Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744.

Bild:
<< vorherige Seite

der Wissenschaften.
eben so sehr hervorgethan haben, obgleich keine
Spuhren ihrer bürgerlichen Anordnungen mehr
übergeblieben sind. Es sind wol eben so grosse
Reiche in dem Schiffbruch der Zeiten verschlun-
gen worden, und dergleichen Zeitläuffe über sie
verhänget gewesen, die eine gäntzliche Vergessen-
heit ihrer Geschichte verursachet haben. Und wenn
ich muthmassen sollte, daß diesem Volck durch ei-
ne allgemeine Ausrottung desselben, von den Hee-
ren der ungeheuren Vögel, welche sie, nach einhel-
ligem Bericht der alten Scribenten, immer zu
Feinden gehabt haben, ein gleiches begegnet sey,
so möchte ich wol nichts unglaublicheres vorbringen,
als wenn wir lesen, daß eine von den Baleari-
schen Jnseln durch Kaninichen, Smynthe durch
die Mäuse, und noch unlängst Bermudas beyna-
he, durch die Ratten, gäntzlich verwüstet, und ihrer
Einwohner entblösset worden. Nichts ist natür-
licher, als sich vorzustellen, daß die wenige über-
gebliebene sich hernach weit in ihre Wüsten hin-
eingezogen, allwo sie ungestört gelebt, biß sie Osy-
ris auf seiner Reise, welche er die Menschen zu
unterrichten vorgenommen, gefunden hat. Er
traff
(sagt Diodorus) in Aethiopien eine Art
kleiner Satyren an, die biß auf den halben
Leib mit Haaren bewachsen gewesen,
und derer
Haupt Pan ihn auf seinem Zug begleitete. Nun
was diesen berühmten Pan angehet, so geben uns
die alten Scribenten eine umständliche Beschrei-
bung desselben, und kommen alle einmüthig darinn
überein, daß sie ihn rauch, bärticht, überall mit
Haaren bewachsen, halb als einen Menschen und

halb
C 4

der Wiſſenſchaften.
eben ſo ſehr hervorgethan haben, obgleich keine
Spuhren ihrer buͤrgerlichen Anordnungen mehr
uͤbergeblieben ſind. Es ſind wol eben ſo groſſe
Reiche in dem Schiffbruch der Zeiten verſchlun-
gen worden, und dergleichen Zeitlaͤuffe uͤber ſie
verhaͤnget geweſen, die eine gaͤntzliche Vergeſſen-
heit ihrer Geſchichte verurſachet haben. Und wenn
ich muthmaſſen ſollte, daß dieſem Volck durch ei-
ne allgemeine Ausrottung deſſelben, von den Hee-
ren der ungeheuren Voͤgel, welche ſie, nach einhel-
ligem Bericht der alten Scribenten, immer zu
Feinden gehabt haben, ein gleiches begegnet ſey,
ſo moͤchte ich wol nichts unglaublicheres vorbringen,
als wenn wir leſen, daß eine von den Baleari-
ſchen Jnſeln durch Kaninichen, Smynthe durch
die Maͤuſe, und noch unlaͤngſt Bermudas beyna-
he, durch die Ratten, gaͤntzlich verwuͤſtet, und ihrer
Einwohner entbloͤſſet worden. Nichts iſt natuͤr-
licher, als ſich vorzuſtellen, daß die wenige uͤber-
gebliebene ſich hernach weit in ihre Wuͤſten hin-
eingezogen, allwo ſie ungeſtoͤrt gelebt, biß ſie Oſy-
ris auf ſeiner Reiſe, welche er die Menſchen zu
unterrichten vorgenommen, gefunden hat. Er
traff
(ſagt Diodorus) in Aethiopien eine Art
kleiner Satyren an, die biß auf den halben
Leib mit Haaren bewachſen geweſen,
und derer
Haupt Pan ihn auf ſeinem Zug begleitete. Nun
was dieſen beruͤhmten Pan angehet, ſo geben uns
die alten Scribenten eine umſtaͤndliche Beſchrei-
bung deſſelben, und kommen alle einmuͤthig darinn
uͤberein, daß ſie ihn rauch, baͤrticht, uͤberall mit
Haaren bewachſen, halb als einen Menſchen und

