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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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II. Die Angriffswaffen.
scharfe, warzenförmige Erhöhungen. Sind diese in wünschenswertem
Grade vorgeschritten, so wird der Stamm abgeschnitten und, bevor
er verwendet wird, gut ausgetrocknet. Besonders fein zu zierende
Schäfte werden nicht bloss einfach eingestochen, sondern mittelst
scharfer Meissel, welche einfache Figuren, wie Lilien, Sterne etc., ent-
halten, eingepickt. Dem Verfahren selbst liegt die Absicht zu Grunde,
den Schaft derart rauh zu machen, dass er nicht so leicht der Faust
entgleiten kann.

Von den Spiesseisenformen des 15. Jahrhunderts, welche wir in
den nebenstehenden Figuren bringen, sind zu bemerken der gemeine
Reisspiess (Fig. 366), der Knebelspiess, eigentlich ein Fuss-
knechtspiess (Fig. 367), der sein Vorbild in jenem des 8. Jahrhun-
derts findet, nur weit gewichtiger und plumper ist, und der Ahlspiess,
eine Waffe, die zuerst in der Schweiz und Hochburgund auftritt,
später aber mit Vorliebe von den Böhmen geführt wird. (Fig. 368.)

Orientalische Fussstreiter des Mittelalters führten Spiesse mit
schwachen, aber in der Regel langen Schäften, die leichten, roh ge-
fertigten Spiesseisen sind teils pfriemenartig, teils bärtig, d. i. mit
Widerhaken versehen.

Reiter führten, wie noch heute, die lange Lanze mit dünnen,
kaum 15 mm. starken und 4 bis 4,5 m. langen Schäften. Am Dillen-
halse finden sich herausgestemmte, nach abwärts gerichtete Zacken,
um welche verschiedenfarbige Schnüre aus Kameelhaaren gewunden
sind. (Fig. 369.)

Ein dünnschäftiger, aber kürzerer, höchstens 3 m. langer Reiter-
spiess mit langer Stossklinge, welcher im 15. Jahrhundert bei den
Türken zuerst allgemeiner wird, führt den Namen Copie. (Fig. 370.)
Zweifelsohne war diese Spiessgattung und unter dieser Bezeichnung
schon seit Jahrhunderten unter den Völkern des oströmischen Reiches
geführt. Der Name stammt aus dem griechischen kopis, was zur
Zeit eine Hiebwaffe asiatischer Völker bedeutete, später aber auf alle
Waffen ausgedehnt wurde. Unter dem Namen Copie erscheint sie
auch im 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und in den türkisch-
slavischen Ländern. In der Türkei wird die Sipahi- (Reiter-) Lanze
"sünü" benannt.

Bei allen Völkern Asiens kommt die lange und dünnschäftige
Reiterlanze in Verwendung. Die Schäfte bestehen aus Holzarten,
welche in den betreffenden Landstrichen eben häufiger vorkommen,
nicht selten aus Rohr vom Pfefferstrauch, vom Bambus u. dgl.
(Fig. 371 und Fig. 372). Der Orientale schätzt vorzugsweise einen
leichten Spiess, daher es nicht selten vorkommt, dass Spiessstangen mit
aller Kunstfertigkeit durchbohrt und damit hohl gebildet werden. Die
zumeist sehr langen, schmalen Spiesseisen sind häufig reich verziert,
die Hälse stilvoll gegliedert. Die Orientalen haben von der ältesten

II. Die Angriffswaffen.
scharfe, warzenförmige Erhöhungen. Sind diese in wünschenswertem
Grade vorgeschritten, so wird der Stamm abgeschnitten und, bevor
er verwendet wird, gut ausgetrocknet. Besonders fein zu zierende
Schäfte werden nicht bloſs einfach eingestochen, sondern mittelst
scharfer Meiſsel, welche einfache Figuren, wie Lilien, Sterne etc., ent-
halten, eingepickt. Dem Verfahren selbst liegt die Absicht zu Grunde,
den Schaft derart rauh zu machen, daſs er nicht so leicht der Faust
entgleiten kann.

Von den Spieſseisenformen des 15. Jahrhunderts, welche wir in
den nebenstehenden Figuren bringen, sind zu bemerken der gemeine
Reisspieſs (Fig. 366), der Knebelspieſs, eigentlich ein Fuſs-
knechtspieſs (Fig. 367), der sein Vorbild in jenem des 8. Jahrhun-
derts findet, nur weit gewichtiger und plumper ist, und der Ahlspieſs,
eine Waffe, die zuerst in der Schweiz und Hochburgund auftritt,
später aber mit Vorliebe von den Böhmen geführt wird. (Fig. 368.)

Orientalische Fuſsstreiter des Mittelalters führten Spieſse mit
schwachen, aber in der Regel langen Schäften, die leichten, roh ge-
fertigten Spieſseisen sind teils pfriemenartig, teils bärtig, d. i. mit
Widerhaken versehen.

Reiter führten, wie noch heute, die lange Lanze mit dünnen,
kaum 15 mm. starken und 4 bis 4,5 m. langen Schäften. Am Dillen-
halse finden sich herausgestemmte, nach abwärts gerichtete Zacken,
um welche verschiedenfarbige Schnüre aus Kameelhaaren gewunden
sind. (Fig. 369.)

