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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.
gehören zu der lirischen Art; seine Vorgänger
haben kaum was anders gemachet, als Hoch-
zeitgedichte, etliche falschgenannte Oden, etliche
Weihnachts- und andre Gesänge; dazu kommen
dann noch die Arien, und höher haben es die deut-
schen Musen mit allem ihrem Bestreben nicht brin-
gen mögen; nemlich, was Originale anlangt.
Jch weis kein Land, wo die Schwöstern des Apol-
lo sich so unverschämt feil bieten, als in diesem.
Kein Schuster hält Hochzeit, der nicht sein Hoch-
zeitgedichte nett und zierlich gedrückt bekomme.

Jn Franckreich ist der Druck die Klippe, woran
die mittelmässigen Poeten gemeiniglich scheitern.
Hier ist es anderst. Da man hier ohne Ge-
schmack liest, so läuft niemand in Gefahr, der
etwas in den Druck giebt. Darum ist auch
keine Nation, die eine so grosse Anzahl Poeten
und Redner aufweisen könne, wie diese.

Die Redner erinnern mich hier an die lächer-
liche Gewohnheit, die allhier herrschet, auf je-
des Begräbniß eine Leichrede zu halten, auf
das Absterben eines Hufschmieds sowohl, als
eines Generals. Gestern gieng ich in eine Kir-
che hinein, in der Hoffnung daß ich über einen
moralischen Lehrsatz würde predigen hören. Aber
ich fand mich übel betrogen. Man hielt eine

Leich-
"gen; so ist es freylich eine lange Zeit her in Deutsch-
"land dabey geblieben, daß man sich bey den Reimarten,
"dem Sylbenmasse, dem Wohlklang, der Wortfügung,
"und kurtz um die äusserliche Gestalt der Verse Mühe ge-
"geben." Sonst kan man nachsehen in der Anm. (N).
E 5

von den deutſchen Poeten.
gehoͤren zu der liriſchen Art; ſeine Vorgaͤnger
haben kaum was anders gemachet, als Hoch-
zeitgedichte, etliche falſchgenannte Oden, etliche
Weihnachts- und andre Geſaͤnge; dazu kommen
dann noch die Arien, und hoͤher haben es die deut-
ſchen Muſen mit allem ihrem Beſtreben nicht brin-
gen moͤgen; nemlich, was Originale anlangt.
Jch weis kein Land, wo die Schwoͤſtern des Apol-
lo ſich ſo unverſchaͤmt feil bieten, als in dieſem.
Kein Schuſter haͤlt Hochzeit, der nicht ſein Hoch-
zeitgedichte nett und zierlich gedruͤckt bekomme.

Jn Franckreich iſt der Druck die Klippe, woran
die mittelmaͤſſigen Poeten gemeiniglich ſcheitern.
Hier iſt es anderſt. Da man hier ohne Ge-
ſchmack lieſt, ſo laͤuft niemand in Gefahr, der
etwas in den Druck giebt. Darum iſt auch
keine Nation, die eine ſo groſſe Anzahl Poeten
und Redner aufweiſen koͤnne, wie dieſe.

Die Redner erinnern mich hier an die laͤcher-
liche Gewohnheit, die allhier herrſchet, auf je-
des Begraͤbniß eine Leichrede zu halten, auf
das Abſterben eines Hufſchmieds ſowohl, als
eines Generals. Geſtern gieng ich in eine Kir-
che hinein, in der Hoffnung daß ich uͤber einen
moraliſchen Lehrſatz wuͤrde predigen hoͤren. Aber
ich fand mich uͤbel betrogen. Man hielt eine

Leich-
„gen; ſo iſt es freylich eine lange Zeit her in Deutſch-
„land dabey geblieben, daß man ſich bey den Reimarten,
„dem Sylbenmaſſe, dem Wohlklang, der Wortfuͤgung,
„und kurtz um die aͤuſſerliche Geſtalt der Verſe Muͤhe ge-
„geben.„ Sonſt kan man nachſehen in der Anm. (N).
E 5
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[73/0073] von den deutſchen Poeten. gehoͤren zu der liriſchen Art; ſeine Vorgaͤnger haben kaum was anders gemachet, als Hoch- zeitgedichte, etliche falſchgenannte Oden, etliche Weihnachts- und andre Geſaͤnge; dazu kommen dann noch die Arien, und hoͤher haben es die deut- ſchen Muſen mit allem ihrem Beſtreben nicht brin- gen moͤgen; nemlich, was Originale anlangt. Jch weis kein Land, wo die Schwoͤſtern des Apol- lo ſich ſo unverſchaͤmt feil bieten, als in dieſem. Kein Schuſter haͤlt Hochzeit, der nicht ſein Hoch- zeitgedichte nett und zierlich gedruͤckt bekomme. Jn Franckreich iſt der Druck die Klippe, woran die mittelmaͤſſigen Poeten gemeiniglich ſcheitern. Hier iſt es anderſt. Da man hier ohne Ge- ſchmack lieſt, ſo laͤuft niemand in Gefahr, der etwas in den Druck giebt. Darum iſt auch keine Nation, die eine ſo groſſe Anzahl Poeten und Redner aufweiſen koͤnne, wie dieſe. Die Redner erinnern mich hier an die laͤcher- liche Gewohnheit, die allhier herrſchet, auf je- des Begraͤbniß eine Leichrede zu halten, auf das Abſterben eines Hufſchmieds ſowohl, als eines Generals. Geſtern gieng ich in eine Kir- che hinein, in der Hoffnung daß ich uͤber einen moraliſchen Lehrſatz wuͤrde predigen hoͤren. Aber ich fand mich uͤbel betrogen. Man hielt eine Leich- „gen; ſo iſt es freylich eine lange Zeit her in Deutſch- „land dabey geblieben, daß man ſich bey den Reimarten, „dem Sylbenmaſſe, dem Wohlklang, der Wortfuͤgung, „und kurtz um die aͤuſſerliche Geſtalt der Verſe Muͤhe ge- „geben.„ Sonſt kan man nachſehen in der Anm. (N). E 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/73>, abgerufen am 05.05.2024.