Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Sinnreichen
zu dem Sinnreichen; oder zeige sie mir z. E. die
reichen Gedancken (wann wir durch dieß Wort
Vernunftschlüsse verstehen,) welche in der ersten
Stelle aus Bessers Schriften stecken. Drit-
tens soll das Sinnreiche viel Nachdenckens er-
wecken.
Jm Gegentheil muß es vielmehr so deut-
lich seyn, daß der Leser die Aehnlichkeit, die es vor-
stellet, ohne Mühe sehen kan. Dahero ist auch
die angefügte Warnung, daß man nicht alle
Scribenten, die schwer zu verstehen sind, vor
sinnreich ausgebe,
gantz überflüssig. Denn
die dunckle und verworrene Schreibart ist nicht dem
Sinnreichen entgegengesetzt. Vielleicht geben uns
die folgenden Anmerckungen mehr Licht.

Das fürnehmste/ sagt sie ferner/ wird in der
sinnreichen Schreibart wohl auf verblümte
Gleichnißreden ankommen. Die oben erwehn-
ten Exempel bestätigen es/ und man kan noch
mehrere anführen. Doch ist hiebey viele Be-
hutsamkeit nöthig: die Gleichnisse müssen in der
That Gleichnisse seyn; denn ein blosses gleich-
wie - - also/ macht es nicht aus; vielmehr muß
dieses gantz vermieden werden/ wenn der Aus-
druck sinnreich seyn soll. Die Gleichnisse müs-
sen nicht gar zu gemein/ und bekannt seyn;
sonst sind sie unangenehm. Endlich müssen sie
auch weder von gar zu hohen/ noch gar zu
niedrigen Dingen hergenommen seyn.
Die ver-
blümte Gieichnißreden gehören freylich zu dem Ge-
schlecht des Sinnreichen; aber insgemein alles ge-
höret dazu, was durch die Vergleichung der Aehn-
lichkeiten, so zwischen den Dingen obschweben, her-
ausgebracht werden kan. Darum ist der Lehrsatz,

daß

Von dem Sinnreichen
zu dem Sinnreichen; oder zeige ſie mir z. E. die
reichen Gedancken (wann wir durch dieß Wort
Vernunftſchluͤſſe verſtehen,) welche in der erſten
Stelle aus Beſſers Schriften ſtecken. Drit-
tens ſoll das Sinnreiche viel Nachdenckens er-
wecken.
Jm Gegentheil muß es vielmehr ſo deut-
lich ſeyn, daß der Leſer die Aehnlichkeit, die es vor-
ſtellet, ohne Muͤhe ſehen kan. Dahero iſt auch
die angefuͤgte Warnung, daß man nicht alle
Scribenten, die ſchwer zu verſtehen ſind, vor
ſinnreich ausgebe,
gantz uͤberfluͤſſig. Denn
die dunckle und verworrene Schreibart iſt nicht dem
Sinnreichen entgegengeſetzt. Vielleicht geben uns
die folgenden Anmerckungen mehr Licht.

Das fuͤrnehmſte/ ſagt ſie ferner/ wird in der
ſinnreichen Schreibart wohl auf verbluͤmte
Gleichnißreden ankommen. Die oben erwehn-
ten Exempel beſtaͤtigen es/ und man kan noch
mehrere anfuͤhren. Doch iſt hiebey viele Be-
hutſamkeit noͤthig: die Gleichniſſe muͤſſen in der
That Gleichniſſe ſeyn; denn ein bloſſes gleich-
wie ‒ ‒ alſo/ macht es nicht aus; vielmehr muß
dieſes gantz vermieden werden/ wenn der Aus-
druck ſinnreich ſeyn ſoll. Die Gleichniſſe muͤſ-
ſen nicht gar zu gemein/ und bekannt ſeyn;
ſonſt ſind ſie unangenehm. Endlich muͤſſen ſie
auch weder von gar zu hohen/ noch gar zu
niedrigen Dingen hergenommen ſeyn.
Die ver-
bluͤmte Gieichnißreden gehoͤren freylich zu dem Ge-
ſchlecht des Sinnreichen; aber insgemein alles ge-
hoͤret dazu, was durch die Vergleichung der Aehn-
lichkeiten, ſo zwiſchen den Dingen obſchweben, her-
ausgebracht werden kan. Darum iſt der Lehrſatz,

