkeit und Grundeigenſchaft des einzelligen Lebens, wie das Freſſen und Wachſen ſelbſt, ſie muß auf Grund¬ kräften dieſes Lebens beruhen, die wir in ihrem Weſen noch nicht durchſchauen können, aber als ſolche hinnehmen müſſen wie etwas feſt Gegebenes. In gewiſſem Sinne ſcheint es, als ſei das „Zerfallen“, dieſe einfachſte Form der Fortpflanzung, geradezu eine poſitive Fortführung der Ausſcheidung im Stoff¬ wechſel, — entſprechend der poſitiven Fortführung der er¬ gänzenden Nahrungsaufnahme im Wachstum. Doch einerlei: jedenfalls ſteht das Faktum der Sache an ſich eiſern feſt. Eine einzelne Amöbe von heute macht dir den Vorgang direkt vor, indem ihr weicher Schleimleib bei einer gewiſſen Größe anſtatt

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/162>, abgerufen am 28.04.2024.