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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen.

Werfen wir, bevor wir uns zur Periode des Flintenschlosses
wenden, die einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Feuer-
gewehrwesens bildet, einen Blick auf die Entwickelung der Feuerwaffe
im Oriente.

In der Türkei machte, wenngleich die Erfindung des Schiesspulvers
ihren Weg gerade vom Orient aus über die Tartarei und Arabien
nach Europa angetreten hatte, die Aufnahme des Feuergeschützes nur
langsame Fortschritte, ja im 15. Jahrhundert mussten sich die Türken
noch deutscher, italienischer und griechischer Büchsenmeister und
Stuckgiesser bedienen. Das Hauptaugenmerk war im Oriente stets
auf die Vergrösserung des Effektes gerichtet; daher entstanden auch
die riesigen Geschützungetüme, mit welchen die Türken auf ihren
Eroberungszügen auftraten und ihre Festungen ausrüsteten. Erst im
17. Jahrhundert suchten sie, aber immer mit fremder Hilfe, europäische
Geschützsysteme einzuführen, in ziemlicher Regellosigkeit und vom kaiser-
lichen zum französischen schwankend. Die Bedienung der Büchsen-
meister (toptschi) liess, obwohl an diese Unsummen verschwendet
wurden, vieles zu wünschen übrig. So schlecht es im türkischen
Heere mit dem Geschützwesen bestellt war, ebenso ausgezeichnet
gegenüber dem Occident war die Handfeuerwaffe entwickelt. Das hatte
seine Ursachen in der Tüchtigkeit des Schmiedehandwerkes, durch
welche es möglich wurde, den Hauptbestandteil des Gewehres, den
Lauf, in Form und Güte weit besser als im Occidente zu erzeugen.
Schon im 16. Jahrhundert hatten die Orientalen die besten damas-
zierten Läufe, und auch in der Auszierung übertreffen sie an Geschmack
und eminenter Technik weit ihre westlichen Nachbarn. Wir finden
den Eisenschnitt, die Tausia in Gold und Silber, nebenher häufig auch
Einlagen mit Steinen und Korallen. Allerdings waren im allgemeinen
türkische Gewehre noch schwer und plump, aber einzelne Einrich-
tungen daran beweisen eine staunenswerte Kenntnis der ballistischen
Grundsätze. So erblicken wir an Läufen des 16. Jahrhunderts feste
Visieraufsätze, die auf genauer Berechnung beruhen; ihre Bohrungen
sind tadellos.

In betreff der Schlosskonstruktionen kann man, von vereinzelten
Anwendungen abgesehen, sagen, dass sie das Radschloss nahezu ganz
ignoriert haben, und von dem Luntenschlosse unmittelbar auf das spa-
nische, beziehungsweise türkische Schnapphahnschloss übergegangen
sind. Mit letzterem waren sie auch im 17. Jahrhundert den Muske-
tieren mit ihren Luntengewehren weit überlegen.

Wir gelangen nun zu einer überaus wichtigen Periode in der Ge-
schichte des Feuergewehres, jener des Flintenschlosses. Wir
stossen in Fachschriften noch zuweilen auf die Nachricht, dass der
französische Geniegeneral Vauban (1633--1707) der Erfinder des
Flintenschlosses gewesen sei. Das ist schon darum unrichtig, weil das
Flintenschloss in seiner vollen Ausbildung schon 1648 von Pariser

D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen.

Werfen wir, bevor wir uns zur Periode des Flintenschlosses
wenden, die einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Feuer-
gewehrwesens bildet, einen Blick auf die Entwickelung der Feuerwaffe
im Oriente.

In der Türkei machte, wenngleich die Erfindung des Schieſspulvers
ihren Weg gerade vom Orient aus über die Tartarei und Arabien
nach Europa angetreten hatte, die Aufnahme des Feuergeschützes nur
langsame Fortschritte, ja im 15. Jahrhundert muſsten sich die Türken
noch deutscher, italienischer und griechischer Büchsenmeister und
Stuckgieſser bedienen. Das Hauptaugenmerk war im Oriente stets
auf die Vergröſserung des Effektes gerichtet; daher entstanden auch
die riesigen Geschützungetüme, mit welchen die Türken auf ihren
Eroberungszügen auftraten und ihre Festungen ausrüsteten. Erst im
17. Jahrhundert suchten sie, aber immer mit fremder Hilfe, europäische
Geschützsysteme einzuführen, in ziemlicher Regellosigkeit und vom kaiser-
lichen zum französischen schwankend. Die Bedienung der Büchsen-
meister (toptschi) lieſs, obwohl an diese Unsummen verschwendet
wurden, vieles zu wünschen übrig. So schlecht es im türkischen
Heere mit dem Geschützwesen bestellt war, ebenso ausgezeichnet
gegenüber dem Occident war die Handfeuerwaffe entwickelt. Das hatte
seine Ursachen in der Tüchtigkeit des Schmiedehandwerkes, durch
welche es möglich wurde, den Hauptbestandteil des Gewehres, den
Lauf, in Form und Güte weit besser als im Occidente zu erzeugen.
Schon im 16. Jahrhundert hatten die Orientalen die besten damas-
zierten Läufe, und auch in der Auszierung übertreffen sie an Geschmack
und eminenter Technik weit ihre westlichen Nachbarn. Wir finden
den Eisenschnitt, die Tausia in Gold und Silber, nebenher häufig auch
Einlagen mit Steinen und Korallen. Allerdings waren im allgemeinen
türkische Gewehre noch schwer und plump, aber einzelne Einrich-
tungen daran beweisen eine staunenswerte Kenntnis der ballistischen
Grundsätze. So erblicken wir an Läufen des 16. Jahrhunderts feste
Visieraufsätze, die auf genauer Berechnung beruhen; ihre Bohrungen
sind tadellos.

