Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem Scharfsinnigen.
lächerlich machet. Und ich erkläre mich hier, wie
in parenthesi, daß ich geschikten Gegensätzen den
Titel, daß sie sinnreich seyn, nicht abspreche, mas-
sen sie aus der Vergleichung zweyer Dinge, wel-
ches ein Werck der Einbildungskraft ist, entstehen.
Man muß mich demnach also fassen, daß ich der
sinnreichen Schreibart alles zueigne, was aus der
Vergleichung zweyer Dinge hergeleitet ist; das-
jenige, was herauskömmt, sey nun gleich eine Ent-
deckung verborgener Aehnlichkeiten, oder verbor-
gener Ungleichheiten. Wiewol ich aber diesen
Ausdruck des Hrn. Brockes für sinnreich, ja für
scharfsinnig, gelten lasse, muß ich gleichwol be-
kennen, daß ich die Scharfsinnigkeit, die er mir
entdecket, nicht Hrn. Brockes zuschreibe, weil mir
dieser Gegensatz nicht neu; sondern schon vorher
anderwärts bekannt gewesen. Jch glaube auch
nicht, daß dieser Poet, wann er die Stärke seines
Wizes beweisen wollte, eine Stelle von dieser Art
anführen würde; denn man muß ihm das Lob un-
streitig lassen, daß er in dem Scharfsinnigen, in-
sonderheit was die Beschreibungen der Natur und
die Würckungen der Dinge anbelanget, vortrefflich
sey. Das zweyte Exempel ist die bekannte Stelle
des Horaz Carm. Lib. I. Od. 4. Pallida mors &c.
Phyllis urtheilet davon also: Dahin gehört auch
folgendes: der Jnhalt ist dieser gemeine Saz:
Alle Menschen müssen sterben: aber die Art
des Ausdruckes macht ihn sinnreich.

Der Tod durchdringt sowol die Schlösser grosser Kaiser,
Als schlechtgebaute Hirtenhäuser.

Jch erinnere mich daß der Pater Buhurs in sei-

nem

und dem Scharfſinnigen.
laͤcherlich machet. Und ich erklaͤre mich hier, wie
in parentheſi, daß ich geſchikten Gegenſaͤtzen den
Titel, daß ſie ſinnreich ſeyn, nicht abſpreche, maſ-
ſen ſie aus der Vergleichung zweyer Dinge, wel-
ches ein Werck der Einbildungskraft iſt, entſtehen.
Man muß mich demnach alſo faſſen, daß ich der
ſinnreichen Schreibart alles zueigne, was aus der
Vergleichung zweyer Dinge hergeleitet iſt; das-
jenige, was herauskoͤmmt, ſey nun gleich eine Ent-
deckung verborgener Aehnlichkeiten, oder verbor-
gener Ungleichheiten. Wiewol ich aber dieſen
Ausdruck des Hrn. Brockes fuͤr ſinnreich, ja fuͤr
ſcharfſinnig, gelten laſſe, muß ich gleichwol be-
kennen, daß ich die Scharfſinnigkeit, die er mir
entdecket, nicht Hrn. Brockes zuſchreibe, weil mir
dieſer Gegenſatz nicht neu; ſondern ſchon vorher
anderwaͤrts bekannt geweſen. Jch glaube auch
nicht, daß dieſer Poet, wann er die Staͤrke ſeines
Wizes beweiſen wollte, eine Stelle von dieſer Art
anfuͤhren wuͤrde; denn man muß ihm das Lob un-
ſtreitig laſſen, daß er in dem Scharfſinnigen, in-
ſonderheit was die Beſchreibungen der Natur und
die Wuͤrckungen der Dinge anbelanget, vortrefflich
ſey. Das zweyte Exempel iſt die bekannte Stelle
des Horaz Carm. Lib. I. Od. 4. Pallida mors &c.
Phyllis urtheilet davon alſo: Dahin gehoͤrt auch
folgendes: der Jnhalt iſt dieſer gemeine Saz:
Alle Menſchen muͤſſen ſterben: aber die Art
des Ausdruckes macht ihn ſinnreich.

Der Tod durchdringt ſowol die Schloͤſſer groſſer Kaiſer,
Als ſchlechtgebaute Hirtenhaͤuſer.

