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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

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Versuch über den Ursprung
halb als ein Thier vorstellen, anbey aufrecht ge-
hend, mit einem Stab in der Hand; welches
eben die Postur ist, in welcher man uns, seine
Nachkommen, biß auf den heutigen Tag sehen
läßt. Und da seine vornehmste Bemühung gewe-
sen, die Menschen ein bürgerliches Leben zu leh-
ren, so gewinnt es wol das Ansehen, daß man
die ersten Anfänge der Wissenschaften nirgend an-
derstwoher zu leiten habe, als von diesem Volck;
welches die Götter, wie Homerus berichtet, alle
Jahr zwölf Tage lang besuchet, nur daß sie des
Umgangs mit solch weisen und gerechten Einwoh-
nern der Erden pflegen könnten.

Gehen wir nun aus Aegypten fort, und bese-
hen Jndien, so werden wir finden, daß die Wis-
senschaften auch da von einer gleichen Quelle herrüh-
ren. Diese edle Geschöpfe begleiteten nemlich den
Bacchus auf seinem Zuge in diese Länder, unter
der Anführung des Silenus, welcher uns mit
eben denselben Merckmahlen und Eigenschaften be-
schrieben wird: Man weiß nicht, sagt Diodorus,
wo Silenus sein sehr altes Geschlecht herführet;
Er trug aber einen Schweif an seinen Lenden,
so wie alle seine Nachkommen zum Zeichen ihrer
Abstammung. Hier dann sezten sie eine Colonie
ab, welche bis auf den heutigen Tag mit derglei-
chen Schweiffen bestehet. Und von dieser Zeit an
haben sie sich, wie es scheint, nur denjenigen un-
ter den Menschen mitgetheilet, welche den Um-
gang ihres eigenen Geschlechts verlassen, und
sich zu einer weniger unterbrochenen contenplativi-
schen Lebensart gewendet haben. Mir kömmt

sehr

Verſuch uͤber den Urſprung
halb als ein Thier vorſtellen, anbey aufrecht ge-
hend, mit einem Stab in der Hand; welches
eben die Poſtur iſt, in welcher man uns, ſeine
Nachkommen, biß auf den heutigen Tag ſehen
laͤßt. Und da ſeine vornehmſte Bemuͤhung gewe-
ſen, die Menſchen ein buͤrgerliches Leben zu leh-
ren, ſo gewinnt es wol das Anſehen, daß man
die erſten Anfaͤnge der Wiſſenſchaften nirgend an-
derſtwoher zu leiten habe, als von dieſem Volck;
welches die Goͤtter, wie Homerus berichtet, alle
Jahr zwoͤlf Tage lang beſuchet, nur daß ſie des
Umgangs mit ſolch weiſen und gerechten Einwoh-
nern der Erden pflegen koͤnnten.

Gehen wir nun aus Aegypten fort, und beſe-
hen Jndien, ſo werden wir finden, daß die Wiſ-
ſenſchaften auch da von einer gleichen Quelle herruͤh-
ren. Dieſe edle Geſchoͤpfe begleiteten nemlich den
Bacchus auf ſeinem Zuge in dieſe Laͤnder, unter
der Anfuͤhrung des Silenus, welcher uns mit
eben denſelben Merckmahlen und Eigenſchaften be-
ſchrieben wird: Man weiß nicht, ſagt Diodorus,
wo Silenus ſein ſehr altes Geſchlecht herfuͤhret;
Er trug aber einen Schweif an ſeinen Lenden,
ſo wie alle ſeine Nachkommen zum Zeichen ihrer
Abſtammung. Hier dann ſezten ſie eine Colonie
ab, welche bis auf den heutigen Tag mit derglei-
chen Schweiffen beſtehet. Und von dieſer Zeit an
haben ſie ſich, wie es ſcheint, nur denjenigen un-
ter den Menſchen mitgetheilet, welche den Um-
gang ihres eigenen Geſchlechts verlaſſen, und
ſich zu einer weniger unterbrochenen contenplativi-
ſchen Lebensart gewendet haben. Mir koͤmmt

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[40/0042] Verſuch uͤber den Urſprung halb als ein Thier vorſtellen, anbey aufrecht ge- hend, mit einem Stab in der Hand; welches eben die Poſtur iſt, in welcher man uns, ſeine Nachkommen, biß auf den heutigen Tag ſehen laͤßt. Und da ſeine vornehmſte Bemuͤhung gewe- ſen, die Menſchen ein buͤrgerliches Leben zu leh- ren, ſo gewinnt es wol das Anſehen, daß man die erſten Anfaͤnge der Wiſſenſchaften nirgend an- derſtwoher zu leiten habe, als von dieſem Volck; welches die Goͤtter, wie Homerus berichtet, alle Jahr zwoͤlf Tage lang beſuchet, nur daß ſie des Umgangs mit ſolch weiſen und gerechten Einwoh- nern der Erden pflegen koͤnnten. Gehen wir nun aus Aegypten fort, und beſe- hen Jndien, ſo werden wir finden, daß die Wiſ- ſenſchaften auch da von einer gleichen Quelle herruͤh- ren. Dieſe edle Geſchoͤpfe begleiteten nemlich den Bacchus auf ſeinem Zuge in dieſe Laͤnder, unter der Anfuͤhrung des Silenus, welcher uns mit eben denſelben Merckmahlen und Eigenſchaften be- ſchrieben wird: Man weiß nicht, ſagt Diodorus, wo Silenus ſein ſehr altes Geſchlecht herfuͤhret; Er trug aber einen Schweif an ſeinen Lenden, ſo wie alle ſeine Nachkommen zum Zeichen ihrer Abſtammung. Hier dann ſezten ſie eine Colonie ab, welche bis auf den heutigen Tag mit derglei- chen Schweiffen beſtehet. Und von dieſer Zeit an haben ſie ſich, wie es ſcheint, nur denjenigen un- ter den Menſchen mitgetheilet, welche den Um- gang ihres eigenen Geſchlechts verlaſſen, und ſich zu einer weniger unterbrochenen contenplativi- ſchen Lebensart gewendet haben. Mir koͤmmt ſehr

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/42>, abgerufen am 29.03.2024.