In betreff der Schloſskonstruktionen kann man, von vereinzelten
Anwendungen abgesehen, sagen, daſs sie das Radschloſs nahezu ganz
ignoriert haben, und von dem Luntenschlosse unmittelbar auf das spa-
nische, beziehungsweise türkische Schnapphahnschloſs übergegangen
sind. Mit letzterem waren sie auch im 17. Jahrhundert den Muske-
tieren mit ihren Luntengewehren weit überlegen.

Wir gelangen nun zu einer überaus wichtigen Periode in der Ge-
schichte des Feuergewehres, jener des Flintenschlosses. Wir
stoſsen in Fachschriften noch zuweilen auf die Nachricht, daſs der
französische Geniegeneral Vauban (1633—1707) der Erfinder des
Flintenschlosses gewesen sei. Das ist schon darum unrichtig, weil das
Flintenschloſs in seiner vollen Ausbildung schon 1648 von Pariser

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[463/0481] D. Die Fernwaffen. 4. Die Feuerwaffen. Werfen wir, bevor wir uns zur Periode des Flintenschlosses wenden, die einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte des Feuer- gewehrwesens bildet, einen Blick auf die Entwickelung der Feuerwaffe im Oriente. In der Türkei machte, wenngleich die Erfindung des Schieſspulvers ihren Weg gerade vom Orient aus über die Tartarei und Arabien nach Europa angetreten hatte, die Aufnahme des Feuergeschützes nur langsame Fortschritte, ja im 15. Jahrhundert muſsten sich die Türken noch deutscher, italienischer und griechischer Büchsenmeister und Stuckgieſser bedienen. Das Hauptaugenmerk war im Oriente stets auf die Vergröſserung des Effektes gerichtet; daher entstanden auch die riesigen Geschützungetüme, mit welchen die Türken auf ihren Eroberungszügen auftraten und ihre Festungen ausrüsteten. Erst im 17. Jahrhundert suchten sie, aber immer mit fremder Hilfe, europäische Geschützsysteme einzuführen, in ziemlicher Regellosigkeit und vom kaiser- lichen zum französischen schwankend. Die Bedienung der Büchsen- meister (toptschi) lieſs, obwohl an diese Unsummen verschwendet wurden, vieles zu wünschen übrig. So schlecht es im türkischen Heere mit dem Geschützwesen bestellt war, ebenso ausgezeichnet gegenüber dem Occident war die Handfeuerwaffe entwickelt. Das hatte seine Ursachen in der Tüchtigkeit des Schmiedehandwerkes, durch welche es möglich wurde, den Hauptbestandteil des Gewehres, den Lauf, in Form und Güte weit besser als im Occidente zu erzeugen. Schon im 16. Jahrhundert hatten die Orientalen die besten damas- zierten Läufe, und auch in der Auszierung übertreffen sie an Geschmack und eminenter Technik weit ihre westlichen Nachbarn. Wir finden den Eisenschnitt, die Tausia in Gold und Silber, nebenher häufig auch Einlagen mit Steinen und Korallen. Allerdings waren im allgemeinen türkische Gewehre noch schwer und plump, aber einzelne Einrich- tungen daran beweisen eine staunenswerte Kenntnis der ballistischen Grundsätze. So erblicken wir an Läufen des 16. Jahrhunderts feste Visieraufsätze, die auf genauer Berechnung beruhen; ihre Bohrungen sind tadellos. In betreff der Schloſskonstruktionen kann man, von vereinzelten Anwendungen abgesehen, sagen, daſs sie das Radschloſs nahezu ganz ignoriert haben, und von dem Luntenschlosse unmittelbar auf das spa- nische, beziehungsweise türkische Schnapphahnschloſs übergegangen sind. Mit letzterem waren sie auch im 17. Jahrhundert den Muske- tieren mit ihren Luntengewehren weit überlegen. Wir gelangen nun zu einer überaus wichtigen Periode in der Ge- schichte des Feuergewehres, jener des Flintenschlosses. Wir stoſsen in Fachschriften noch zuweilen auf die Nachricht, daſs der französische Geniegeneral Vauban (1633—1707) der Erfinder des Flintenschlosses gewesen sei. Das ist schon darum unrichtig, weil das Flintenschloſs in seiner vollen Ausbildung schon 1648 von Pariser

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/481>, abgerufen am 01.06.2024.