[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.über die Unsterblichkeit. Was hier gekeimt, das reifft sich dort.Drum zeigt er jetzt schon ein Gefühle Von Trieben, die nichts Endlichs stillt, Er setzt sich immer neue Ziele, Und sucht umsonst, was ihn erfüllt, Er wünscht, geneußt und wünscht aufs neue, Durchgeht der Güter lange Reyhe Und kan bey keinem stille ruhn. Gab Gott, der nichts vergeblich füget, Uns einen Trieb, den nichts vergnüget? Die Ewigkeit die muß es thun. O was entdeckt sich meinem Blicke, Was wird mir für ein Schauspiel kund? Welch unerforschliches Geschicke Beherrscht der Erden weites Rund! Hier seh ich unter Ach und Flehen Den Heiligen in Qual vergehen, Den Dampf und Flamme langsam schmaucht; Wenn satt von Jahren, Lust und Fülle, Sein Würger dort in sanfter Stille Den Lastervollen Geist verhaucht. Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage Ein Schicksal zu, was uns befällt? Regiert ein Zufall unsre Tage, Und mischt verwirrt den Lauf der Welt? (l) Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen, Kein ungerechtes Urtheilsprechen Entehrt der Allmacht Richterthron. Du sterblichs Volck! Die Wahrheit lehret, Dein Wesen wird nicht gantz verstöret, Es bleibt noch was zu Straff und Lohn. Es ist, es ist noch ein Gerichte, Die (l)
Anmerckungen. Sehet hier die Person des Zufalls, die Miltonneben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung als Aufwärter und Bediente des Chaos und der alten Nacht aufgeführt hat. uͤber die Unſterblichkeit. Was hier gekeimt, das reifft ſich dort.Drum zeigt er jetzt ſchon ein Gefuͤhle Von Trieben, die nichts Endlichs ſtillt, Er ſetzt ſich immer neue Ziele, Und ſucht umſonſt, was ihn erfuͤllt, Er wuͤnſcht, geneußt und wuͤnſcht aufs neue, Durchgeht der Guͤter lange Reyhe Und kan bey keinem ſtille ruhn. Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget, Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget? Die Ewigkeit die muß es thun. O was entdeckt ſich meinem Blicke, Was wird mir fuͤr ein Schauſpiel kund? Welch unerforſchliches Geſchicke Beherrſcht der Erden weites Rund! Hier ſeh ich unter Ach und Flehen Den Heiligen in Qual vergehen, Den Dampf und Flamme langſam ſchmaucht; Wenn ſatt von Jahren, Luſt und Fuͤlle, Sein Wuͤrger dort in ſanfter Stille Den Laſtervollen Geiſt verhaucht. Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage Ein Schickſal zu, was uns befaͤllt? Regiert ein Zufall unſre Tage, Und miſcht verwirrt den Lauf der Welt? (l) Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen, Kein ungerechtes Urtheilſprechen Entehrt der Allmacht Richterthron. Du ſterblichs Volck! Die Wahrheit lehret, Dein Weſen wird nicht gantz verſtoͤret, Es bleibt noch was zu Straff und Lohn. Es iſt, es iſt noch ein Gerichte, Die (l)
Anmerckungen. Sehet hier die Perſon des Zufalls, die Miltonneben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten Nacht aufgefuͤhrt hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="12"> <pb facs="#f0191" n="189"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">uͤber die Unſterblichkeit.</hi> </fw><lb/> <l>Was hier gekeimt, das reifft ſich dort.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Drum zeigt er jetzt ſchon ein Gefuͤhle</l><lb/> <l>Von Trieben, die nichts Endlichs ſtillt,</l><lb/> <l>Er ſetzt ſich immer neue Ziele,</l><lb/> <l>Und ſucht umſonſt, was ihn erfuͤllt,</l><lb/> <l>Er wuͤnſcht, geneußt und wuͤnſcht aufs neue,</l><lb/> <l>Durchgeht der Guͤter lange Reyhe</l><lb/> <l>Und kan bey keinem ſtille ruhn.</l><lb/> <l>Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget,</l><lb/> <l>Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget?</l><lb/> <l>Die Ewigkeit die muß es thun.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>O was entdeckt ſich meinem Blicke,</l><lb/> <l>Was wird mir fuͤr ein Schauſpiel kund?</l><lb/> <l>Welch unerforſchliches Geſchicke</l><lb/> <l>Beherrſcht der Erden weites Rund!</l><lb/> <l>Hier ſeh ich unter Ach und Flehen</l><lb/> <l>Den Heiligen in Qual vergehen,</l><lb/> <l>Den Dampf und Flamme langſam ſchmaucht;</l><lb/> <l>Wenn ſatt von Jahren, Luſt und Fuͤlle,</l><lb/> <l>Sein Wuͤrger dort in ſanfter Stille</l><lb/> <l>Den Laſtervollen Geiſt verhaucht.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage</l><lb/> <l>Ein Schickſal zu, was uns befaͤllt?</l><lb/> <l>Regiert ein Zufall unſre Tage,</l><lb/> <l>Und miſcht verwirrt den Lauf der Welt? <note place="foot" n="(l)"><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Anmerckungen.</hi></fw><lb/> Sehet hier die Perſon des <hi rendition="#fr">Zufalls,</hi> die Milton<lb/> neben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung<lb/> als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten<lb/> Nacht aufgefuͤhrt hat.</note></l><lb/> <l>Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen,</l><lb/> <l>Kein ungerechtes Urtheilſprechen</l><lb/> <l>Entehrt der Allmacht Richterthron.</l><lb/> <l>Du ſterblichs Volck! Die Wahrheit lehret,</l><lb/> <l>Dein Weſen wird nicht gantz verſtoͤret,</l><lb/> <l>Es bleibt noch was zu Straff und Lohn.</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l>Es iſt, es iſt noch ein Gerichte,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [189/0191]
uͤber die Unſterblichkeit.
Anmerckungen.
Was hier gekeimt, das reifft ſich dort.
Drum zeigt er jetzt ſchon ein Gefuͤhle
Von Trieben, die nichts Endlichs ſtillt,
Er ſetzt ſich immer neue Ziele,
Und ſucht umſonſt, was ihn erfuͤllt,
Er wuͤnſcht, geneußt und wuͤnſcht aufs neue,
Durchgeht der Guͤter lange Reyhe
Und kan bey keinem ſtille ruhn.
Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget,
Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget?
Die Ewigkeit die muß es thun.
O was entdeckt ſich meinem Blicke,
Was wird mir fuͤr ein Schauſpiel kund?
Welch unerforſchliches Geſchicke
Beherrſcht der Erden weites Rund!
Hier ſeh ich unter Ach und Flehen
Den Heiligen in Qual vergehen,
Den Dampf und Flamme langſam ſchmaucht;
Wenn ſatt von Jahren, Luſt und Fuͤlle,
Sein Wuͤrger dort in ſanfter Stille
Den Laſtervollen Geiſt verhaucht.
Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage
Ein Schickſal zu, was uns befaͤllt?
Regiert ein Zufall unſre Tage,
Und miſcht verwirrt den Lauf der Welt? (l)
Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen,
Kein ungerechtes Urtheilſprechen
Entehrt der Allmacht Richterthron.
Du ſterblichs Volck! Die Wahrheit lehret,
Dein Weſen wird nicht gantz verſtoͤret,
Es bleibt noch was zu Straff und Lohn.
Es iſt, es iſt noch ein Gerichte,
Die
(l)
Sehet hier die Perſon des Zufalls, die Milton
neben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung
als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten
Nacht aufgefuͤhrt hat.
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