Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachrichten von dem Ursprunge
dogmatische Arbeit vorgenommen, in welcher die
Beredtsamkeit auf festgesetzte philosophische Grund-
sätze gebauet werden sollte. Sie machten den An-
fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem
Einflusse und dem Gebrauche der Einbildungskraft
zur Verbesserung des Geschmackes, vor welcher
sie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn
Christian Wolf mit folgenden Worten eröffnen:

"Die Bemühungen der vornehmsten critischen
"Verfasser ist bisdahin meist oder bloß dahin ge-
"gangen, wie sie dem schlimmen Geschmacke
"Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum
"Gelächter machen mögten: Sie haben darüber
"versäumt, den guten Geschmack zu lehren, und
"anzupflantzen. Der Vorschlag des Engländi-
"schen Zuschauers ist noch unausgeführt geblie-
"ben, daß ein rechtschaffener Criticus ein gan-
"zes Werck, das in dem guten Geschmacke ge-
"schrieben ist, vor die Hand nehmen, und die
"Quellen und Ursachen, aus welchen die unter-
"schiedliche Schönheit desselben und das daher
"entspringende Ergetzen herfließt, genau und aus-
"führlich anzeigen mögte. Was unsre Deut-
"schen insbesondere anlangt, so sind ihnen fast
"alle Arten critischer Aufsätze über Wercke der
"Beredtsamkeit noch etwas unbekanntes, und
"diejenige, welche von der Wohlredenheit über-
"haupt geschrieben haben, halten sich einzig bey
"der äusserlichen Form der Rede auf; und brin-
"gen es nicht weiter, als daß sie mit lährem
"Kopfe lange schwazen lehren. Die Figuren der
"Rede sind ihre Rhetorick und die Lexica der
"Bey-

Nachrichten von dem Urſprunge
dogmatiſche Arbeit vorgenommen, in welcher die
Beredtſamkeit auf feſtgeſetzte philoſophiſche Grund-
ſaͤtze gebauet werden ſollte. Sie machten den An-
fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem
Einfluſſe und dem Gebrauche der Einbildungskraft
zur Verbeſſerung des Geſchmackes, vor welcher
ſie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn
Chriſtian Wolf mit folgenden Worten eroͤffnen:

