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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der Schreibart
geschämet zu borgen. Solches bezeugen die ural-
ten Wörter, Natur, Kirche, Thür, Mönch, Mate-
rie, Priester, Cörper, Vers, Chor, Messe, Thron,
Kron etc. Und wir sagen nach ihrem Beyspiele,
System, Phantasie, Symphonie, Harmonie, Pro-
sa, Religion, Sphär, Historie, Allegorie.

Jch erinnere mich bey diesem Anlasse einer frem-
den Mundart, die nicht in den Wörtern selbst,
sondern in ihrer Form besteht, wie diese Exempel
zu erkennen geben:

Er bracht ihr in den Sinn, wie oft hier Hand in Hand
Ulysses sie geführt.



Wie Zeil- und Reihenweis die Ding' in Dingen stecken.


Läßt Märtrer in den Streit auf andre Märtrer gehen,
Und Jnfeln in dem Feld vor Feindes Jnfeln stehen.



Der Bann von Niedergang zerblizt den Bann aus Norden.

Jch finde diese Form der Rede zwar in kei-
nem Sächsischen Poeten, doch ist sie bey ihrer Ein-
falt sehr nachdrücklich, weil das wiederholte
Hauptwort die Sache selbst weit lebhafter anzei-
get, als das Vornennwort gethan hätte.

Jst es in oben bestimmtem Falle vergönnet,
Wörter aus fremden Sprachen in die unsrige auf-
zunehmen, so ist es ohne Zweifel mit demselben
Rechte erlaubt, veralterte Wörter, die ehmahls
in der Sprache gewesen, wieder zurück zu holen,
so oft dieselben mit keinen andern ersezet worden.

Es

Von der Schreibart
geſchaͤmet zu borgen. Solches bezeugen die ural-
ten Woͤrter, Natur, Kirche, Thuͤr, Moͤnch, Mate-
rie, Prieſter, Coͤrper, Vers, Chor, Meſſe, Thron,
Kron ꝛc. Und wir ſagen nach ihrem Beyſpiele,
Syſtem, Phantaſie, Symphonie, Harmonie, Pro-
ſa, Religion, Sphaͤr, Hiſtorie, Allegorie.

Jch erinnere mich bey dieſem Anlaſſe einer frem-
den Mundart, die nicht in den Woͤrtern ſelbſt,
ſondern in ihrer Form beſteht, wie dieſe Exempel
zu erkennen geben:

Er bracht ihr in den Sinn, wie oft hier Hand in Hand
Ulyſſes ſie gefuͤhrt.



Wie Zeil- und Reihenweis die Ding’ in Dingen ſtecken.


Laͤßt Maͤrtrer in den Streit auf andre Maͤrtrer gehen,
Und Jnfeln in dem Feld vor Feindes Jnfeln ſtehen.



Der Bann von Niedergang zerblizt den Bann aus Norden.

Jch finde dieſe Form der Rede zwar in kei-
nem Saͤchſiſchen Poeten, doch iſt ſie bey ihrer Ein-
falt ſehr nachdruͤcklich, weil das wiederholte
Hauptwort die Sache ſelbſt weit lebhafter anzei-
get, als das Vornennwort gethan haͤtte.

Jſt es in oben beſtimmtem Falle vergoͤnnet,
Woͤrter aus fremden Sprachen in die unſrige auf-
zunehmen, ſo iſt es ohne Zweifel mit demſelben
Rechte erlaubt, veralterte Woͤrter, die ehmahls
in der Sprache geweſen, wieder zuruͤck zu holen,
ſo oft dieſelben mit keinen andern erſezet worden.

Es
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[92/0094] Von der Schreibart geſchaͤmet zu borgen. Solches bezeugen die ural- ten Woͤrter, Natur, Kirche, Thuͤr, Moͤnch, Mate- rie, Prieſter, Coͤrper, Vers, Chor, Meſſe, Thron, Kron ꝛc. Und wir ſagen nach ihrem Beyſpiele, Syſtem, Phantaſie, Symphonie, Harmonie, Pro- ſa, Religion, Sphaͤr, Hiſtorie, Allegorie. Jch erinnere mich bey dieſem Anlaſſe einer frem- den Mundart, die nicht in den Woͤrtern ſelbſt, ſondern in ihrer Form beſteht, wie dieſe Exempel zu erkennen geben: Er bracht ihr in den Sinn, wie oft hier Hand in Hand Ulyſſes ſie gefuͤhrt. Wie Zeil- und Reihenweis die Ding’ in Dingen ſtecken. Laͤßt Maͤrtrer in den Streit auf andre Maͤrtrer gehen, Und Jnfeln in dem Feld vor Feindes Jnfeln ſtehen. Der Bann von Niedergang zerblizt den Bann aus Norden. Jch finde dieſe Form der Rede zwar in kei- nem Saͤchſiſchen Poeten, doch iſt ſie bey ihrer Ein- falt ſehr nachdruͤcklich, weil das wiederholte Hauptwort die Sache ſelbſt weit lebhafter anzei- get, als das Vornennwort gethan haͤtte. Jſt es in oben beſtimmtem Falle vergoͤnnet, Woͤrter aus fremden Sprachen in die unſrige auf- zunehmen, ſo iſt es ohne Zweifel mit demſelben Rechte erlaubt, veralterte Woͤrter, die ehmahls in der Sprache geweſen, wieder zuruͤck zu holen, ſo oft dieſelben mit keinen andern erſezet worden. Es

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/94>, abgerufen am 02.05.2024.