Jch erinnere mich daß der Pater Buhurs in ſei-

nem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="107"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und dem Scharf&#x017F;innigen.</hi></fw><lb/>
la&#x0364;cherlich machet. Und ich erkla&#x0364;re mich hier, wie<lb/><hi rendition="#aq">in parenthe&#x017F;i,</hi> daß ich ge&#x017F;chikten Gegen&#x017F;a&#x0364;tzen den<lb/>
Titel, daß &#x017F;ie &#x017F;innreich &#x017F;eyn, nicht ab&#x017F;preche, ma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;ie aus der Vergleichung zweyer Dinge, wel-<lb/>
ches ein Werck der Einbildungskraft i&#x017F;t, ent&#x017F;tehen.<lb/>
Man muß mich demnach al&#x017F;o fa&#x017F;&#x017F;en, daß ich der<lb/>
&#x017F;innreichen Schreibart alles zueigne, was aus der<lb/>
Vergleichung zweyer Dinge hergeleitet i&#x017F;t; das-<lb/>
jenige, was herausko&#x0364;mmt, &#x017F;ey nun gleich eine Ent-<lb/>
deckung verborgener Aehnlichkeiten, oder verbor-<lb/>
gener Ungleichheiten. Wiewol ich aber die&#x017F;en<lb/>
Ausdruck des Hrn. <hi rendition="#fr">Brockes</hi> fu&#x0364;r &#x017F;innreich, ja fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;charf&#x017F;innig, gelten la&#x017F;&#x017F;e, muß ich gleichwol be-<lb/>
kennen, daß ich die Scharf&#x017F;innigkeit, die er mir<lb/>
entdecket, nicht Hrn. <hi rendition="#fr">Brockes</hi> zu&#x017F;chreibe, weil mir<lb/>
die&#x017F;er Gegen&#x017F;atz nicht neu; &#x017F;ondern &#x017F;chon vorher<lb/>
anderwa&#x0364;rts bekannt gewe&#x017F;en. Jch glaube auch<lb/>
nicht, daß die&#x017F;er Poet, wann er die Sta&#x0364;rke &#x017F;eines<lb/>
Wizes bewei&#x017F;en wollte, eine Stelle von die&#x017F;er Art<lb/>
anfu&#x0364;hren wu&#x0364;rde; denn man muß ihm das Lob un-<lb/>
&#x017F;treitig la&#x017F;&#x017F;en, daß er in dem Scharf&#x017F;innigen, in-<lb/>
&#x017F;onderheit was die Be&#x017F;chreibungen der Natur und<lb/>
die Wu&#x0364;rckungen der Dinge anbelanget, vortrefflich<lb/>
&#x017F;ey. Das zweyte Exempel i&#x017F;t die bekannte Stelle<lb/>
des <hi rendition="#fr">Horaz</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Carm. Lib. I. Od. 4. Pallida mors &amp;c.</hi></hi><lb/>
Phyllis urtheilet davon al&#x017F;o: <hi rendition="#fr">Dahin geho&#x0364;rt auch<lb/>
folgendes: der Jnhalt i&#x017F;t die&#x017F;er gemeine Saz:<lb/>
Alle Men&#x017F;chen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;terben: aber die Art<lb/>
des Ausdruckes macht ihn &#x017F;innreich.</hi></p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Der Tod durchdringt &#x017F;owol die Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er gro&#x017F;&#x017F;er Kai&#x017F;er,</l><lb/>
          <l>Als &#x017F;chlechtgebaute Hirtenha&#x0364;u&#x017F;er.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Jch erinnere mich daß der Pater <hi rendition="#fr">Buhurs</hi> in &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0123] und dem Scharfſinnigen. laͤcherlich machet. Und ich erklaͤre mich hier, wie in parentheſi, daß ich geſchikten Gegenſaͤtzen den Titel, daß ſie ſinnreich ſeyn, nicht abſpreche, maſ- ſen ſie aus der Vergleichung zweyer Dinge, wel- ches ein Werck der Einbildungskraft iſt, entſtehen. Man muß mich demnach alſo faſſen, daß ich der ſinnreichen Schreibart alles zueigne, was aus der Vergleichung zweyer Dinge hergeleitet iſt; das- jenige, was herauskoͤmmt, ſey nun gleich eine Ent- deckung verborgener Aehnlichkeiten, oder verbor- gener Ungleichheiten. Wiewol ich aber dieſen Ausdruck des Hrn. Brockes fuͤr ſinnreich, ja fuͤr ſcharfſinnig, gelten laſſe, muß ich gleichwol be- kennen, daß ich die Scharfſinnigkeit, die er mir entdecket, nicht Hrn. Brockes zuſchreibe, weil mir dieſer Gegenſatz nicht neu; ſondern ſchon vorher anderwaͤrts bekannt geweſen. Jch glaube auch nicht, daß dieſer Poet, wann er die Staͤrke ſeines Wizes beweiſen wollte, eine Stelle von dieſer Art anfuͤhren wuͤrde; denn man muß ihm das Lob un- ſtreitig laſſen, daß er in dem Scharfſinnigen, in- ſonderheit was die Beſchreibungen der Natur und die Wuͤrckungen der Dinge anbelanget, vortrefflich ſey. Das zweyte Exempel iſt die bekannte Stelle des Horaz Carm. Lib. I. Od. 4. Pallida mors &c. Phyllis urtheilet davon alſo: Dahin gehoͤrt auch folgendes: der Jnhalt iſt dieſer gemeine Saz: Alle Menſchen muͤſſen ſterben: aber die Art des Ausdruckes macht ihn ſinnreich. Der Tod durchdringt ſowol die Schloͤſſer groſſer Kaiſer, Als ſchlechtgebaute Hirtenhaͤuſer. Jch erinnere mich daß der Pater Buhurs in ſei- nem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/123
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/123>, abgerufen am 06.05.2024.