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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Sicherlich ist die Urzeugung das komplizierteste Kapitel in
der ganzen Zeugungsphilosophie.

Das Lehrbuch hat recht: sie ist heute nirgendwo nach¬
gewiesen. Zu den Zeiten des alten Aristoteles sah man noch
vergnüglich Mäuse und Flöhe sich aus Dreck entwickeln. Die
Fliegenmaden im Käse entstanden wirklich urgezeugt aus dem
Käse selbst. Und noch bis in unser Jahrhundert hinein,
eigentlich bis auf den braven Leuckart, der eben erst gestorben
ist, sollte in dir selber der Bandwurm ein elternloses Produkt
deiner eigenen Darmstoffe sein. Das alles ist heute als Unsinn
aufgeklärt: die Maus deiner Diele wie der Floh deines Betts,
die Made deines reifen Limburgers wie der Bandwurm deines
Darms sind regelrecht gezeugt wie alle anderen höheren Tiere,
deren Dasein unerschütterlich im großen Lebensbaum der fort¬
gesetzten Zeugung von Individuum zu Individuum hängt.
Aber auch wo man wissenschaftlich exakt gesucht hat, bei den
niedrigsten Wesen selbst, beim Bazillus von heute, sind alle
Experimente ohne Erfolg geblieben. Entweder die Sache geht
heute thatsächlich nirgendwo vor sich -- oder unsere Mittel
sind mindestens zu schwach, es zu erkennen.

Bleibt aber die Ausnahme für das "erste Mal", bei den
ersten Bazillen der Erde. Für diese Bazillen wäre etwas an¬
zunehmen, was sie von allen ihren Nachkommen bis zu dir
selber herauf fundamental unterschiede. Sie haben zwar Liebes¬
akte im Sinne einfachster Fortpflanzung von sich ausgehen
lassen. Aber sie hatten selber keine an sich erfahren.

[Abbildung]

Und so wären wir denn hier thatsächlich bei einer "Ent¬
stehung der Liebe" angekommen. Denke dir -- auf das Detail¬
bild kommt ja bei diesen riskant alten Geschichten nicht viel
an -- den ersten Bazillus an der Grenze von Wasser, Luft

Sicherlich iſt die Urzeugung das komplizierteſte Kapitel in
der ganzen Zeugungsphiloſophie.

Das Lehrbuch hat recht: ſie iſt heute nirgendwo nach¬
gewieſen. Zu den Zeiten des alten Ariſtoteles ſah man noch
vergnüglich Mäuſe und Flöhe ſich aus Dreck entwickeln. Die
Fliegenmaden im Käſe entſtanden wirklich urgezeugt aus dem
Käſe ſelbſt. Und noch bis in unſer Jahrhundert hinein,
eigentlich bis auf den braven Leuckart, der eben erſt geſtorben
iſt, ſollte in dir ſelber der Bandwurm ein elternloſes Produkt
deiner eigenen Darmſtoffe ſein. Das alles iſt heute als Unſinn
aufgeklärt: die Maus deiner Diele wie der Floh deines Betts,
die Made deines reifen Limburgers wie der Bandwurm deines
Darms ſind regelrecht gezeugt wie alle anderen höheren Tiere,
deren Daſein unerſchütterlich im großen Lebensbaum der fort¬
geſetzten Zeugung von Individuum zu Individuum hängt.
Aber auch wo man wiſſenſchaftlich exakt geſucht hat, bei den
niedrigſten Weſen ſelbſt, beim Bazillus von heute, ſind alle
Experimente ohne Erfolg geblieben. Entweder die Sache geht
heute thatſächlich nirgendwo vor ſich — oder unſere Mittel
ſind mindeſtens zu ſchwach, es zu erkennen.

Bleibt aber die Ausnahme für das „erſte Mal“, bei den
erſten Bazillen der Erde. Für dieſe Bazillen wäre etwas an¬
zunehmen, was ſie von allen ihren Nachkommen bis zu dir
ſelber herauf fundamental unterſchiede. Sie haben zwar Liebes¬
akte im Sinne einfachſter Fortpflanzung von ſich ausgehen
laſſen. Aber ſie hatten ſelber keine an ſich erfahren.

[Abbildung]

Und ſo wären wir denn hier thatſächlich bei einer „Ent¬
ſtehung der Liebe“ angekommen. Denke dir — auf das Detail¬
bild kommt ja bei dieſen riskant alten Geſchichten nicht viel
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[105/0121] Sicherlich iſt die Urzeugung das komplizierteſte Kapitel in der ganzen Zeugungsphiloſophie. Das Lehrbuch hat recht: ſie iſt heute nirgendwo nach¬ gewieſen. Zu den Zeiten des alten Ariſtoteles ſah man noch vergnüglich Mäuſe und Flöhe ſich aus Dreck entwickeln. Die Fliegenmaden im Käſe entſtanden wirklich urgezeugt aus dem Käſe ſelbſt. Und noch bis in unſer Jahrhundert hinein, eigentlich bis auf den braven Leuckart, der eben erſt geſtorben iſt, ſollte in dir ſelber der Bandwurm ein elternloſes Produkt deiner eigenen Darmſtoffe ſein. Das alles iſt heute als Unſinn aufgeklärt: die Maus deiner Diele wie der Floh deines Betts, die Made deines reifen Limburgers wie der Bandwurm deines Darms ſind regelrecht gezeugt wie alle anderen höheren Tiere, deren Daſein unerſchütterlich im großen Lebensbaum der fort¬ geſetzten Zeugung von Individuum zu Individuum hängt. Aber auch wo man wiſſenſchaftlich exakt geſucht hat, bei den niedrigſten Weſen ſelbſt, beim Bazillus von heute, ſind alle Experimente ohne Erfolg geblieben. Entweder die Sache geht heute thatſächlich nirgendwo vor ſich — oder unſere Mittel ſind mindeſtens zu ſchwach, es zu erkennen. Bleibt aber die Ausnahme für das „erſte Mal“, bei den erſten Bazillen der Erde. Für dieſe Bazillen wäre etwas an¬ zunehmen, was ſie von allen ihren Nachkommen bis zu dir ſelber herauf fundamental unterſchiede. Sie haben zwar Liebes¬ akte im Sinne einfachſter Fortpflanzung von ſich ausgehen laſſen. Aber ſie hatten ſelber keine an ſich erfahren. [Abbildung] Und ſo wären wir denn hier thatſächlich bei einer „Ent¬ ſtehung der Liebe“ angekommen. Denke dir — auf das Detail¬ bild kommt ja bei dieſen riskant alten Geſchichten nicht viel an — den erſten Bazillus an der Grenze von Waſſer, Luft

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/121>, abgerufen am 25.11.2024.