„Die Bemuͤhungen der vornehmſten critiſchen
„Verfaſſer iſt bisdahin meiſt oder bloß dahin ge-
„gangen, wie ſie dem ſchlimmen Geſchmacke
„Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum
„Gelaͤchter machen moͤgten: Sie haben daruͤber
„verſaͤumt, den guten Geſchmack zu lehren, und
„anzupflantzen. Der Vorſchlag des Englaͤndi-
„ſchen Zuſchauers iſt noch unausgefuͤhrt geblie-
„ben, daß ein rechtſchaffener Criticus ein gan-
„zes Werck, das in dem guten Geſchmacke ge-
„ſchrieben iſt, vor die Hand nehmen, und die
„Quellen und Urſachen, aus welchen die unter-
„ſchiedliche Schoͤnheit deſſelben und das daher
„entſpringende Ergetzen herfließt, genau und aus-
„fuͤhrlich anzeigen moͤgte. Was unſre Deut-
„ſchen insbeſondere anlangt, ſo ſind ihnen faſt
„alle Arten critiſcher Aufſaͤtze uͤber Wercke der
„Beredtſamkeit noch etwas unbekanntes, und
„diejenige, welche von der Wohlredenheit uͤber-
„haupt geſchrieben haben, halten ſich einzig bey
„der aͤuſſerlichen Form der Rede auf; und brin-
„gen es nicht weiter, als daß ſie mit laͤhrem
„Kopfe lange ſchwazen lehren. Die Figuren der
„Rede ſind ihre Rhetorick und die Lexica der
„Bey-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0150" n="148"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Nachrichten von dem Ur&#x017F;prunge</hi></fw><lb/>
dogmati&#x017F;che Arbeit vorgenommen, in welcher die<lb/>
Beredt&#x017F;amkeit auf fe&#x017F;tge&#x017F;etzte philo&#x017F;ophi&#x017F;che Grund-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tze gebauet werden &#x017F;ollte. Sie machten den An-<lb/>
fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem<lb/>
Einflu&#x017F;&#x017F;e und dem Gebrauche der Einbildungskraft<lb/>
zur Verbe&#x017F;&#x017F;erung des Ge&#x017F;chmackes, vor welcher<lb/>
&#x017F;ie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn<lb/>
Chri&#x017F;tian Wolf mit folgenden Worten ero&#x0364;ffnen:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Die Bemu&#x0364;hungen der vornehm&#x017F;ten criti&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;Verfa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t bisdahin mei&#x017F;t oder bloß dahin ge-<lb/>
&#x201E;gangen, wie &#x017F;ie dem &#x017F;chlimmen Ge&#x017F;chmacke<lb/>
&#x201E;Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum<lb/>
&#x201E;Gela&#x0364;chter machen mo&#x0364;gten: Sie haben daru&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;ver&#x017F;a&#x0364;umt, den guten Ge&#x017F;chmack zu lehren, und<lb/>
&#x201E;anzupflantzen. Der Vor&#x017F;chlag des Engla&#x0364;ndi-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen Zu&#x017F;chauers i&#x017F;t noch unausgefu&#x0364;hrt geblie-<lb/>
&#x201E;ben, daß ein recht&#x017F;chaffener Criticus ein gan-<lb/>
&#x201E;zes Werck, das in dem guten Ge&#x017F;chmacke ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chrieben i&#x017F;t, vor die Hand nehmen, und die<lb/>
&#x201E;Quellen und Ur&#x017F;achen, aus welchen die unter-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chiedliche Scho&#x0364;nheit de&#x017F;&#x017F;elben und das daher<lb/>
&#x201E;ent&#x017F;pringende Ergetzen herfließt, genau und aus-<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;hrlich anzeigen mo&#x0364;gte. Was un&#x017F;re Deut-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen insbe&#x017F;ondere anlangt, &#x017F;o &#x017F;ind ihnen fa&#x017F;t<lb/>
&#x201E;alle Arten criti&#x017F;cher Auf&#x017F;a&#x0364;tze u&#x0364;ber Wercke der<lb/>
&#x201E;Beredt&#x017F;amkeit noch etwas unbekanntes, und<lb/>
&#x201E;diejenige, welche von der Wohlredenheit u&#x0364;ber-<lb/>
&#x201E;haupt ge&#x017F;chrieben haben, halten &#x017F;ich einzig bey<lb/>
&#x201E;der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Form der Rede auf; und brin-<lb/>
&#x201E;gen es nicht weiter, als daß &#x017F;ie mit la&#x0364;hrem<lb/>
&#x201E;Kopfe lange &#x017F;chwazen lehren. Die Figuren der<lb/>
&#x201E;Rede &#x017F;ind ihre Rhetorick und die Lexica der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Bey-</fw><lb/></quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0150] Nachrichten von dem Urſprunge dogmatiſche Arbeit vorgenommen, in welcher die Beredtſamkeit auf feſtgeſetzte philoſophiſche Grund- ſaͤtze gebauet werden ſollte. Sie machten den An- fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem Einfluſſe und dem Gebrauche der Einbildungskraft zur Verbeſſerung des Geſchmackes, vor welcher ſie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn Chriſtian Wolf mit folgenden Worten eroͤffnen: „Die Bemuͤhungen der vornehmſten critiſchen „Verfaſſer iſt bisdahin meiſt oder bloß dahin ge- „gangen, wie ſie dem ſchlimmen Geſchmacke „Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum „Gelaͤchter machen moͤgten: Sie haben daruͤber „verſaͤumt, den guten Geſchmack zu lehren, und „anzupflantzen. Der Vorſchlag des Englaͤndi- „ſchen Zuſchauers iſt noch unausgefuͤhrt geblie- „ben, daß ein rechtſchaffener Criticus ein gan- „zes Werck, das in dem guten Geſchmacke ge- „ſchrieben iſt, vor die Hand nehmen, und die „Quellen und Urſachen, aus welchen die unter- „ſchiedliche Schoͤnheit deſſelben und das daher „entſpringende Ergetzen herfließt, genau und aus- „fuͤhrlich anzeigen moͤgte. Was unſre Deut- „ſchen insbeſondere anlangt, ſo ſind ihnen faſt „alle Arten critiſcher Aufſaͤtze uͤber Wercke der „Beredtſamkeit noch etwas unbekanntes, und „diejenige, welche von der Wohlredenheit uͤber- „haupt geſchrieben haben, halten ſich einzig bey „der aͤuſſerlichen Form der Rede auf; und brin- „gen es nicht weiter, als daß ſie mit laͤhrem „Kopfe lange ſchwazen lehren. Die Figuren der „Rede ſind ihre Rhetorick und die Lexica der „Bey-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/150
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/150>, abgerufen am 22.11.2024.