[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.
überlegt, wie heilsam es für die allgemeine Si- "könne über diese Frage nichts gewisses bestim- kömmt aber aller Unterschied in Absicht auf die Ge- über
uͤberlegt, wie heilſam es fuͤr die allgemeine Si- „koͤnne uͤber dieſe Frage nichts gewiſſes beſtim- koͤmmt aber aller Unterſchied in Abſicht auf die Ge- uͤber
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Von Langnau Schreiben
„lebende, als gegen bereits verſtorbene zu gebrau-
„chen.„ Bald aber, nachdem ihr ein wenig
uͤberlegt, wie heilſam es fuͤr die allgemeine Si-
cherheit einiger heutigen Schriftverfaſſer ſeyn wuͤr-
de, wenn man die noch lebenden mit Criticken und
Tadel verſchonen wollte; ſo erklaͤret ihr euch, „man
„koͤnne uͤber dieſe Frage nichts gewiſſes beſtim-
„men; ſondern es komme auf die Gemuͤths-Be-
„ſchaffenheit eines jeden Kunſtrichters an.„ Es
koͤmmt aber aller Unterſchied in Abſicht auf die Ge-
muͤthsbeſchaffenheit eines Kunſtrichters darauf an;
daß er in ſeinen Urtheilen von dem Schoͤnen und
Tadelhaften einer Schrift entweder gerecht und
beſcheiden; oder ungerecht und ſtoͤrriſch iſt: Jſt er
gerecht und beſcheiden, warum ſollte er nicht ſo
wohl berechtiget ſeyn, die Lebenden, als die Todten
fuͤr ſein Gericht zu fodern? Die Haupt-Abſicht
eines Schriftenrichters gehet voͤrderſt auf die Ver-
beſſerung desjenigen, der gefehlet hat; wo kan
man aber von einem Todten einige Beſſerung hof-
fen? Folglich kan die voͤrderſte Haupt-Abſicht
der Critick bey den Todten unmoͤglich erzielet wer-
den. Jſt im Gegentheil ein Kunſtrichter in ſei-
nen Urtheilen ungerecht und ſtoͤrriſch, wer will ihm
denn die Todten Preis geben? Jſt es nicht eine
doppelte Ungerechtigkeit, mortuo inſultare leoni,
einen Todten verleumden; der ſich nicht mehr ver-
antworten kan? Darum wird auch in foro civili
keine Actio gegen einen Todten verſtattet. Jch
moͤchte demnach wol ſehen, wie ihr aus der Ge-
muͤthsbeſchaffenheit eines Schriftenrichters jemals
die Nothwendigkeit und den Vorzug der Critick
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