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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

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I. Die Schutzwaffen.
gefunden hat, und dass endlich die spätere, ritterliche Tracht, der
Haubert die Brünne, der Helm etc. ihre Vorbilder im Oriente und
nicht in der antiken Welt gefunden haben. Der eine Reiter trägt
den niederen spitzen Helm mit der Brünne, die ein Kettengeflecht
darstellt. Eine Jacke und Beinkleider aus mit Lederstreifen besetztem
Stoffe bedecken den ganzen Körper, darüber erscheint ein langer
Haubert mit kurzen Ärmeln, vermutlich aus Leder mit dicht darauf
genieteten Blechscheibchen. Derselbe wird an den Lenden mit einem
gleichfalls mit Metall belegten Gürtel zusammengehalten, der mög-
licherweise auch ein Schwert tragen kann. Ganz ähnlich erscheint
der minder vornehme Bogenschütze, der jedoch keinen Helm am
Haupte trägt, sondern barhaupt mit fliegendem Haare sich darstellt.
(Fig. 133.)*)

Von diesen bis jetzt ältesten Darstellungen einer Kriegstracht im
Mittelalter bis zu der nächsten klafft eine Lücke von 3 Jahrhunderten,
aber wir ersehen aus der nächsten; dass sich in dieser Zeit nur wenig
geändert hat. Die aus Elfenbein geschnitzten Reiterfiguren, zum
Schachbrette Karls des Grossen gehörig,**) zeigen uns die Kriegstracht
der Berittenen im 8. Jahrhundert. Das Haupt der einen ist von
einer kugelförmigen Haube bedeckt, der ganze Kopfteil mit Ausnahme
des Gesichtes mit einem Stoffe eingehüllt, der vermutlich eine Brünne
darstellt. Die Brust deckt ein eng an den Körper schliessender
Harnisch von Leder, mit viereckigen, übereinander fallenden Schuppen,
der bis an die Beine reicht. Die Ärmel sind kurz, die Unterarme
nackt. Die Unterschenkel scheinen in Lederstrümpfen zu stecken,
die Füsse sind von Sandalen bedeckt, an deren Fersenteil Sporen
mit stachelförmigen Hälsen befestigt sind. Die andere trägt über
eine lange Tunika einen ähnlichen Harnisch, jedoch mit unterhalb
abgerundeten, und gestielten Schuppen. Der Codex aureus von St.
Gallen zeigt uns im Gegensatze zu den vorgenannten Ausrüstungen
die Krieger in einer vollkommen der Antike entlehnten Tracht. Der
Helm erinnert an die der späteren Römerzeit, der Harnisch aber, bis an
die Kniee reichend, ist von Leder und mit zungenförmigen Schuppen
bedeckt. Die Ärmel sind kurz und lassen ein faltiges Untergewand
erblicken. Die Unterschenkel stecken in hohen Strümpfen, die bis
über das Knie reichen. Die Füsse sind mit Schuhen bekleidet. Über
den Harnisch trägt der Vornehme die Toga, die Handwaffe ist der
dünnschäftige Spiess oder das pilum. (Fig. 134.) Man sieht in der
Gesamtbetrachtung deutlich das Gemisch von orientalischen und an-
tiken Formen, aber auch wie wenig die Kriegstechnik seit dem 5.

*) Die andere hier erwähnte Figur des Bogenschützen ist in dem Abschnitte:
"Der Bogen", wiedergegeben.
**) Einst im Schatze der Abtei zu Saint-Denis, jetzt im Medaillenkabinett der
Nationalbibliothek zu Paris.

I. Die Schutzwaffen.
gefunden hat, und daſs endlich die spätere, ritterliche Tracht, der
Haubert die Brünne, der Helm etc. ihre Vorbilder im Oriente und
nicht in der antiken Welt gefunden haben. Der eine Reiter trägt
den niederen spitzen Helm mit der Brünne, die ein Kettengeflecht
darstellt. Eine Jacke und Beinkleider aus mit Lederstreifen besetztem
Stoffe bedecken den ganzen Körper, darüber erscheint ein langer
Haubert mit kurzen Ärmeln, vermutlich aus Leder mit dicht darauf
genieteten Blechscheibchen. Derselbe wird an den Lenden mit einem
gleichfalls mit Metall belegten Gürtel zusammengehalten, der mög-
licherweise auch ein Schwert tragen kann. Ganz ähnlich erscheint
der minder vornehme Bogenschütze, der jedoch keinen Helm am
Haupte trägt, sondern barhaupt mit fliegendem Haare sich darstellt.
(Fig. 133.)*)

