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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

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Versuch über den Ursprung
ten Philosophen vorstellt, gleich als ob sie es zur
Danckbarkeit gegen den Mund thäten, aus wel-
chem sie ihre Wissenschaften erlernet haben.

Laßt uns nun in Griechenland übergehen, wo-
hin wir den Orpheus in gleicher Absicht aus Aegyp-
ten zurückkehren finden, in welcher Osyris und
Bacchus ihre Züge unternommen: Von diesem
Periodo an ists, daß Griechenland zuerst den Nah-
men der Satyren gehört, oder sie für Semideos
erkennt hat: Und aus diesem läßt sich gantz ver-
nünftig schliessen, daß er einige von diesem wun-
derbaren Geschlecht, die auch einen Anführer
von der Linie Pans gehabt, gleichen Nahmens,
und welchen Theocritus, ausdrücklich einen Kö-
nig nennet, mit sich gebracht habe. Wenn
man so viel gestehet, so ist mir leicht, von zwoen
der ausserordentlichsten Erzehlungen in dem gan-
zen Alterthum Rechenschaft zu geben: Für das
erste erhellet, daß die Tradition von des Orpheus
Musik, deren die unvernünftigen Thiere nachge-
folget, (welches man von seiner Kunst wilde und
unbändige Gemüther zu zähmen erkläret hat) dem
Buchstaben nach verstanden werden müsse: Und
zweytens, (worauf wir besonders dringen), daß
die Liebe, welche diese Weise gegen unser weibli-
ches Geschlecht tragen, eine Auflösung aller der
Fabeln alter Zeiten, nach welchen die Götter in
Gestalt gewisser Thiere in den Wäldern Weibs-
personen beschlaffen haben, an die Hand giebt.
Jch weiß wol, man kan einwenden, es heisse, sie
seyn in Gestalt verschiedener Thiere beschlaffen
worden: Allein auf dieses antworten wir, daß das

Frauen-

Verſuch uͤber den Urſprung
ten Philoſophen vorſtellt, gleich als ob ſie es zur
Danckbarkeit gegen den Mund thaͤten, aus wel-
chem ſie ihre Wiſſenſchaften erlernet haben.

Laßt uns nun in Griechenland uͤbergehen, wo-
hin wir den Orpheus in gleicher Abſicht aus Aegyp-
ten zuruͤckkehren finden, in welcher Oſyris und
Bacchus ihre Zuͤge unternommen: Von dieſem
Periodo an iſts, daß Griechenland zuerſt den Nah-
men der Satyren gehoͤrt, oder ſie fuͤr Semideos
erkennt hat: Und aus dieſem laͤßt ſich gantz ver-
nuͤnftig ſchlieſſen, daß er einige von dieſem wun-
derbaren Geſchlecht, die auch einen Anfuͤhrer
von der Linie Pans gehabt, gleichen Nahmens,
und welchen Theocritus, ausdruͤcklich einen Koͤ-
nig nennet, mit ſich gebracht habe. Wenn
man ſo viel geſtehet, ſo iſt mir leicht, von zwoen
der auſſerordentlichſten Erzehlungen in dem gan-
zen Alterthum Rechenſchaft zu geben: Fuͤr das
erſte erhellet, daß die Tradition von des Orpheus
Muſik, deren die unvernuͤnftigen Thiere nachge-
folget, (welches man von ſeiner Kunſt wilde und
unbaͤndige Gemuͤther zu zaͤhmen erklaͤret hat) dem
Buchſtaben nach verſtanden werden muͤſſe: Und
zweytens, (worauf wir beſonders dringen), daß
die Liebe, welche dieſe Weiſe gegen unſer weibli-
ches Geſchlecht tragen, eine Aufloͤſung aller der
Fabeln alter Zeiten, nach welchen die Goͤtter in
Geſtalt gewiſſer Thiere in den Waͤldern Weibs-
perſonen beſchlaffen haben, an die Hand giebt.
Jch weiß wol, man kan einwenden, es heiſſe, ſie
ſeyn in Geſtalt verſchiedener Thiere beſchlaffen
worden: Allein auf dieſes antworten wir, daß das

Frauen-
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[42/0044] Verſuch uͤber den Urſprung ten Philoſophen vorſtellt, gleich als ob ſie es zur Danckbarkeit gegen den Mund thaͤten, aus wel- chem ſie ihre Wiſſenſchaften erlernet haben. Laßt uns nun in Griechenland uͤbergehen, wo- hin wir den Orpheus in gleicher Abſicht aus Aegyp- ten zuruͤckkehren finden, in welcher Oſyris und Bacchus ihre Zuͤge unternommen: Von dieſem Periodo an iſts, daß Griechenland zuerſt den Nah- men der Satyren gehoͤrt, oder ſie fuͤr Semideos erkennt hat: Und aus dieſem laͤßt ſich gantz ver- nuͤnftig ſchlieſſen, daß er einige von dieſem wun- derbaren Geſchlecht, die auch einen Anfuͤhrer von der Linie Pans gehabt, gleichen Nahmens, und welchen Theocritus, ausdruͤcklich einen Koͤ- nig nennet, mit ſich gebracht habe. Wenn man ſo viel geſtehet, ſo iſt mir leicht, von zwoen der auſſerordentlichſten Erzehlungen in dem gan- zen Alterthum Rechenſchaft zu geben: Fuͤr das erſte erhellet, daß die Tradition von des Orpheus Muſik, deren die unvernuͤnftigen Thiere nachge- folget, (welches man von ſeiner Kunſt wilde und unbaͤndige Gemuͤther zu zaͤhmen erklaͤret hat) dem Buchſtaben nach verſtanden werden muͤſſe: Und zweytens, (worauf wir beſonders dringen), daß die Liebe, welche dieſe Weiſe gegen unſer weibli- ches Geſchlecht tragen, eine Aufloͤſung aller der Fabeln alter Zeiten, nach welchen die Goͤtter in Geſtalt gewiſſer Thiere in den Waͤldern Weibs- perſonen beſchlaffen haben, an die Hand giebt. Jch weiß wol, man kan einwenden, es heiſſe, ſie ſeyn in Geſtalt verſchiedener Thiere beſchlaffen worden: Allein auf dieſes antworten wir, daß das Frauen-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/44>, abgerufen am 29.03.2024.