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="102"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Sinnreichen</hi></fw><lb/>
zu dem Sinnreichen; oder zeige &#x017F;ie mir z. E. die<lb/>
reichen <hi rendition="#fr">Gedancken</hi> (wann wir durch dieß Wort<lb/>
Vernunft&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;tehen,) welche in der er&#x017F;ten<lb/>
Stelle aus <hi rendition="#fr">Be&#x017F;&#x017F;ers Schriften</hi> &#x017F;tecken. <hi rendition="#fr">Drit-<lb/>
tens &#x017F;oll das Sinnreiche viel Nachdenckens er-<lb/>
wecken.</hi> Jm Gegentheil muß es vielmehr &#x017F;o deut-<lb/>
lich &#x017F;eyn, daß der Le&#x017F;er die Aehnlichkeit, die es vor-<lb/>
&#x017F;tellet, ohne Mu&#x0364;he &#x017F;ehen kan. Dahero i&#x017F;t auch<lb/>
die angefu&#x0364;gte Warnung, <hi rendition="#fr">daß man nicht alle<lb/>
Scribenten, die &#x017F;chwer zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind, vor<lb/>
&#x017F;innreich ausgebe,</hi> gantz u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig. Denn<lb/>
die dunckle und verworrene Schreibart i&#x017F;t nicht dem<lb/>
Sinnreichen entgegenge&#x017F;etzt. Vielleicht geben uns<lb/>
die folgenden Anmerckungen mehr Licht.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Das fu&#x0364;rnehm&#x017F;te/</hi> &#x017F;agt &#x017F;ie ferner/ <hi rendition="#fr">wird in der<lb/>
&#x017F;innreichen Schreibart wohl auf verblu&#x0364;mte<lb/>
Gleichnißreden ankommen. Die oben erwehn-<lb/>
ten Exempel be&#x017F;ta&#x0364;tigen es/ und man kan noch<lb/>
mehrere anfu&#x0364;hren. Doch i&#x017F;t hiebey viele Be-<lb/>
hut&#x017F;amkeit no&#x0364;thig: die Gleichni&#x017F;&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en in der<lb/>
That Gleichni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eyn; denn ein blo&#x017F;&#x017F;es gleich-<lb/>
wie &#x2012; &#x2012; al&#x017F;o/ macht es nicht aus; vielmehr muß<lb/>
die&#x017F;es gantz vermieden werden/ wenn der Aus-<lb/>
druck &#x017F;innreich &#x017F;eyn &#x017F;oll. Die Gleichni&#x017F;&#x017F;e mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en nicht gar zu gemein/ und bekannt &#x017F;eyn;<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ind &#x017F;ie unangenehm. Endlich mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie<lb/>
auch weder von gar zu hohen/ noch gar zu<lb/>
niedrigen Dingen hergenommen &#x017F;eyn.</hi> Die ver-<lb/>
blu&#x0364;mte Gieichnißreden geho&#x0364;ren freylich zu dem Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht des Sinnreichen; aber insgemein alles ge-<lb/>
ho&#x0364;ret dazu, was durch die Vergleichung der Aehn-<lb/>
lichkeiten, &#x017F;o zwi&#x017F;chen den Dingen ob&#x017F;chweben, her-<lb/>
ausgebracht werden kan. Darum i&#x017F;t der Lehr&#x017F;atz,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0118] Von dem Sinnreichen zu dem Sinnreichen; oder zeige ſie mir z. E. die reichen Gedancken (wann wir durch dieß Wort Vernunftſchluͤſſe verſtehen,) welche in der erſten Stelle aus Beſſers Schriften ſtecken. Drit- tens ſoll das Sinnreiche viel Nachdenckens er- wecken. Jm Gegentheil muß es vielmehr ſo deut- lich ſeyn, daß der Leſer die Aehnlichkeit, die es vor- ſtellet, ohne Muͤhe ſehen kan. Dahero iſt auch die angefuͤgte Warnung, daß man nicht alle Scribenten, die ſchwer zu verſtehen ſind, vor ſinnreich ausgebe, gantz uͤberfluͤſſig. Denn die dunckle und verworrene Schreibart iſt nicht dem Sinnreichen entgegengeſetzt. Vielleicht geben uns die folgenden Anmerckungen mehr Licht. Das fuͤrnehmſte/ ſagt ſie ferner/ wird in der ſinnreichen Schreibart wohl auf verbluͤmte Gleichnißreden ankommen. Die oben erwehn- ten Exempel beſtaͤtigen es/ und man kan noch mehrere anfuͤhren. Doch iſt hiebey viele Be- hutſamkeit noͤthig: die Gleichniſſe muͤſſen in der That Gleichniſſe ſeyn; denn ein bloſſes gleich- wie ‒ ‒ alſo/ macht es nicht aus; vielmehr muß dieſes gantz vermieden werden/ wenn der Aus- druck ſinnreich ſeyn ſoll. Die Gleichniſſe muͤſ- ſen nicht gar zu gemein/ und bekannt ſeyn; ſonſt ſind ſie unangenehm. Endlich muͤſſen ſie auch weder von gar zu hohen/ noch gar zu niedrigen Dingen hergenommen ſeyn. Die ver- bluͤmte Gieichnißreden gehoͤren freylich zu dem Ge- ſchlecht des Sinnreichen; aber insgemein alles ge- hoͤret dazu, was durch die Vergleichung der Aehn- lichkeiten, ſo zwiſchen den Dingen obſchweben, her- ausgebracht werden kan. Darum iſt der Lehrſatz, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/118
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/118>, abgerufen am 06.05.2024.