halb
C 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0041" n="39"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</hi></fw><lb/>
eben &#x017F;o &#x017F;ehr hervorgethan haben, obgleich keine<lb/>
Spuhren ihrer bu&#x0364;rgerlichen Anordnungen mehr<lb/>
u&#x0364;bergeblieben &#x017F;ind. Es &#x017F;ind wol eben &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Reiche in dem Schiffbruch der Zeiten ver&#x017F;chlun-<lb/>
gen worden, und dergleichen Zeitla&#x0364;uffe u&#x0364;ber &#x017F;ie<lb/>
verha&#x0364;nget gewe&#x017F;en, die eine ga&#x0364;ntzliche Verge&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
heit ihrer Ge&#x017F;chichte verur&#x017F;achet haben. Und wenn<lb/>
ich muthma&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollte, daß die&#x017F;em Volck durch ei-<lb/>
ne allgemeine Ausrottung de&#x017F;&#x017F;elben, von den Hee-<lb/>
ren der ungeheuren Vo&#x0364;gel, welche &#x017F;ie, nach einhel-<lb/>
ligem Bericht der alten Scribenten, immer zu<lb/>
Feinden gehabt haben, ein gleiches begegnet &#x017F;ey,<lb/>
&#x017F;o mo&#x0364;chte ich wol nichts unglaublicheres vorbringen,<lb/>
als wenn wir le&#x017F;en, daß eine von den Baleari-<lb/>
&#x017F;chen Jn&#x017F;eln durch Kaninichen, Smynthe durch<lb/>
die Ma&#x0364;u&#x017F;e, und noch unla&#x0364;ng&#x017F;t Bermudas beyna-<lb/>
he, durch die Ratten, ga&#x0364;ntzlich verwu&#x0364;&#x017F;tet, und ihrer<lb/>
Einwohner entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;et worden. Nichts i&#x017F;t natu&#x0364;r-<lb/>
licher, als &#x017F;ich vorzu&#x017F;tellen, daß die wenige u&#x0364;ber-<lb/>
gebliebene &#x017F;ich hernach weit in ihre Wu&#x0364;&#x017F;ten hin-<lb/>
eingezogen, allwo &#x017F;ie unge&#x017F;to&#x0364;rt gelebt, biß &#x017F;ie O&#x017F;y-<lb/>
ris auf &#x017F;einer Rei&#x017F;e, welche er die Men&#x017F;chen zu<lb/>
unterrichten vorgenommen, gefunden hat. <hi rendition="#fr">Er<lb/>
traff</hi> (&#x017F;agt Diodorus) <hi rendition="#fr">in Aethiopien eine Art<lb/>
kleiner Satyren an, die biß auf den halben<lb/>
Leib mit Haaren bewach&#x017F;en gewe&#x017F;en,</hi> und derer<lb/>
Haupt <hi rendition="#fr">Pan</hi> ihn auf &#x017F;einem Zug begleitete. Nun<lb/>
was die&#x017F;en beru&#x0364;hmten Pan angehet, &#x017F;o geben uns<lb/>
die alten Scribenten eine um&#x017F;ta&#x0364;ndliche Be&#x017F;chrei-<lb/>
bung de&#x017F;&#x017F;elben, und kommen alle einmu&#x0364;thig darinn<lb/>
u&#x0364;berein, daß &#x017F;ie ihn rauch, ba&#x0364;rticht, u&#x0364;berall mit<lb/>
Haaren bewach&#x017F;en, halb als einen Men&#x017F;chen und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 4</fw><fw place="bottom" type="catch">halb</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0041] der Wiſſenſchaften. eben ſo ſehr hervorgethan haben, obgleich keine Spuhren ihrer buͤrgerlichen Anordnungen mehr uͤbergeblieben ſind. Es ſind wol eben ſo groſſe Reiche in dem Schiffbruch der Zeiten verſchlun- gen worden, und dergleichen Zeitlaͤuffe uͤber ſie verhaͤnget geweſen, die eine gaͤntzliche Vergeſſen- heit ihrer Geſchichte verurſachet haben. Und wenn ich muthmaſſen ſollte, daß dieſem Volck durch ei- ne allgemeine Ausrottung deſſelben, von den Hee- ren der ungeheuren Voͤgel, welche ſie, nach einhel- ligem Bericht der alten Scribenten, immer zu Feinden gehabt haben, ein gleiches begegnet ſey, ſo moͤchte ich wol nichts unglaublicheres vorbringen, als wenn wir leſen, daß eine von den Baleari- ſchen Jnſeln durch Kaninichen, Smynthe durch die Maͤuſe, und noch unlaͤngſt Bermudas beyna- he, durch die Ratten, gaͤntzlich verwuͤſtet, und ihrer Einwohner entbloͤſſet worden. Nichts iſt natuͤr- licher, als ſich vorzuſtellen, daß die wenige uͤber- gebliebene ſich hernach weit in ihre Wuͤſten hin- eingezogen, allwo ſie ungeſtoͤrt gelebt, biß ſie Oſy- ris auf ſeiner Reiſe, welche er die Menſchen zu unterrichten vorgenommen, gefunden hat. Er traff (ſagt Diodorus) in Aethiopien eine Art kleiner Satyren an, die biß auf den halben Leib mit Haaren bewachſen geweſen, und derer Haupt Pan ihn auf ſeinem Zug begleitete. Nun was dieſen beruͤhmten Pan angehet, ſo geben uns die alten Scribenten eine umſtaͤndliche Beſchrei- bung deſſelben, und kommen alle einmuͤthig darinn uͤberein, daß ſie ihn rauch, baͤrticht, uͤberall mit Haaren bewachſen, halb als einen Menſchen und halb C 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/41
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 12. Zürich, 1744, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung12_1744/41>, abgerufen am 19.04.2024.