Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Buch. Die Statsformen.

d) Endlich war, abgesehen von den Classen, die ganze
äuszere Erscheinung und Haltung dieser Versammlung durch-
aus nicht demokratisch. Die sorgfältige Beachtung der Au-
spicien, die feste, militärische Ordnung des groszen Körpers,
der Vorsitz der hohen Magistrate, die Einrichtung, dasz nicht
Jedem verstattet war zu reden, auch keine regelmäszigen
Redner anerkannt waren, sondern je nach Bedürfnisz der
Sache die zugleich mit der Ausführung und der eigentlichen
Statsregierung betrauten Magistrate allein zum Volke sprechen
und mit dem Volke verhandeln durften: das alles verlieh
dieser höchsten Versammlung einen würdigen und maszhalten-
den Charakter, und wir begreifen es, dasz ein Römer mit
einer gewissen vornehmen Verachtung auf die chaotische Weise
und das turbulente Treiben der griechischen Ekklesien herab-
sehen konnte. 2

Die eigentlichen Gesetze aber bedurften der Zustim-
mung dieser Comitien, und die für das ganze römische Stats-
leben entscheidenden Wahlen der höhern Magistrate waren
der so aristokratiseh geordneten Nation vorbehalten.

3. Der römische Senat ferner war durch seine Bil-
dung und seine Befugnisse ein erhabenes Institut des Stats.
Anfänglich aus den Häuptlingen der patricischen Geschlechter,
den Fürsten (principes) bestehend und vornehmlich die Geburts-
aristokratie darstellend, wurde er später eine Versammlung

2 Cicero pro Flacco. c. 7: "Nullam illi nostri
sapientissimi et sanc-
tissimi viri vim concionis esse voluerunt; quae scisceret plebes aut quae
populus juberet, summota concione, distributis partibus, tributim et cen-
turiatim descriptis ordinibus, classibus, aetatibus, auditis auctoribus, re
multos dies promulgata et cognita, juberi vetarique voluerunt. Graeco-
rum autem totae res publicae sedentis concionis temeritate administrantur.
Itaque ut hanc Graeciam, quae jamdiu suis consiliis perculsa et efflicta
est, omittam: illa vetus, quae quondam opibus imperio gloria floruit, hoc
uno malo concidit, libertate immoderata ac licentia concionum. Quum in
theatro imperiti homines, rerum omnium rudes ignarique consederant,
tum bella inutilia suscipiebant; tum seditiosos homines rei publicae prae-
ficiebant; tum optime meritos cives e civitate ejiciebant."
Sechstes Buch. Die Statsformen.

d) Endlich war, abgesehen von den Classen, die ganze
äuszere Erscheinung und Haltung dieser Versammlung durch-
aus nicht demokratisch. Die sorgfältige Beachtung der Au-
spicien, die feste, militärische Ordnung des groszen Körpers,
der Vorsitz der hohen Magistrate, die Einrichtung, dasz nicht
Jedem verstattet war zu reden, auch keine regelmäszigen
Redner anerkannt waren, sondern je nach Bedürfnisz der
Sache die zugleich mit der Ausführung und der eigentlichen
Statsregierung betrauten Magistrate allein zum Volke sprechen
und mit dem Volke verhandeln durften: das alles verlieh
dieser höchsten Versammlung einen würdigen und maszhalten-
den Charakter, und wir begreifen es, dasz ein Römer mit
einer gewissen vornehmen Verachtung auf die chaotische Weise
und das turbulente Treiben der griechischen Ekklesien herab-
sehen konnte. 2

Die eigentlichen Gesetze aber bedurften der Zustim-
mung dieser Comitien, und die für das ganze römische Stats-
leben entscheidenden Wahlen der höhern Magistrate waren
der so aristokratiseh geordneten Nation vorbehalten.

3. Der römische Senat ferner war durch seine Bil-
dung und seine Befugnisse ein erhabenes Institut des Stats.
Anfänglich aus den Häuptlingen der patricischen Geschlechter,
den Fürsten (principes) bestehend und vornehmlich die Geburts-
aristokratie darstellend, wurde er später eine Versammlung

