Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem Scharfsinnigen.
daß die offenbare Vergleichungen durch gleichwie-
also/
nicht sinnreich wären, recht alber: Jch möch-
te nur auch einigen Beweiß für diese so verwegene
Meinung sehen. Opitz z. E. schreibt in dem er-
sten B. der P. W.

Ein Geist der Ehre sucht, muß etwas weiter ziehn,
Denn wo der Gräntzstein ligt. Drum bist du ausgerissen
Als wie ein junger Leu, im Fall er an den Füssen
Die Klauen wachsen sieht, und um den Halß die Mähn,
Die Zähn im Maule merckt; er will nun ferner gehn
Aus seiner Hölen Loch, in der er ist erzogen:
Und wie ein Adler thut, der nicht läßt ungeflogen,
Wiewol er kümmerlich erst jetzt hat ausgekielt,
Und noch der Nordwind nicht mit seinen Federn spielt.
Er macht sich in die Luft, und schwingt mit freyem Zügel
Bis zum Gewölcke hin die wenig starcken Flügel;
Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach,
So stürtzet er herab, und setzt den Enten nach,
Die grossen Schreckens voll sich für ihm untertauchen.

Nun wird mir niemand streitig machen, daß
diese Verse nicht nur sinnreich, sondern auch scharf-
sinnig seyn, wiewol sie ein offenbares Gleichniß in
sich enthalten. Aber auch diejenigen Regeln, die
Phyllis von den Gleichnissen vorschreibet, haben
nicht überall ihre Richtigkeit. Gleichnisse müssen
von bekannten Dingen hergenommen seyn, weil
sie meistens erklären sollen. Und hohe Sachen
müssen mit hohen, niedere mit niederen verglichen
werden. Jch kan mir keinen deutlichen Begriff
von den Superlativis machen: Gar zu gemein und
bekannt: Gar zu hoch und gar zu nieder.
Sol-
che Scribenten, die keine gemessene und deutliche
Begriffe von den Dingen haben, sind in ihren
Ausdrücken gantz unstet und ungewiß.

Die
G 4

und dem Scharfſinnigen.
daß die offenbare Vergleichungen durch gleichwie-
alſo/
nicht ſinnreich waͤren, recht alber: Jch moͤch-
te nur auch einigen Beweiß fuͤr dieſe ſo verwegene
Meinung ſehen. Opitz z. E. ſchreibt in dem er-
ſten B. der P. W.

Ein Geiſt der Ehre ſucht, muß etwas weiter ziehn,
Denn wo der Graͤntzſtein ligt. Drum biſt du ausgeriſſen
Als wie ein junger Leu, im Fall er an den Fuͤſſen
Die Klauen wachſen ſieht, und um den Halß die Maͤhn,
Die Zaͤhn im Maule merckt; er will nun ferner gehn
Aus ſeiner Hoͤlen Loch, in der er iſt erzogen:
Und wie ein Adler thut, der nicht laͤßt ungeflogen,
Wiewol er kuͤmmerlich erſt jetzt hat ausgekielt,
Und noch der Nordwind nicht mit ſeinen Federn ſpielt.
Er macht ſich in die Luft, und ſchwingt mit freyem Zuͤgel
Bis zum Gewoͤlcke hin die wenig ſtarcken Fluͤgel;
Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach,
So ſtuͤrtzet er herab, und ſetzt den Enten nach,
Die groſſen Schreckens voll ſich fuͤr ihm untertauchen.

Nun wird mir niemand ſtreitig machen, daß
dieſe Verſe nicht nur ſinnreich, ſondern auch ſcharf-
ſinnig ſeyn, wiewol ſie ein offenbares Gleichniß in
ſich enthalten. Aber auch diejenigen Regeln, die
Phyllis von den Gleichniſſen vorſchreibet, haben
nicht uͤberall ihre Richtigkeit. Gleichniſſe muͤſſen
von bekannten Dingen hergenommen ſeyn, weil
ſie meiſtens erklaͤren ſollen. Und hohe Sachen
muͤſſen mit hohen, niedere mit niederen verglichen
werden. Jch kan mir keinen deutlichen Begriff
von den Superlativis machen: Gar zu gemein und
bekannt: Gar zu hoch und gar zu nieder.
Sol-
che Scribenten, die keine gemeſſene und deutliche
Begriffe von den Dingen haben, ſind in ihren
Ausdruͤcken gantz unſtet und ungewiß.

