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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Versuch eines Gedichtes
welchem der Höchste seine Gegenwart auf eine
ausnehmende Art gegönnet, und es gewürdi-
get, daß er selbst die Religion und die Policey
bey ihm eingerichtet, und ihre Sitten und
Gesetze verfasset hat.

Eine Materie aus der wahren Religion,
wie damahls die Jüdische war, hat vor einem
Gedichte, das auf die Heidnische Mytholo-
gie gegründet ist, den Vortheil der Wahr-
scheinlichkeit in seinen wunderbarsten Erdich-
tungen. Wo der Poet seine Zuflucht zu den
Gottheiten der Heiden nehmen muß, höret
die Wahrscheinlichkeit bey unsern Lesern also-
bald auf, weil ihnen nicht wahrscheinlich vor-
kommen kan, was von ihnen nicht nur vor
falsch, sondern vor unmöglich gehalten wird;
Nun ist unmöglich, daß durch die Macht die-
ser Götzen, die ein eiteles Hirngespinste sind,
Dinge geschehen, welche die Natur und das
Vermögen der Menschen üdersteigen. Hier-
zu kömmt, daß die wahre Religion eine an-
dere Hoheit, eine andere Würde, eine andere
Majestät, so wohl in den himmlischen und den
höllischen Versammlungen, als in den Wahr-
sagungen und den feyerlichen Solennitäten mit
sich führet, als die Heidnische thun würde.
Die Hebräische hat in diesen Stücken, in den
Festen, den Ceremonien, den Sitten, einen
solchen Pomp, mit welchem die Heidnischen

Opfer-

Verſuch eines Gedichtes
welchem der Hoͤchſte ſeine Gegenwart auf eine
ausnehmende Art gegoͤnnet, und es gewuͤrdi-
get, daß er ſelbſt die Religion und die Policey
bey ihm eingerichtet, und ihre Sitten und
Geſetze verfaſſet hat.

Eine Materie aus der wahren Religion,
wie damahls die Juͤdiſche war, hat vor einem
Gedichte, das auf die Heidniſche Mytholo-
gie gegruͤndet iſt, den Vortheil der Wahr-
ſcheinlichkeit in ſeinen wunderbarſten Erdich-
tungen. Wo der Poet ſeine Zuflucht zu den
Gottheiten der Heiden nehmen muß, hoͤret
die Wahrſcheinlichkeit bey unſern Leſern alſo-
bald auf, weil ihnen nicht wahrſcheinlich vor-
kommen kan, was von ihnen nicht nur vor
falſch, ſondern vor unmoͤglich gehalten wird;
Nun iſt unmoͤglich, daß durch die Macht die-
ſer Goͤtzen, die ein eiteles Hirngeſpinſte ſind,
Dinge geſchehen, welche die Natur und das
Vermoͤgen der Menſchen uͤderſteigen. Hier-
zu koͤmmt, daß die wahre Religion eine an-
dere Hoheit, eine andere Wuͤrde, eine andere
Majeſtaͤt, ſo wohl in den himmliſchen und den
hoͤlliſchen Verſammlungen, als in den Wahr-
ſagungen und den feyerlichen Solennitaͤten mit
ſich fuͤhret, als die Heidniſche thun wuͤrde.
Die Hebraͤiſche hat in dieſen Stuͤcken, in den
Feſten, den Ceremonien, den Sitten, einen
ſolchen Pomp, mit welchem die Heidniſchen

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[6/0006] Verſuch eines Gedichtes welchem der Hoͤchſte ſeine Gegenwart auf eine ausnehmende Art gegoͤnnet, und es gewuͤrdi- get, daß er ſelbſt die Religion und die Policey bey ihm eingerichtet, und ihre Sitten und Geſetze verfaſſet hat. Eine Materie aus der wahren Religion, wie damahls die Juͤdiſche war, hat vor einem Gedichte, das auf die Heidniſche Mytholo- gie gegruͤndet iſt, den Vortheil der Wahr- ſcheinlichkeit in ſeinen wunderbarſten Erdich- tungen. Wo der Poet ſeine Zuflucht zu den Gottheiten der Heiden nehmen muß, hoͤret die Wahrſcheinlichkeit bey unſern Leſern alſo- bald auf, weil ihnen nicht wahrſcheinlich vor- kommen kan, was von ihnen nicht nur vor falſch, ſondern vor unmoͤglich gehalten wird; Nun iſt unmoͤglich, daß durch die Macht die- ſer Goͤtzen, die ein eiteles Hirngeſpinſte ſind, Dinge geſchehen, welche die Natur und das Vermoͤgen der Menſchen uͤderſteigen. Hier- zu koͤmmt, daß die wahre Religion eine an- dere Hoheit, eine andere Wuͤrde, eine andere Majeſtaͤt, ſo wohl in den himmliſchen und den hoͤlliſchen Verſammlungen, als in den Wahr- ſagungen und den feyerlichen Solennitaͤten mit ſich fuͤhret, als die Heidniſche thun wuͤrde. Die Hebraͤiſche hat in dieſen Stuͤcken, in den Feſten, den Ceremonien, den Sitten, einen ſolchen Pomp, mit welchem die Heidniſchen Opfer-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/6>, abgerufen am 25.11.2024.