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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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weiter zu wachsen, einfach sich in der Mitte einschnürt, -- die
Kerben von jeder Seite her werden tiefer und tiefer, -- jetzt
hält nur noch ein dünnes Fädchen lebendigen Stoffs die beiden
Teile zusammen, -- jetzt reißt auch dieses Fädchen -- und nun
hast du zwei Geschöpfe statt des einen vor Augen, jedes genau
halb so groß wie die alte Amöbe war, aber jedes ein ge¬
schlossenes Individuum, bereit, sich durch Fressen und Wachstum
auf die alte Größe heraufzuarbeiten und dann abermals sich zu
teilen. Bei den Bazillen geht der ganze Prozeß, Wachstum,
Teilung, abermaliges Anwachsen der Teile und neue Teilteilung,
oft mit einer schier unerhörten Schnelligkeit vor sich, so daß die
Generationen in wenigen Stunden, ja Teilen einer Stunde
auseinander hervorstürzen wie unter dem Messer einer schwin¬
delnd schnell gedrehten Maschine. Ständen dieser ebenso be¬
quemen wie rapiden Fortpflanzungswelle hier nicht gewisse
natürliche Hemmnisse entgegen, so würde eine einzige solche
Bazillenkultur in ein paar Tagen alle Ozeane erfüllen und sich
zu Hochgebirgen emportürmen -- eine schauerliche Liebesbethä¬
tigung, wie denn überhaupt gerade im Bereich dieser scheinbar
winzigsten Zwerglein alles Naturwalten eigentlich einen grob¬
riesigen, dämonischen Anstrich hat.

Aber weiter in der Zwergengeschichte. Die Zwerge ver¬
fielen in abweichende Teilmethoden: bald löste einer nicht eine
Hälfte, sondern nur ein viel kleineres Stück von sich, -- bald
brach einer in eine Masse winziger Teilchen entzwei. Beide
Fälle findest du noch bei lebenden Einzellern.

Bei einer ganzen Menge von sogenannten Infusorien oder
Aufgußtierchen, also einer Gruppe von Geschöpfen, die eben¬
falls noch durchaus ins einzellige Urreich gehören, siehst du die
echte Hälftenteilung ersetzt durch eine einfachste Form so¬

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weiter zu wachſen, einfach ſich in der Mitte einſchnürt, — die
Kerben von jeder Seite her werden tiefer und tiefer, — jetzt
hält nur noch ein dünnes Fädchen lebendigen Stoffs die beiden
Teile zuſammen, — jetzt reißt auch dieſes Fädchen — und nun
haſt du zwei Geſchöpfe ſtatt des einen vor Augen, jedes genau
halb ſo groß wie die alte Amöbe war, aber jedes ein ge¬
ſchloſſenes Individuum, bereit, ſich durch Freſſen und Wachstum
auf die alte Größe heraufzuarbeiten und dann abermals ſich zu
teilen. Bei den Bazillen geht der ganze Prozeß, Wachstum,
Teilung, abermaliges Anwachſen der Teile und neue Teilteilung,
oft mit einer ſchier unerhörten Schnelligkeit vor ſich, ſo daß die
Generationen in wenigen Stunden, ja Teilen einer Stunde
auseinander hervorſtürzen wie unter dem Meſſer einer ſchwin¬
delnd ſchnell gedrehten Maſchine. Ständen dieſer ebenſo be¬
quemen wie rapiden Fortpflanzungswelle hier nicht gewiſſe
natürliche Hemmniſſe entgegen, ſo würde eine einzige ſolche
Bazillenkultur in ein paar Tagen alle Ozeane erfüllen und ſich
zu Hochgebirgen emportürmen — eine ſchauerliche Liebesbethä¬
tigung, wie denn überhaupt gerade im Bereich dieſer ſcheinbar
winzigſten Zwerglein alles Naturwalten eigentlich einen grob¬
rieſigen, dämoniſchen Anſtrich hat.

Aber weiter in der Zwergengeſchichte. Die Zwerge ver¬
fielen in abweichende Teilmethoden: bald löſte einer nicht eine
Hälfte, ſondern nur ein viel kleineres Stück von ſich, — bald
brach einer in eine Maſſe winziger Teilchen entzwei. Beide
Fälle findeſt du noch bei lebenden Einzellern.

Bei einer ganzen Menge von ſogenannten Infuſorien oder
Aufgußtierchen, alſo einer Gruppe von Geſchöpfen, die eben¬
falls noch durchaus ins einzellige Urreich gehören, ſiehſt du die
echte Hälftenteilung erſetzt durch eine einfachſte Form ſo¬

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[147/0163] weiter zu wachſen, einfach ſich in der Mitte einſchnürt, — die Kerben von jeder Seite her werden tiefer und tiefer, — jetzt hält nur noch ein dünnes Fädchen lebendigen Stoffs die beiden Teile zuſammen, — jetzt reißt auch dieſes Fädchen — und nun haſt du zwei Geſchöpfe ſtatt des einen vor Augen, jedes genau halb ſo groß wie die alte Amöbe war, aber jedes ein ge¬ ſchloſſenes Individuum, bereit, ſich durch Freſſen und Wachstum auf die alte Größe heraufzuarbeiten und dann abermals ſich zu teilen. Bei den Bazillen geht der ganze Prozeß, Wachstum, Teilung, abermaliges Anwachſen der Teile und neue Teilteilung, oft mit einer ſchier unerhörten Schnelligkeit vor ſich, ſo daß die Generationen in wenigen Stunden, ja Teilen einer Stunde auseinander hervorſtürzen wie unter dem Meſſer einer ſchwin¬ delnd ſchnell gedrehten Maſchine. Ständen dieſer ebenſo be¬ quemen wie rapiden Fortpflanzungswelle hier nicht gewiſſe natürliche Hemmniſſe entgegen, ſo würde eine einzige ſolche Bazillenkultur in ein paar Tagen alle Ozeane erfüllen und ſich zu Hochgebirgen emportürmen — eine ſchauerliche Liebesbethä¬ tigung, wie denn überhaupt gerade im Bereich dieſer ſcheinbar winzigſten Zwerglein alles Naturwalten eigentlich einen grob¬ rieſigen, dämoniſchen Anſtrich hat. Aber weiter in der Zwergengeſchichte. Die Zwerge ver¬ fielen in abweichende Teilmethoden: bald löſte einer nicht eine Hälfte, ſondern nur ein viel kleineres Stück von ſich, — bald brach einer in eine Maſſe winziger Teilchen entzwei. Beide Fälle findeſt du noch bei lebenden Einzellern. Bei einer ganzen Menge von ſogenannten Infuſorien oder Aufgußtierchen, alſo einer Gruppe von Geſchöpfen, die eben¬ falls noch durchaus ins einzellige Urreich gehören, ſiehſt du die echte Hälftenteilung erſetzt durch eine einfachſte Form ſo¬ 10*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/163>, abgerufen am 28.04.2024.