[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.eine poetische Erzehlung. einander bestürmeten. Der Schluß war dieser:Arion sollte sich von der Höhe des Schiffes hinun- ter in das Meer stürtzen. Was sollte er thun? Scharfe Mordeisen, die vor und hinter ihm blinke- ten, verschlossen weitern Bitten den Weg, und nöthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff- Knechte gefället hatten, ungesäumt an sich zu voll- ziehen. Er ergriff seine Harfe, seine beständige Begleiterinn, die Trösterinn in seinem Unglücke, küssend. Komm, sagte er, komm du Stiffterinn meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines, komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod versüssen. Und indem er selbige zwischen seinen Armen hält, tritt er den lezten Weg betrübet und langsam an, und stieg auf den Vörderschnabel am Schiffe. Hier sah er sich ängstlich nach der Gegend um, von welcher er gekommen, nach dem sichern Gestade, das er in einer unglückseligen Stunde verlassen, und sich dem gefährlichen Kiele anvertrauet, der ihn dem unversehenen Tode zu- führete. Aber vergebens. Auf allen Seiten ist nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken, die der Wind hinter dem Meere, das eine öde und unermeßliche Ebne schien, herfür jagte. Es grauete ihm vor den ungeheuren Gestalten, mit denen das Wasser auf der Fläche und in der Tiefe besetzet war. Entweder würde ihn der Meerwolf mit scharfgespitzten Zähnen, zwischen welchen die rothen Ueberbleibsel von dem letzten Raube noch stecketen, mitten entzwey sagen; oder eine gräuliche Schlan- ge, die in rothe, grüne, und gelbe Schuppen verpantzert ist, deren Augen mit Blut und Gift unter-
eine poetiſche Erzehlung. einander beſtuͤrmeten. Der Schluß war dieſer:Arion ſollte ſich von der Hoͤhe des Schiffes hinun- ter in das Meer ſtuͤrtzen. Was ſollte er thun? Scharfe Mordeiſen, die vor und hinter ihm blinke- ten, verſchloſſen weitern Bitten den Weg, und noͤthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff- Knechte gefaͤllet hatten, ungeſaͤumt an ſich zu voll- ziehen. Er ergriff ſeine Harfe, ſeine beſtaͤndige Begleiterinn, die Troͤſterinn in ſeinem Ungluͤcke, kuͤſſend. Komm, ſagte er, komm du Stiffterinn meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines, komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod verſuͤſſen. Und indem er ſelbige zwiſchen ſeinen Armen haͤlt, tritt er den lezten Weg betruͤbet und langſam an, und ſtieg auf den Voͤrderſchnabel am Schiffe. Hier ſah er ſich aͤngſtlich nach der Gegend um, von welcher er gekommen, nach dem ſichern Geſtade, das er in einer ungluͤckſeligen Stunde verlaſſen, und ſich dem gefaͤhrlichen Kiele anvertrauet, der ihn dem unverſehenen Tode zu- fuͤhrete. Aber vergebens. Auf allen Seiten iſt nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken, die der Wind hinter dem Meere, das eine oͤde und unermeßliche Ebne ſchien, herfuͤr jagte. Es grauete ihm vor den ungeheuren Geſtalten, mit denen das Waſſer auf der Flaͤche und in der Tiefe beſetzet war. Entweder wuͤrde ihn der Meerwolf mit ſcharfgeſpitzten Zaͤhnen, zwiſchen welchen die rothen Ueberbleibſel von dem letzten Raube noch ſtecketen, mitten entzwey ſagen; oder eine graͤuliche Schlan- ge, die in rothe, gruͤne, und gelbe Schuppen verpantzert iſt, deren Augen mit Blut und Gift unter-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0077" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">eine poetiſche Erzehlung.