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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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und dem Scharfsinnigen.
die Abnüzung bleich gemachet wird: aber weit
mehr ist zu bedauren, daß eine vornehme und schöne
Frauensperson in dem Tode allen ihren Glantz und
Pracht auf einmal verlieren soll. Was Besser
hier in der verblümten Gleichnißrede saget, ist viel
schwächer als ein blosser einfältiger Ausdruk seines
Gedankens. Die zwo Zeilen, die auf diese folgen,
sind von besserm Schrote.

Daß selbst das Sonnenlicht muß Finsternisse leiden!
Daß der Vergänglichkeit auch Fürsten unterthan!

Regenten, aber vornehmlich Monarchen, werden
mit dem Sonnenlichte verglichen. Bey ihrem Ab-
sterben geschiehet so viel als eine Finsterniß, weil
dadurch der gute Einfluß ihrer weisen Regierung
einsmals gehemmet wird. Und wie geschikt ist
nicht der Gegensaz: Fürsten, aber dennoch Un-
terthanen der Vergänglichkeit.
Auch die lezte
Zeile in dieser Stelle ist in einem hohen Grade
sinnreich:

Was Gott zusammenfügt, der Tod vermag zu scheiden!

Als wann der Tod beynahe mächtiger wäre, als
Gott. Dennoch weil diese Redensart durch den
gemeinen Gebrauch fast zu einem Sprüchwort
geworden ist, so verliert sie die Kraft des Scharf-
sinnigen.

Was izt ferner die Stelle anlanget, die aus
einer Huldigungsrede angeführt wird, so kan man
darinnen den Unterscheid zwischen dem Sinnreichen
und dem Scharfsinnigen ohne Mühe wahrneh-
men: Jch will sie darum übergehen, damit die
Bogen nicht ohne Noth verstärkt werden. Lasset

uns
G 5

und dem Scharfſinnigen.
die Abnuͤzung bleich gemachet wird: aber weit
mehr iſt zu bedauren, daß eine vornehme und ſchoͤne
Frauensperſon in dem Tode allen ihren Glantz und
Pracht auf einmal verlieren ſoll. Was Beſſer
hier in der verbluͤmten Gleichnißrede ſaget, iſt viel
ſchwaͤcher als ein bloſſer einfaͤltiger Ausdruk ſeines
Gedankens. Die zwo Zeilen, die auf dieſe folgen,
ſind von beſſerm Schrote.

Daß ſelbſt das Sonnenlicht muß Finſterniſſe leiden!
Daß der Vergaͤnglichkeit auch Fuͤrſten unterthan!

Regenten, aber vornehmlich Monarchen, werden
mit dem Sonnenlichte verglichen. Bey ihrem Ab-
ſterben geſchiehet ſo viel als eine Finſterniß, weil
dadurch der gute Einfluß ihrer weiſen Regierung
einsmals gehemmet wird. Und wie geſchikt iſt
nicht der Gegenſaz: Fuͤrſten, aber dennoch Un-
terthanen der Vergaͤnglichkeit.
Auch die lezte
Zeile in dieſer Stelle iſt in einem hohen Grade
ſinnreich:

Was Gott zuſammenfuͤgt, der Tod vermag zu ſcheiden!

Als wann der Tod beynahe maͤchtiger waͤre, als
Gott. Dennoch weil dieſe Redensart durch den
gemeinen Gebrauch faſt zu einem Spruͤchwort
geworden iſt, ſo verliert ſie die Kraft des Scharf-
ſinnigen.

Was izt ferner die Stelle anlanget, die aus
einer Huldigungsrede angefuͤhrt wird, ſo kan man
darinnen den Unterſcheid zwiſchen dem Sinnreichen
und dem Scharfſinnigen ohne Muͤhe wahrneh-
men: Jch will ſie darum uͤbergehen, damit die
Bogen nicht ohne Noth verſtaͤrkt werden. Laſſet

uns
G 5
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[105/0121] und dem Scharfſinnigen. die Abnuͤzung bleich gemachet wird: aber weit mehr iſt zu bedauren, daß eine vornehme und ſchoͤne Frauensperſon in dem Tode allen ihren Glantz und Pracht auf einmal verlieren ſoll. Was Beſſer hier in der verbluͤmten Gleichnißrede ſaget, iſt viel ſchwaͤcher als ein bloſſer einfaͤltiger Ausdruk ſeines Gedankens. Die zwo Zeilen, die auf dieſe folgen, ſind von beſſerm Schrote. Daß ſelbſt das Sonnenlicht muß Finſterniſſe leiden! Daß der Vergaͤnglichkeit auch Fuͤrſten unterthan! Regenten, aber vornehmlich Monarchen, werden mit dem Sonnenlichte verglichen. Bey ihrem Ab- ſterben geſchiehet ſo viel als eine Finſterniß, weil dadurch der gute Einfluß ihrer weiſen Regierung einsmals gehemmet wird. Und wie geſchikt iſt nicht der Gegenſaz: Fuͤrſten, aber dennoch Un- terthanen der Vergaͤnglichkeit. Auch die lezte Zeile in dieſer Stelle iſt in einem hohen Grade ſinnreich: Was Gott zuſammenfuͤgt, der Tod vermag zu ſcheiden! Als wann der Tod beynahe maͤchtiger waͤre, als Gott. Dennoch weil dieſe Redensart durch den gemeinen Gebrauch faſt zu einem Spruͤchwort geworden iſt, ſo verliert ſie die Kraft des Scharf- ſinnigen. Was izt ferner die Stelle anlanget, die aus einer Huldigungsrede angefuͤhrt wird, ſo kan man darinnen den Unterſcheid zwiſchen dem Sinnreichen und dem Scharfſinnigen ohne Muͤhe wahrneh- men: Jch will ſie darum uͤbergehen, damit die Bogen nicht ohne Noth verſtaͤrkt werden. Laſſet uns G 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/121>, abgerufen am 25.11.2024.