Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
der Critick bey den Deutschen.
Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen,
Der lieb hat, wenn er zörnt.

Jn der Ode auf das Leichbegängniß der Herzo-
gin zu Münsterberg:

Der des Gebethes Stücke
Pflanzt für die Himmelsstadt,
Und weichet nicht zurücke,
Bis er das Jawort hat.

Und in der Daphne sagt der Chor der Hirten zu
Apollo:

Du grosser Gott, der du den Feuerwagen
Rings um den schönen Himmel führst.

Allein gleichwie es eben keine grosse Kunst braucht,
dergleichen Formen der Rede nachzumachen, so
wächßt Tscherningen, Dachen, Flemmingen und
andern von ihrer Zeit ein schlechter Ruhm da-
her zu. Opitz wußte Kunststücke, die eine tiefere
und verborgenere Erkänntniß des Menschen und
der Dinge zu erkennen geben; diese können wir
in seinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei-
nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie sie
bey ihm vorhanden waren. Sie mögen aber ei-
ne grosse oder kleine Theorie davon gehabt haben,
so haben sie von solcher keine Lehrbücher noch criti-
sche Abhandlungen verfasset. Was wir critisches
von ihnen haben, sind kurze Urtheile, flüchtige
Lobsprüche, Meinungen, die nicht bewiesen, oder
auf gründliche Untersuchungen gebauet, noch zum
wenigsten mit Exempeln erkläret werden, sondern
schlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir

von
F 4
der Critick bey den Deutſchen.
Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen,
Der lieb hat, wenn er zoͤrnt.

Jn der Ode auf das Leichbegaͤngniß der Herzo-
gin zu Muͤnſterberg:

Der des Gebethes Stuͤcke
Pflanzt fuͤr die Himmelsſtadt,
Und weichet nicht zuruͤcke,
Bis er das Jawort hat.

Und in der Daphne ſagt der Chor der Hirten zu
Apollo:

Du groſſer Gott, der du den Feuerwagen
Rings um den ſchoͤnen Himmel fuͤhrſt.

Allein gleichwie es eben keine groſſe Kunſt braucht,
dergleichen Formen der Rede nachzumachen, ſo
waͤchßt Tſcherningen, Dachen, Flemmingen und
andern von ihrer Zeit ein ſchlechter Ruhm da-
her zu. Opitz wußte Kunſtſtuͤcke, die eine tiefere
und verborgenere Erkaͤnntniß des Menſchen und
der Dinge zu erkennen geben; dieſe koͤnnen wir
in ſeinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei-
nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie ſie
bey ihm vorhanden waren. Sie moͤgen aber ei-
ne groſſe oder kleine Theorie davon gehabt haben,
ſo haben ſie von ſolcher keine Lehrbuͤcher noch criti-
ſche Abhandlungen verfaſſet. Was wir critiſches
von ihnen haben, ſind kurze Urtheile, fluͤchtige
Lobſpruͤche, Meinungen, die nicht bewieſen, oder
auf gruͤndliche Unterſuchungen gebauet, noch zum
wenigſten mit Exempeln erklaͤret werden, ſondern
ſchlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir

von
F 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0089" n="87"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Critick bey den Deut&#x017F;chen.</hi> </fw><lb/>
            <l>Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen,</l><lb/>
            <l>Der lieb hat, wenn er zo&#x0364;rnt.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Jn der Ode auf das Leichbega&#x0364;ngniß der Herzo-<lb/>
gin zu Mu&#x0364;n&#x017F;terberg:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Der des Gebethes Stu&#x0364;cke</l><lb/>
            <l>Pflanzt fu&#x0364;r die Himmels&#x017F;tadt,</l><lb/>
            <l>Und weichet nicht zuru&#x0364;cke,</l><lb/>
            <l>Bis er das Jawort hat.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Und in der Daphne &#x017F;agt der Chor der Hirten zu<lb/>
Apollo:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Du gro&#x017F;&#x017F;er Gott, der du den Feuerwagen</l><lb/>
            <l>Rings um den &#x017F;cho&#x0364;nen Himmel fu&#x0364;hr&#x017F;t.</l>
          </lg><lb/>
          <p>Allein gleichwie es eben keine gro&#x017F;&#x017F;e Kun&#x017F;t braucht,<lb/>
dergleichen Formen der Rede nachzumachen, &#x017F;o<lb/>
wa&#x0364;chßt T&#x017F;cherningen, Dachen, Flemmingen und<lb/>
andern von ihrer Zeit ein &#x017F;chlechter Ruhm da-<lb/>
her zu. Opitz wußte Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;cke, die eine tiefere<lb/>
und verborgenere Erka&#x0364;nntniß des Men&#x017F;chen und<lb/>
der Dinge zu erkennen geben; die&#x017F;e ko&#x0364;nnen wir<lb/>
in &#x017F;einen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei-<lb/>
nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie &#x017F;ie<lb/>
bey ihm vorhanden waren. Sie mo&#x0364;gen aber ei-<lb/>
ne gro&#x017F;&#x017F;e oder kleine Theorie davon gehabt haben,<lb/>
&#x017F;o haben &#x017F;ie von &#x017F;olcher keine Lehrbu&#x0364;cher noch criti-<lb/>
&#x017F;che Abhandlungen verfa&#x017F;&#x017F;et. Was wir criti&#x017F;ches<lb/>
von ihnen haben, &#x017F;ind kurze Urtheile, flu&#x0364;chtige<lb/>
Lob&#x017F;pru&#x0364;che, Meinungen, die nicht bewie&#x017F;en, oder<lb/>
auf gru&#x0364;ndliche Unter&#x017F;uchungen gebauet, noch zum<lb/>
wenig&#x017F;ten mit Exempeln erkla&#x0364;ret werden, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;chlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 4</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0089] der Critick bey den Deutſchen. Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen, Der lieb hat, wenn er zoͤrnt. Jn der Ode auf das Leichbegaͤngniß der Herzo- gin zu Muͤnſterberg: Der des Gebethes Stuͤcke Pflanzt fuͤr die Himmelsſtadt, Und weichet nicht zuruͤcke, Bis er das Jawort hat. Und in der Daphne ſagt der Chor der Hirten zu Apollo: Du groſſer Gott, der du den Feuerwagen Rings um den ſchoͤnen Himmel fuͤhrſt. Allein gleichwie es eben keine groſſe Kunſt braucht, dergleichen Formen der Rede nachzumachen, ſo waͤchßt Tſcherningen, Dachen, Flemmingen und andern von ihrer Zeit ein ſchlechter Ruhm da- her zu. Opitz wußte Kunſtſtuͤcke, die eine tiefere und verborgenere Erkaͤnntniß des Menſchen und der Dinge zu erkennen geben; dieſe koͤnnen wir in ſeinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei- nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie ſie bey ihm vorhanden waren. Sie moͤgen aber ei- ne groſſe oder kleine Theorie davon gehabt haben, ſo haben ſie von ſolcher keine Lehrbuͤcher noch criti- ſche Abhandlungen verfaſſet. Was wir critiſches von ihnen haben, ſind kurze Urtheile, fluͤchtige Lobſpruͤche, Meinungen, die nicht bewieſen, oder auf gruͤndliche Unterſuchungen gebauet, noch zum wenigſten mit Exempeln erklaͤret werden, ſondern ſchlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir von F 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/89
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/89>, abgerufen am 04.05.2024.