Ein dünnschäftiger, aber kürzerer, höchstens 3 m. langer Reiter-
spieſs mit langer Stoſsklinge, welcher im 15. Jahrhundert bei den
Türken zuerst allgemeiner wird, führt den Namen Copie. (Fig. 370.)
Zweifelsohne war diese Spieſsgattung und unter dieser Bezeichnung
schon seit Jahrhunderten unter den Völkern des oströmischen Reiches
geführt. Der Name stammt aus dem griechischen κοπίς, was zur
Zeit eine Hiebwaffe asiatischer Völker bedeutete, später aber auf alle
Waffen ausgedehnt wurde. Unter dem Namen Copie erscheint sie
auch im 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und in den türkisch-
slavischen Ländern. In der Türkei wird die Sipâhi- (Reiter-) Lanze
„sünü“ benannt.

Bei allen Völkern Asiens kommt die lange und dünnschäftige
Reiterlanze in Verwendung. Die Schäfte bestehen aus Holzarten,
welche in den betreffenden Landstrichen eben häufiger vorkommen,
nicht selten aus Rohr vom Pfefferstrauch, vom Bambus u. dgl.
(Fig. 371 und Fig. 372). Der Orientale schätzt vorzugsweise einen
leichten Spieſs, daher es nicht selten vorkommt, daſs Spieſsstangen mit
aller Kunstfertigkeit durchbohrt und damit hohl gebildet werden. Die
zumeist sehr langen, schmalen Spieſseisen sind häufig reich verziert,
die Hälse stilvoll gegliedert. Die Orientalen haben von der ältesten

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[316/0334] II. Die Angriffswaffen. scharfe, warzenförmige Erhöhungen. Sind diese in wünschenswertem Grade vorgeschritten, so wird der Stamm abgeschnitten und, bevor er verwendet wird, gut ausgetrocknet. Besonders fein zu zierende Schäfte werden nicht bloſs einfach eingestochen, sondern mittelst scharfer Meiſsel, welche einfache Figuren, wie Lilien, Sterne etc., ent- halten, eingepickt. Dem Verfahren selbst liegt die Absicht zu Grunde, den Schaft derart rauh zu machen, daſs er nicht so leicht der Faust entgleiten kann. Von den Spieſseisenformen des 15. Jahrhunderts, welche wir in den nebenstehenden Figuren bringen, sind zu bemerken der gemeine Reisspieſs (Fig. 366), der Knebelspieſs, eigentlich ein Fuſs- knechtspieſs (Fig. 367), der sein Vorbild in jenem des 8. Jahrhun- derts findet, nur weit gewichtiger und plumper ist, und der Ahlspieſs, eine Waffe, die zuerst in der Schweiz und Hochburgund auftritt, später aber mit Vorliebe von den Böhmen geführt wird. (Fig. 368.) Orientalische Fuſsstreiter des Mittelalters führten Spieſse mit schwachen, aber in der Regel langen Schäften, die leichten, roh ge- fertigten Spieſseisen sind teils pfriemenartig, teils bärtig, d. i. mit Widerhaken versehen. Reiter führten, wie noch heute, die lange Lanze mit dünnen, kaum 15 mm. starken und 4 bis 4,5 m. langen Schäften. Am Dillen- halse finden sich herausgestemmte, nach abwärts gerichtete Zacken, um welche verschiedenfarbige Schnüre aus Kameelhaaren gewunden sind. (Fig. 369.) Ein dünnschäftiger, aber kürzerer, höchstens 3 m. langer Reiter- spieſs mit langer Stoſsklinge, welcher im 15. Jahrhundert bei den Türken zuerst allgemeiner wird, führt den Namen Copie. (Fig. 370.) Zweifelsohne war diese Spieſsgattung und unter dieser Bezeichnung schon seit Jahrhunderten unter den Völkern des oströmischen Reiches geführt. Der Name stammt aus dem griechischen κοπίς, was zur Zeit eine Hiebwaffe asiatischer Völker bedeutete, später aber auf alle Waffen ausgedehnt wurde. Unter dem Namen Copie erscheint sie auch im 16. Jahrhundert in Italien, Spanien und in den türkisch- slavischen Ländern. In der Türkei wird die Sipâhi- (Reiter-) Lanze „sünü“ benannt. Bei allen Völkern Asiens kommt die lange und dünnschäftige Reiterlanze in Verwendung. Die Schäfte bestehen aus Holzarten, welche in den betreffenden Landstrichen eben häufiger vorkommen, nicht selten aus Rohr vom Pfefferstrauch, vom Bambus u. dgl. (Fig. 371 und Fig. 372). Der Orientale schätzt vorzugsweise einen leichten Spieſs, daher es nicht selten vorkommt, daſs Spieſsstangen mit aller Kunstfertigkeit durchbohrt und damit hohl gebildet werden. Die zumeist sehr langen, schmalen Spieſseisen sind häufig reich verziert, die Hälse stilvoll gegliedert. Die Orientalen haben von der ältesten

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/334>, abgerufen am 19.06.2024.