und Erde, also am Meeresstrande etwa, aus "totem" Stoff, irgend einer anorganischen Mischung, plötzlich erwachsen -- so wäre der Moment seines Werdens, da er mit all seinen Fähig¬ keiten erstand, auch der große Geburtsakt der Liebe als einer dieser Fähigkeiten gewesen. Warum es strenggenommen nur ein einziger Bazillus zu sein brauchte und wie er durch den merkwürdigen Prozeß der sogenannten Selbstteilung sich selber seine Eva schaffen konnte, davon erzähle ich dir gleich noch mehr. Auf alle Fälle: dieser erste Bazillus war Adam des Lebens zugleich -- und Aphrodite.
Es ist mehr als ein Scherz, wenn du hier der alten Sage gedenkst. Aphrodite, die unter der Gunst einer heiligen Stunde in ihrer nackten Menschenschöne dem Schaum entsteigt .....
Wohl ist es ein gutes Stück Weges: von dem rohen Klümpchen Lebensstoff der einzelnen "Zelle" in solchem Ur- Bazillus bis herauf zu einem vollendet herrlichen nackten weiblichen Menschenkörper, den die Liebe zur höchsten Schön¬ heit verklärt. Aber schließlich: dieser Weg ist eben durch die Fähigkeit der Liebe von selbst gegeben. Der Bazillus erzeugt zahllose Nachkommen, auf die äußere Umstände und innere Bedingungen immerfort einwirken, bis in einer Kette von Myriaden liebeserzeugter Individuen aus dem formlosen Ur¬ wesen eine Aphrodite, das heißt: ein ideal schönes nacktes Menschenweib geworden ist. Die Sage schiebt das nur etwas zusammen und hebt gleich die Aphrodite als solche aus dem Schaum. Der Naturforscher braucht dazu noch einige Millionen Jahre und eine lustige Reihe von Tierformen, in die sich, von der Liebe immer weiter gegeben, die aufsteigende Reihe des Lebendigen bis zum Menschen herauf kleidete: Urdarmtiere, Würmer, Fische, Amphibien, Schnabeltiere, Beuteltiere, zuletzt Affen und Affenmenschen. Aber im Prinzip macht das nicht viel aus. Die Liebe scheint auf alle Fälle einmal aus Schlamm gestiegen, an einem geweihten Tage weißer Urzeit jenseits aller irdischen Farben, die wir kennen.
und Erde, alſo am Meeresſtrande etwa, aus „totem“ Stoff, irgend einer anorganiſchen Miſchung, plötzlich erwachſen — ſo wäre der Moment ſeines Werdens, da er mit all ſeinen Fähig¬ keiten erſtand, auch der große Geburtsakt der Liebe als einer dieſer Fähigkeiten geweſen. Warum es ſtrenggenommen nur ein einziger Bazillus zu ſein brauchte und wie er durch den merkwürdigen Prozeß der ſogenannten Selbſtteilung ſich ſelber ſeine Eva ſchaffen konnte, davon erzähle ich dir gleich noch mehr. Auf alle Fälle: dieſer erſte Bazillus war Adam des Lebens zugleich — und Aphrodite.
Es iſt mehr als ein Scherz, wenn du hier der alten Sage gedenkſt. Aphrodite, die unter der Gunſt einer heiligen Stunde in ihrer nackten Menſchenſchöne dem Schaum entſteigt .....
Wohl iſt es ein gutes Stück Weges: von dem rohen Klümpchen Lebensſtoff der einzelnen „Zelle“ in ſolchem Ur- Bazillus bis herauf zu einem vollendet herrlichen nackten weiblichen Menſchenkörper, den die Liebe zur höchſten Schön¬ heit verklärt. Aber ſchließlich: dieſer Weg iſt eben durch die Fähigkeit der Liebe von ſelbſt gegeben. Der Bazillus erzeugt zahlloſe Nachkommen, auf die äußere Umſtände und innere Bedingungen immerfort einwirken, bis in einer Kette von Myriaden liebeserzeugter Individuen aus dem formloſen Ur¬ weſen eine Aphrodite, das heißt: ein ideal ſchönes nacktes Menſchenweib geworden iſt. Die Sage ſchiebt das nur etwas zuſammen und hebt gleich die Aphrodite als ſolche aus dem Schaum. Der Naturforſcher braucht dazu noch einige Millionen Jahre und eine luſtige Reihe von Tierformen, in die ſich, von der Liebe immer weiter gegeben, die aufſteigende Reihe des Lebendigen bis zum Menſchen herauf kleidete: Urdarmtiere, Würmer, Fiſche, Amphibien, Schnabeltiere, Beuteltiere, zuletzt Affen und Affenmenſchen. Aber im Prinzip macht das nicht viel aus. Die Liebe ſcheint auf alle Fälle einmal aus Schlamm geſtiegen, an einem geweihten Tage weißer Urzeit jenſeits aller irdiſchen Farben, die wir kennen.
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einer dieſer Fähigkeiten geweſen. Warum es ſtrenggenommen
nur ein einziger Bazillus zu ſein brauchte und wie er durch
den merkwürdigen Prozeß der ſogenannten Selbſtteilung ſich
ſelber ſeine Eva ſchaffen konnte, davon erzähle ich dir gleich
noch mehr. Auf alle Fälle: dieſer erſte Bazillus war Adam
des Lebens zugleich — und Aphrodite.
Es iſt mehr als ein Scherz, wenn du hier der alten Sage
gedenkſt. Aphrodite, die unter der Gunſt einer heiligen Stunde
in ihrer nackten Menſchenſchöne dem Schaum entſteigt .....
Wohl iſt es ein gutes Stück Weges: von dem rohen
Klümpchen Lebensſtoff der einzelnen „Zelle“ in ſolchem Ur-
Bazillus bis herauf zu einem vollendet herrlichen nackten
weiblichen Menſchenkörper, den die Liebe zur höchſten Schön¬
heit verklärt. Aber ſchließlich: dieſer Weg iſt eben durch die
Fähigkeit der Liebe von ſelbſt gegeben. Der Bazillus erzeugt
zahlloſe Nachkommen, auf die äußere Umſtände und innere
Bedingungen immerfort einwirken, bis in einer Kette von
Myriaden liebeserzeugter Individuen aus dem formloſen Ur¬
weſen eine Aphrodite, das heißt: ein ideal ſchönes nacktes
Menſchenweib geworden iſt. Die Sage ſchiebt das nur etwas
zuſammen und hebt gleich die Aphrodite als ſolche aus dem
Schaum. Der Naturforſcher braucht dazu noch einige Millionen
Jahre und eine luſtige Reihe von Tierformen, in die ſich, von
der Liebe immer weiter gegeben, die aufſteigende Reihe des
Lebendigen bis zum Menſchen herauf kleidete: Urdarmtiere,
Würmer, Fiſche, Amphibien, Schnabeltiere, Beuteltiere, zuletzt
Affen und Affenmenſchen. Aber im Prinzip macht das nicht
viel aus. Die Liebe ſcheint auf alle Fälle einmal aus Schlamm
geſtiegen, an einem geweihten Tage weißer Urzeit jenſeits aller
irdiſchen Farben, die wir kennen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/122>, abgerufen am 25.11.2024.
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