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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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eines Kunstrichters.
Einer hasset alle Scribenten als seine Mitbuhler.
Ein anderer beneidet nur die aufgeweckten Gei-
ster, wie ein Lahmer einen fertigen Tänzer. Die-
se sämtlich fühlen eine juckende Begierde, andere
zu verlachen, und möchten gar zu gern auch höh-
nisch seyn können. Mävius schreibt dem Apollo
zum Aergernisse. Noch giebt es Leute, die noch
schlimmer urtheilen, als Mävius schreiben kan.

Mancher konnte im Anfang für einen aufge-
weckten Kopf, und dann gar für einen Dichter
mitlaufen. Bald will er ein Kunstrichter seyn,
und da zeigt er sich am Ende, als einen ausge-
machten Narren. Einigen fehlt es beydes an
Witz und an Urtheilskraft: Sie sind wie die schwer-
lästigen Maulthiere, weder Pferde noch Esel.
Solcher halbgelehrten Witzlinge giebt es so viel
in unserer Jnsul, als des halb ausgebildeten Un-
geziefers an den Ufern des Nils. Man weis
nicht, wie man diese unbestimmten Dinge nennen
soll, so ungewiß ist ihr Geschlechte. Alle zu er-
zehlen brauchte man hundert Zungen, oder einen
eitelen Witzling, der ihrer hundert müde machen
könnte.

Jhr derohalben, die ihr Ruhm austheilen und
selbst verdienen wollet, die ihr den ehrenvollen Na-
men eines Critici mit Rechte zu führen verlanget,
prüfet euch selbst und eure Stärcke, und erforschet
ja wohl, wie weit euer Verstand, euer Ge-
schmack, und eure Wissenschaft reichen. Wagt
euch nicht weiter als ihr Grund findet, sondern
unterscheidet vernünftig und zeichnet den Punct
wohl aus, da Verstand und Dummheit zusam-

men-
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eines Kunſtrichters.
Einer haſſet alle Scribenten als ſeine Mitbuhler.
Ein anderer beneidet nur die aufgeweckten Gei-
ſter, wie ein Lahmer einen fertigen Taͤnzer. Die-
ſe ſaͤmtlich fuͤhlen eine juckende Begierde, andere
zu verlachen, und moͤchten gar zu gern auch hoͤh-
niſch ſeyn koͤnnen. Maͤvius ſchreibt dem Apollo
zum Aergerniſſe. Noch giebt es Leute, die noch
ſchlimmer urtheilen, als Maͤvius ſchreiben kan.

Mancher konnte im Anfang fuͤr einen aufge-
weckten Kopf, und dann gar fuͤr einen Dichter
mitlaufen. Bald will er ein Kunſtrichter ſeyn,
und da zeigt er ſich am Ende, als einen ausge-
machten Narren. Einigen fehlt es beydes an
Witz und an Urtheilskraft: Sie ſind wie die ſchwer-
laͤſtigen Maulthiere, weder Pferde noch Eſel.
Solcher halbgelehrten Witzlinge giebt es ſo viel
in unſerer Jnſul, als des halb ausgebildeten Un-
geziefers an den Ufern des Nils. Man weis
nicht, wie man dieſe unbeſtimmten Dinge nennen
ſoll, ſo ungewiß iſt ihr Geſchlechte. Alle zu er-
zehlen brauchte man hundert Zungen, oder einen
eitelen Witzling, der ihrer hundert muͤde machen
koͤnnte.

Jhr derohalben, die ihr Ruhm austheilen und
ſelbſt verdienen wollet, die ihr den ehrenvollen Na-
men eines Critici mit Rechte zu fuͤhren verlanget,
pruͤfet euch ſelbſt und eure Staͤrcke, und erforſchet
ja wohl, wie weit euer Verſtand, euer Ge-
ſchmack, und eure Wiſſenſchaft reichen. Wagt
euch nicht weiter als ihr Grund findet, ſondern
unterſcheidet vernuͤnftig und zeichnet den Punct
wohl aus, da Verſtand und Dummheit zuſam-

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[53/0069] eines Kunſtrichters. Einer haſſet alle Scribenten als ſeine Mitbuhler. Ein anderer beneidet nur die aufgeweckten Gei- ſter, wie ein Lahmer einen fertigen Taͤnzer. Die- ſe ſaͤmtlich fuͤhlen eine juckende Begierde, andere zu verlachen, und moͤchten gar zu gern auch hoͤh- niſch ſeyn koͤnnen. Maͤvius ſchreibt dem Apollo zum Aergerniſſe. Noch giebt es Leute, die noch ſchlimmer urtheilen, als Maͤvius ſchreiben kan. Mancher konnte im Anfang fuͤr einen aufge- weckten Kopf, und dann gar fuͤr einen Dichter mitlaufen. Bald will er ein Kunſtrichter ſeyn, und da zeigt er ſich am Ende, als einen ausge- machten Narren. Einigen fehlt es beydes an Witz und an Urtheilskraft: Sie ſind wie die ſchwer- laͤſtigen Maulthiere, weder Pferde noch Eſel. Solcher halbgelehrten Witzlinge giebt es ſo viel in unſerer Jnſul, als des halb ausgebildeten Un- geziefers an den Ufern des Nils. Man weis nicht, wie man dieſe unbeſtimmten Dinge nennen ſoll, ſo ungewiß iſt ihr Geſchlechte. Alle zu er- zehlen brauchte man hundert Zungen, oder einen eitelen Witzling, der ihrer hundert muͤde machen koͤnnte. Jhr derohalben, die ihr Ruhm austheilen und ſelbſt verdienen wollet, die ihr den ehrenvollen Na- men eines Critici mit Rechte zu fuͤhren verlanget, pruͤfet euch ſelbſt und eure Staͤrcke, und erforſchet ja wohl, wie weit euer Verſtand, euer Ge- ſchmack, und eure Wiſſenſchaft reichen. Wagt euch nicht weiter als ihr Grund findet, ſondern unterſcheidet vernuͤnftig und zeichnet den Punct wohl aus, da Verſtand und Dummheit zuſam- men- D 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/69>, abgerufen am 24.11.2024.