Die
G 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="103"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und dem Scharf&#x017F;innigen.</hi></fw><lb/>
daß die offenbare Vergleichungen durch <hi rendition="#fr">gleichwie-<lb/>
al&#x017F;o/</hi> nicht &#x017F;innreich wa&#x0364;ren, recht alber: Jch mo&#x0364;ch-<lb/>
te nur auch einigen Beweiß fu&#x0364;r die&#x017F;e &#x017F;o verwegene<lb/>
Meinung &#x017F;ehen. <hi rendition="#fr">Opitz</hi> z. E. &#x017F;chreibt in dem <hi rendition="#fr">er-<lb/>
&#x017F;ten B. der P. W.</hi></p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Ein Gei&#x017F;t der Ehre &#x017F;ucht, muß etwas weiter ziehn,</l><lb/>
          <l>Denn wo der Gra&#x0364;ntz&#x017F;tein ligt. Drum bi&#x017F;t du ausgeri&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
          <l>Als wie ein junger Leu, im Fall er an den Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
          <l>Die Klauen wach&#x017F;en &#x017F;ieht, und um den Halß die Ma&#x0364;hn,</l><lb/>
          <l>Die Za&#x0364;hn im Maule merckt; er will nun ferner gehn</l><lb/>
          <l>Aus &#x017F;einer Ho&#x0364;len Loch, in der er i&#x017F;t erzogen:</l><lb/>
          <l>Und wie ein Adler thut, der nicht la&#x0364;ßt ungeflogen,</l><lb/>
          <l>Wiewol er ku&#x0364;mmerlich er&#x017F;t jetzt hat ausgekielt,</l><lb/>
          <l>Und noch der Nordwind nicht mit &#x017F;einen Federn &#x017F;pielt.</l><lb/>
          <l>Er macht &#x017F;ich in die Luft, und &#x017F;chwingt mit freyem Zu&#x0364;gel</l><lb/>
          <l>Bis zum Gewo&#x0364;lcke hin die wenig &#x017F;tarcken Flu&#x0364;gel;</l><lb/>
          <l>Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach,</l><lb/>
          <l>So &#x017F;tu&#x0364;rtzet er herab, und &#x017F;etzt den Enten nach,</l><lb/>
          <l>Die gro&#x017F;&#x017F;en Schreckens voll &#x017F;ich fu&#x0364;r ihm untertauchen.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Nun wird mir niemand &#x017F;treitig machen, daß<lb/>
die&#x017F;e Ver&#x017F;e nicht nur &#x017F;innreich, &#x017F;ondern auch &#x017F;charf-<lb/>
&#x017F;innig &#x017F;eyn, wiewol &#x017F;ie ein offenbares Gleichniß in<lb/>
&#x017F;ich enthalten. Aber auch diejenigen Regeln, die<lb/>
Phyllis von den Gleichni&#x017F;&#x017F;en vor&#x017F;chreibet, haben<lb/>
nicht u&#x0364;berall ihre Richtigkeit. Gleichni&#x017F;&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von bekannten Dingen hergenommen &#x017F;eyn, weil<lb/>
&#x017F;ie mei&#x017F;tens erkla&#x0364;ren &#x017F;ollen. Und hohe Sachen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en mit hohen, niedere mit niederen verglichen<lb/>
werden. Jch kan mir keinen deutlichen Begriff<lb/>
von den <hi rendition="#aq">Superlativis</hi> machen: <hi rendition="#fr">Gar zu gemein und<lb/>
bekannt: Gar zu hoch und gar zu nieder.</hi> Sol-<lb/>
che Scribenten, die keine geme&#x017F;&#x017F;ene und deutliche<lb/>
Begriffe von den Dingen haben, &#x017F;ind in ihren<lb/>
Ausdru&#x0364;cken gantz un&#x017F;tet und ungewiß.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">G 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0119] und dem Scharfſinnigen. daß die offenbare Vergleichungen durch gleichwie- alſo/ nicht ſinnreich waͤren, recht alber: Jch moͤch- te nur auch einigen Beweiß fuͤr dieſe ſo verwegene Meinung ſehen. Opitz z. E. ſchreibt in dem er- ſten B. der P. W. Ein Geiſt der Ehre ſucht, muß etwas weiter ziehn, Denn wo der Graͤntzſtein ligt. Drum biſt du ausgeriſſen Als wie ein junger Leu, im Fall er an den Fuͤſſen Die Klauen wachſen ſieht, und um den Halß die Maͤhn, Die Zaͤhn im Maule merckt; er will nun ferner gehn Aus ſeiner Hoͤlen Loch, in der er iſt erzogen: Und wie ein Adler thut, der nicht laͤßt ungeflogen, Wiewol er kuͤmmerlich erſt jetzt hat ausgekielt, Und noch der Nordwind nicht mit ſeinen Federn ſpielt. Er macht ſich in die Luft, und ſchwingt mit freyem Zuͤgel Bis zum Gewoͤlcke hin die wenig ſtarcken Fluͤgel; Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach, So ſtuͤrtzet er herab, und ſetzt den Enten nach, Die groſſen Schreckens voll ſich fuͤr ihm untertauchen. Nun wird mir niemand ſtreitig machen, daß dieſe Verſe nicht nur ſinnreich, ſondern auch ſcharf- ſinnig ſeyn, wiewol ſie ein offenbares Gleichniß in ſich enthalten. Aber auch diejenigen Regeln, die Phyllis von den Gleichniſſen vorſchreibet, haben nicht uͤberall ihre Richtigkeit. Gleichniſſe muͤſſen von bekannten Dingen hergenommen ſeyn, weil ſie meiſtens erklaͤren ſollen. Und hohe Sachen muͤſſen mit hohen, niedere mit niederen verglichen werden. Jch kan mir keinen deutlichen Begriff von den Superlativis machen: Gar zu gemein und bekannt: Gar zu hoch und gar zu nieder. Sol- che Scribenten, die keine gemeſſene und deutliche Begriffe von den Dingen haben, ſind in ihren Ausdruͤcken gantz unſtet und ungewiß. Die G 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/119
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/119>, abgerufen am 24.11.2024.