</hi></fw><lb/> einander beſtuͤrmeten. Der Schluß war dieſer:<lb/> Arion ſollte ſich von der Hoͤhe des Schiffes hinun-<lb/> ter in das Meer ſtuͤrtzen. Was ſollte er thun?<lb/> Scharfe Mordeiſen, die vor und hinter ihm blinke-<lb/> ten, verſchloſſen weitern Bitten den Weg, und<lb/> noͤthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff-<lb/> Knechte gefaͤllet hatten, ungeſaͤumt an ſich zu voll-<lb/> ziehen. Er ergriff ſeine Harfe, ſeine beſtaͤndige<lb/> Begleiterinn, die Troͤſterinn in ſeinem Ungluͤcke,<lb/> kuͤſſend. Komm, ſagte er, komm du Stiffterinn<lb/> meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines,<lb/> komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod<lb/> verſuͤſſen. Und indem er ſelbige zwiſchen ſeinen<lb/> Armen haͤlt, tritt er den lezten Weg betruͤbet und<lb/> langſam an, und ſtieg auf den Voͤrderſchnabel<lb/> am Schiffe. Hier ſah er ſich aͤngſtlich nach der<lb/> Gegend um, von welcher er gekommen, nach<lb/> dem ſichern Geſtade, das er in einer ungluͤckſeligen<lb/> Stunde verlaſſen, und ſich dem gefaͤhrlichen Kiele<lb/> anvertrauet, der ihn dem unverſehenen Tode zu-<lb/> fuͤhrete. Aber vergebens. Auf allen Seiten iſt<lb/> nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken,<lb/> die der Wind hinter dem Meere, das eine oͤde und<lb/> unermeßliche Ebne ſchien, herfuͤr jagte. Es grauete<lb/> ihm vor den ungeheuren Geſtalten, mit denen das<lb/> Waſſer auf der Flaͤche und in der Tiefe beſetzet<lb/> war. Entweder wuͤrde ihn der Meerwolf mit<lb/> ſcharfgeſpitzten Zaͤhnen, zwiſchen welchen die rothen<lb/> Ueberbleibſel von dem letzten Raube noch ſtecketen,<lb/> mitten entzwey ſagen; oder eine graͤuliche Schlan-<lb/> ge, die in rothe, gruͤne, und gelbe Schuppen<lb/> verpantzert iſt, deren Augen mit Blut und Gift<lb/> <fw place="bottom" type="catch">unter-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0077]
eine poetiſche Erzehlung.
einander beſtuͤrmeten. Der Schluß war dieſer:
Arion ſollte ſich von der Hoͤhe des Schiffes hinun-
ter in das Meer ſtuͤrtzen. Was ſollte er thun?
Scharfe Mordeiſen, die vor und hinter ihm blinke-
ten, verſchloſſen weitern Bitten den Weg, und
noͤthigten ihn das Todes-Urtheil, das die Schiff-
Knechte gefaͤllet hatten, ungeſaͤumt an ſich zu voll-
ziehen. Er ergriff ſeine Harfe, ſeine beſtaͤndige
Begleiterinn, die Troͤſterinn in ſeinem Ungluͤcke,
kuͤſſend. Komm, ſagte er, komm du Stiffterinn
meiner vormahligen Freuden. Thue noch eines,
komm, und hilff deinem Freunde auch den Tod
verſuͤſſen. Und indem er ſelbige zwiſchen ſeinen
Armen haͤlt, tritt er den lezten Weg betruͤbet und
langſam an, und ſtieg auf den Voͤrderſchnabel
am Schiffe. Hier ſah er ſich aͤngſtlich nach der
Gegend um, von welcher er gekommen, nach
dem ſichern Geſtade, das er in einer ungluͤckſeligen
Stunde verlaſſen, und ſich dem gefaͤhrlichen Kiele
anvertrauet, der ihn dem unverſehenen Tode zu-
fuͤhrete. Aber vergebens. Auf allen Seiten iſt
nichts als trauriges Schwartzes von Wolcken,
die der Wind hinter dem Meere, das eine oͤde und
unermeßliche Ebne ſchien, herfuͤr jagte. Es grauete
ihm vor den ungeheuren Geſtalten, mit denen das
Waſſer auf der Flaͤche und in der Tiefe beſetzet
war. Entweder wuͤrde ihn der Meerwolf mit
ſcharfgeſpitzten Zaͤhnen, zwiſchen welchen die rothen
Ueberbleibſel von dem letzten Raube noch ſtecketen,
mitten entzwey ſagen; oder eine graͤuliche Schlan-
ge, die in rothe, gruͤne, und gelbe Schuppen
verpantzert iſt, deren Augen mit Blut und Gift
unter-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |