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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechsz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 3. Mon. Princip
etc.

Würde die Kammermajorität und der Ministerrath in allen
Fällen mit formeller Nothwendigkeit die Handlungen des
Fürsten bestimmen, so wäre eine solche eigentliche Parla-
ments
- und Ministerregierung 2 allerdings im Wider-
spruch mit dem monarchischen Princip. Der constitutionelle
Monarch wird sich thatsächlich meistens durch das schwere
Gewicht jener Abstimmungen und Anträge bestimmen lassen,
weil er darin den vorbereiteten Statswillen erkennt,
aber er wird sich die freie Prüfung aus dem Standpunkt des
Statswohls vorbehalten müssen, wenn er seine monarchische
Pflicht üben soll.

Innerhalb jener Schranken bewegt sich auch der consti-
tutionelle Monarch mit voller Freiheit. Es ist abgeschmackt,
ihn verhindern zu wollen, dasz er seine eigene Meinung
ausspreche. Jeder tüchtige Mann hat ein Bedürfnisz, seine
wirkliche Gesinnung zu äuszern. 3 Politische Rücksichten
mögen den Monarchen oft zurückhalten, dieselbe ganz und
laut zu offenbaren, aber Niemandem steht das Recht zu, ihm
die freie Rede zu versagen oder gar ihn zu falscher
Rede zu nöthigen
. 4


2 Von der
Parlaments- und der Ministerregierung wird in den fol-
genden Büchern noch näher die Rede sein.
3 Guizot Mem. XII, 184.
"Un trone n'est pas un fauteuil vide,
auquel on a mis une clef pour que nul ne puisse etre tente de s'y
asseoir.
Une personne intelligente et libre, qui a ses idees, ses sentiments, ses
desirs, ses volontes comme tous les etres reels
et vivants, siege dans ce
fauteuil. Le devoir de cette personne, car il y a des devoirs pour tous,
egalement sacres pour tous, son devoir, dis-je, et la
necessite de sa si-
tuation, c'est de ne gouverner que d'accord avec les grands pouvoirs
publics institues par la Charte, avec leur aveu, leur adhesion,
leur appui."
4 Beachtenswerthe Bemerkungen darüber finden
sich bei Stahl:
Das monarchische Princip, S. 9. Luther in den Tischreden: "Es ist
nichts löblicheres und lieblicheres an einem Fürsten, denn dasz er frei
redet, was seine Meinung sei, und hat er Die lieb, so deszgleichen thun
und ungescheut sagen, wie ihnen ums Herz ist." Wie könnte er die
freie Rede Anderer achten und lieben, wäre er selber in der freien Rede
gehemmt?
Sechsz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 3. Mon. Princip
etc.

Würde die Kammermajorität und der Ministerrath in allen
Fällen mit formeller Nothwendigkeit die Handlungen des
Fürsten bestimmen, so wäre eine solche eigentliche Parla-
ments
- und Ministerregierung 2 allerdings im Wider-
spruch mit dem monarchischen Princip. Der constitutionelle
Monarch wird sich thatsächlich meistens durch das schwere
Gewicht jener Abstimmungen und Anträge bestimmen lassen,
weil er darin den vorbereiteten Statswillen erkennt,
aber er wird sich die freie Prüfung aus dem Standpunkt des
Statswohls vorbehalten müssen, wenn er seine monarchische
Pflicht üben soll.

Innerhalb jener Schranken bewegt sich auch der consti-
tutionelle Monarch mit voller Freiheit. Es ist abgeschmackt,
ihn verhindern zu wollen, dasz er seine eigene Meinung
ausspreche. Jeder tüchtige Mann hat ein Bedürfnisz, seine
wirkliche Gesinnung zu äuszern. 3 Politische Rücksichten
mögen den Monarchen oft zurückhalten, dieselbe ganz und
laut zu offenbaren, aber Niemandem steht das Recht zu, ihm
die freie Rede zu versagen oder gar ihn zu falscher
Rede zu nöthigen
. 4


2 Von der
Parlaments- und der Ministerregierung wird in den fol-
genden Büchern noch näher die Rede sein.
3 Guizot Mém. XII, 184.
„Un trône n'est pas un fauteuil vide,
auquel on a mis une clef pour que nul ne puisse être tenté de s'y
asseoir.
Une personne intelligente et libre, qui a ses idées, ses sentiments, ses
désirs, ses volontés comme tous les êtres réels
et vivants, siège dans ce
fauteuil. Le devoir de cette personne, car il y a des devoirs pour tous,
également sacrés pour tous, son devoir, dis-je, et la
nécessité de sa si-
tuation, c'est de ne gouverner que d'accord avec les grands pouvoirs
publics institués par la Charte, avec leur aveu, leur adhésion,
leur appui.“
4 Beachtenswerthe Bemerkungen darüber finden
sich bei Stahl:
Das monarchische Princip, S. 9. Luther in den Tischreden: „Es ist
nichts löblicheres und lieblicheres an einem Fürsten, denn dasz er frei
redet, was seine Meinung sei, und hat er Die lieb, so deszgleichen thun
und ungescheut sagen, wie ihnen ums Herz ist.“ Wie könnte er die
freie Rede Anderer achten und lieben, wäre er selber in der freien Rede
gehemmt?
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[495/0513] Sechsz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 3. Mon. Princip etc. Würde die Kammermajorität und der Ministerrath in allen Fällen mit formeller Nothwendigkeit die Handlungen des Fürsten bestimmen, so wäre eine solche eigentliche Parla- ments- und Ministerregierung 2 allerdings im Wider- spruch mit dem monarchischen Princip. Der constitutionelle Monarch wird sich thatsächlich meistens durch das schwere Gewicht jener Abstimmungen und Anträge bestimmen lassen, weil er darin den vorbereiteten Statswillen erkennt, aber er wird sich die freie Prüfung aus dem Standpunkt des Statswohls vorbehalten müssen, wenn er seine monarchische Pflicht üben soll. Innerhalb jener Schranken bewegt sich auch der consti- tutionelle Monarch mit voller Freiheit. Es ist abgeschmackt, ihn verhindern zu wollen, dasz er seine eigene Meinung ausspreche. Jeder tüchtige Mann hat ein Bedürfnisz, seine wirkliche Gesinnung zu äuszern. 3 Politische Rücksichten mögen den Monarchen oft zurückhalten, dieselbe ganz und laut zu offenbaren, aber Niemandem steht das Recht zu, ihm die freie Rede zu versagen oder gar ihn zu falscher Rede zu nöthigen. 4 2 Von der Parlaments- und der Ministerregierung wird in den fol- genden Büchern noch näher die Rede sein. 3 Guizot Mém. XII, 184. „Un trône n'est pas un fauteuil vide, auquel on a mis une clef pour que nul ne puisse être tenté de s'y asseoir. Une personne intelligente et libre, qui a ses idées, ses sentiments, ses désirs, ses volontés comme tous les êtres réels et vivants, siège dans ce fauteuil. Le devoir de cette personne, car il y a des devoirs pour tous, également sacrés pour tous, son devoir, dis-je, et la nécessité de sa si- tuation, c'est de ne gouverner que d'accord avec les grands pouvoirs publics institués par la Charte, avec leur aveu, leur adhésion, leur appui.“ 4 Beachtenswerthe Bemerkungen darüber finden sich bei Stahl: Das monarchische Princip, S. 9. Luther in den Tischreden: „Es ist nichts löblicheres und lieblicheres an einem Fürsten, denn dasz er frei redet, was seine Meinung sei, und hat er Die lieb, so deszgleichen thun und ungescheut sagen, wie ihnen ums Herz ist.“ Wie könnte er die freie Rede Anderer achten und lieben, wäre er selber in der freien Rede gehemmt?

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/513>, abgerufen am 24.11.2024.