2 Cicero pro Flacco. c. 7: „Nullam illi nostri
sapientissimi et sanc-
tissimi viri vim concionis esse voluerunt; quae scisceret plebes aut quae
populus juberet, summota concione, distributis partibus, tributim et cen-
turiatim descriptis ordinibus, classibus, aetatibus, auditis auctoribus, re
multos dies promulgata et cognita, juberi vetarique voluerunt. Graeco-
rum autem totae res publicae sedentis concionis temeritate administrantur.
Itaque ut hanc Graeciam, quae jamdiu suis consiliis perculsa et efflicta
est, omittam: illa vetus, quae quondam opibus imperio gloria floruit, hoc
uno malo concidit, libertate immoderata ac licentia concionum. Quum in
theatro imperiti homines, rerum omnium rudes ignarique consederant,
tum bella inutilia suscipiebant; tum seditiosos homines rei publicae prae-
ficiebant; tum optime meritos cives e civitate ejiciebant.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0530" n="512"/>
          <fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
          <p>d) Endlich war, abgesehen von den Classen, die ganze<lb/>
äuszere Erscheinung und Haltung dieser Versammlung durch-<lb/>
aus nicht demokratisch. Die sorgfältige Beachtung der Au-<lb/>
spicien, die feste, militärische Ordnung des groszen Körpers,<lb/>
der Vorsitz der hohen Magistrate, die Einrichtung, dasz nicht<lb/>
Jedem verstattet war zu reden, auch keine regelmäszigen<lb/>
Redner anerkannt waren, sondern je nach Bedürfnisz der<lb/>
Sache die zugleich mit der Ausführung und der eigentlichen<lb/>
Statsregierung betrauten Magistrate allein zum Volke sprechen<lb/>
und mit dem Volke verhandeln durften: das alles verlieh<lb/>
dieser höchsten Versammlung einen würdigen und maszhalten-<lb/>
den Charakter, und wir begreifen es, dasz ein Römer mit<lb/>
einer gewissen vornehmen Verachtung auf die chaotische Weise<lb/>
und das turbulente Treiben der griechischen Ekklesien herab-<lb/>
sehen konnte. <note place="foot" n="2">Cicero pro Flacco. c. 7: &#x201E;Nullam illi nostri<lb/>
sapientissimi et sanc-<lb/>
tissimi viri vim concionis esse voluerunt; quae scisceret plebes aut quae<lb/>
populus juberet, summota concione, <hi rendition="#i">distributis partibus</hi>, tributim et cen-<lb/>
turiatim <hi rendition="#i">descriptis ordinibus</hi>, <hi rendition="#i">classibus</hi>, <hi rendition="#i">aetatibus</hi>, <hi rendition="#i">auditis auctoribus</hi>, re<lb/>
multos dies promulgata et cognita, juberi vetarique voluerunt. Graeco-<lb/>
rum autem totae res publicae <hi rendition="#i">sedentis concionis temeritate administrantur</hi>.<lb/>
Itaque ut hanc Graeciam, quae jamdiu suis consiliis perculsa et efflicta<lb/>
est, omittam: illa vetus, quae quondam opibus imperio gloria floruit, hoc<lb/>
uno malo concidit, <hi rendition="#i">libertate immoderata ac licentia concionum</hi>. Quum in<lb/>
theatro imperiti homines, rerum omnium rudes ignarique consederant,<lb/>
tum bella inutilia suscipiebant; tum seditiosos homines rei publicae prae-<lb/>
ficiebant; tum optime meritos cives e civitate ejiciebant.&#x201C;</note></p><lb/>
          <p>Die eigentlichen <hi rendition="#g">Gesetze</hi> aber bedurften der Zustim-<lb/>
mung dieser Comitien, und die für das ganze römische Stats-<lb/>
leben entscheidenden <hi rendition="#g">Wahlen</hi> der höhern Magistrate waren<lb/>
der so aristokratiseh geordneten Nation vorbehalten.</p><lb/>
          <p>3. Der <hi rendition="#g">römische Senat</hi> ferner war durch seine Bil-<lb/>
dung und seine Befugnisse ein erhabenes Institut des Stats.<lb/>
Anfänglich aus den Häuptlingen der patricischen Geschlechter,<lb/>
den Fürsten (principes) bestehend und vornehmlich die Geburts-<lb/>
aristokratie darstellend, wurde er später eine Versammlung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0530] Sechstes Buch. Die Statsformen. d) Endlich war, abgesehen von den Classen, die ganze äuszere Erscheinung und Haltung dieser Versammlung durch- aus nicht demokratisch. Die sorgfältige Beachtung der Au- spicien, die feste, militärische Ordnung des groszen Körpers, der Vorsitz der hohen Magistrate, die Einrichtung, dasz nicht Jedem verstattet war zu reden, auch keine regelmäszigen Redner anerkannt waren, sondern je nach Bedürfnisz der Sache die zugleich mit der Ausführung und der eigentlichen Statsregierung betrauten Magistrate allein zum Volke sprechen und mit dem Volke verhandeln durften: das alles verlieh dieser höchsten Versammlung einen würdigen und maszhalten- den Charakter, und wir begreifen es, dasz ein Römer mit einer gewissen vornehmen Verachtung auf die chaotische Weise und das turbulente Treiben der griechischen Ekklesien herab- sehen konnte. 2 Die eigentlichen Gesetze aber bedurften der Zustim- mung dieser Comitien, und die für das ganze römische Stats- leben entscheidenden Wahlen der höhern Magistrate waren der so aristokratiseh geordneten Nation vorbehalten. 3. Der römische Senat ferner war durch seine Bil- dung und seine Befugnisse ein erhabenes Institut des Stats. Anfänglich aus den Häuptlingen der patricischen Geschlechter, den Fürsten (principes) bestehend und vornehmlich die Geburts- aristokratie darstellend, wurde er später eine Versammlung 2 Cicero pro Flacco. c. 7: „Nullam illi nostri sapientissimi et sanc- tissimi viri vim concionis esse voluerunt; quae scisceret plebes aut quae populus juberet, summota concione, distributis partibus, tributim et cen- turiatim descriptis ordinibus, classibus, aetatibus, auditis auctoribus, re multos dies promulgata et cognita, juberi vetarique voluerunt. Graeco- rum autem totae res publicae sedentis concionis temeritate administrantur. Itaque ut hanc Graeciam, quae jamdiu suis consiliis perculsa et efflicta est, omittam: illa vetus, quae quondam opibus imperio gloria floruit, hoc uno malo concidit, libertate immoderata ac licentia concionum. Quum in theatro imperiti homines, rerum omnium rudes ignarique consederant, tum bella inutilia suscipiebant; tum seditiosos homines rei publicae prae- ficiebant; tum optime meritos cives e civitate ejiciebant.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/530
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/530>, abgerufen am 24.11.2024.