Von diesen bis jetzt ältesten Darstellungen einer Kriegstracht im
Mittelalter bis zu der nächsten klafft eine Lücke von 3 Jahrhunderten,
aber wir ersehen aus der nächsten; daſs sich in dieser Zeit nur wenig
geändert hat. Die aus Elfenbein geschnitzten Reiterfiguren, zum
Schachbrette Karls des Groſsen gehörig,**) zeigen uns die Kriegstracht
der Berittenen im 8. Jahrhundert. Das Haupt der einen ist von
einer kugelförmigen Haube bedeckt, der ganze Kopfteil mit Ausnahme
des Gesichtes mit einem Stoffe eingehüllt, der vermutlich eine Brünne
darstellt. Die Brust deckt ein eng an den Körper schlieſsender
Harnisch von Leder, mit viereckigen, übereinander fallenden Schuppen,
der bis an die Beine reicht. Die Ärmel sind kurz, die Unterarme
nackt. Die Unterschenkel scheinen in Lederstrümpfen zu stecken,
die Füſse sind von Sandalen bedeckt, an deren Fersenteil Sporen
mit stachelförmigen Hälsen befestigt sind. Die andere trägt über
eine lange Tunika einen ähnlichen Harnisch, jedoch mit unterhalb
abgerundeten, und gestielten Schuppen. Der Codex aureus von St.
Gallen zeigt uns im Gegensatze zu den vorgenannten Ausrüstungen
die Krieger in einer vollkommen der Antike entlehnten Tracht. Der
Helm erinnert an die der späteren Römerzeit, der Harnisch aber, bis an
die Kniee reichend, ist von Leder und mit zungenförmigen Schuppen
bedeckt. Die Ärmel sind kurz und lassen ein faltiges Untergewand
erblicken. Die Unterschenkel stecken in hohen Strümpfen, die bis
über das Knie reichen. Die Füſse sind mit Schuhen bekleidet. Über
den Harnisch trägt der Vornehme die Toga, die Handwaffe ist der
dünnschäftige Spieſs oder das pilum. (Fig. 134.) Man sieht in der
Gesamtbetrachtung deutlich das Gemisch von orientalischen und an-
tiken Formen, aber auch wie wenig die Kriegstechnik seit dem 5.

*) Die andere hier erwähnte Figur des Bogenschützen ist in dem Abschnitte:
„Der Bogen“, wiedergegeben.
**) Einst im Schatze der Abtei zu Saint-Denis, jetzt im Medaillenkabinett der
Nationalbibliothek zu Paris.
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[124/0142] I. Die Schutzwaffen. gefunden hat, und daſs endlich die spätere, ritterliche Tracht, der Haubert die Brünne, der Helm etc. ihre Vorbilder im Oriente und nicht in der antiken Welt gefunden haben. Der eine Reiter trägt den niederen spitzen Helm mit der Brünne, die ein Kettengeflecht darstellt. Eine Jacke und Beinkleider aus mit Lederstreifen besetztem Stoffe bedecken den ganzen Körper, darüber erscheint ein langer Haubert mit kurzen Ärmeln, vermutlich aus Leder mit dicht darauf genieteten Blechscheibchen. Derselbe wird an den Lenden mit einem gleichfalls mit Metall belegten Gürtel zusammengehalten, der mög- licherweise auch ein Schwert tragen kann. Ganz ähnlich erscheint der minder vornehme Bogenschütze, der jedoch keinen Helm am Haupte trägt, sondern barhaupt mit fliegendem Haare sich darstellt. (Fig. 133.) *) Von diesen bis jetzt ältesten Darstellungen einer Kriegstracht im Mittelalter bis zu der nächsten klafft eine Lücke von 3 Jahrhunderten, aber wir ersehen aus der nächsten; daſs sich in dieser Zeit nur wenig geändert hat. Die aus Elfenbein geschnitzten Reiterfiguren, zum Schachbrette Karls des Groſsen gehörig, **) zeigen uns die Kriegstracht der Berittenen im 8. Jahrhundert. Das Haupt der einen ist von einer kugelförmigen Haube bedeckt, der ganze Kopfteil mit Ausnahme des Gesichtes mit einem Stoffe eingehüllt, der vermutlich eine Brünne darstellt. Die Brust deckt ein eng an den Körper schlieſsender Harnisch von Leder, mit viereckigen, übereinander fallenden Schuppen, der bis an die Beine reicht. Die Ärmel sind kurz, die Unterarme nackt. Die Unterschenkel scheinen in Lederstrümpfen zu stecken, die Füſse sind von Sandalen bedeckt, an deren Fersenteil Sporen mit stachelförmigen Hälsen befestigt sind. Die andere trägt über eine lange Tunika einen ähnlichen Harnisch, jedoch mit unterhalb abgerundeten, und gestielten Schuppen. Der Codex aureus von St. Gallen zeigt uns im Gegensatze zu den vorgenannten Ausrüstungen die Krieger in einer vollkommen der Antike entlehnten Tracht. Der Helm erinnert an die der späteren Römerzeit, der Harnisch aber, bis an die Kniee reichend, ist von Leder und mit zungenförmigen Schuppen bedeckt. Die Ärmel sind kurz und lassen ein faltiges Untergewand erblicken. Die Unterschenkel stecken in hohen Strümpfen, die bis über das Knie reichen. Die Füſse sind mit Schuhen bekleidet. Über den Harnisch trägt der Vornehme die Toga, die Handwaffe ist der dünnschäftige Spieſs oder das pilum. (Fig. 134.) Man sieht in der Gesamtbetrachtung deutlich das Gemisch von orientalischen und an- tiken Formen, aber auch wie wenig die Kriegstechnik seit dem 5. *) Die andere hier erwähnte Figur des Bogenschützen ist in dem Abschnitte: „Der Bogen“, wiedergegeben. **) Einst im Schatze der Abtei zu Saint-Denis, jetzt im Medaillenkabinett der Nationalbibliothek zu Paris.

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Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/142>, abgerufen am 21.11.2024.