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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
Seine Person gehört zwar auch nicht in allen Beziehungen
und nicht ganz, aber sie gehört doch vorzugsweise und mehr
dem State an, als jede andere Person. Er ist auch ein Gatte,
Vater, ein Genosse einer Kirche, vielleicht ein Gelehrter oder
Dichter. Aber in allen öffentlichen Dingen soll sich der
Statswille in ihm zum individuellen Willen erheben und po-
tenziren. Der monarchische Stat legt auf die individuelle
Sorge und die individuelle Energie des Monarchen einen
groszen Werth, und es wäre ungereimt, dem Monarchen das
höchste Recht im State zuzusprechen und zugleich ihn um
deszwillen unter die Vormundschaft anderer zu setzen. Nicht
die Kammern schaffen das Gesetz, sondern, indem er seine
Sanction frei ertheilt, begründet er das statliche Ansehen
des Gesetzes. Nicht die Minister fügen seinen Regierungs-
beschlüssen ihre Autorität bei, sondern er verleiht denselben
seine Autorität, und die Minister dienen ihm als Organe,
wenn auch als unentbehrliche Organe seines Willens.

So weit der König durch die Verfassung nicht beschränkt
und nicht gebunden ist an die nothwendige Zustimmung oder
Mitwirkung anderer Glieder des Statsorganismus, so weit ist
er auch völlig frei, seinen eigenen persönlichen Willen
auszusprechen
und demgemäsz zu handeln.

Die Eigenthümlichkeit der constitutionellen im Gegensatz
zu andern Monarchien besteht darin, dasz der Monarch für
sich allein
weder Gesetze geben noch in der Regel Re-
gierungshandlungen ausüben darf, sondern in der ersteren
Beziehung die Mitwirkung und Zustimmung der Kam-
mern
, in der letzteren die Mitwirkung der Minister
erfordert
wird. Sie besteht aber nicht darin, dasz der
Schwerpunkt der Statsregierung in den Kammern oder in den
Ministern liegt.


ne suffit pas a faire des rois; il faut que celui qui devient roi porte en
lui-meme et apporte en dot, au pays qui l'epouse, quelques-uns
des ca-
racteres naturels et independants de la
royaute."

Sechstes Buch. Die Statsformen.
Seine Person gehört zwar auch nicht in allen Beziehungen
und nicht ganz, aber sie gehört doch vorzugsweise und mehr
dem State an, als jede andere Person. Er ist auch ein Gatte,
Vater, ein Genosse einer Kirche, vielleicht ein Gelehrter oder
Dichter. Aber in allen öffentlichen Dingen soll sich der
Statswille in ihm zum individuellen Willen erheben und po-
tenziren. Der monarchische Stat legt auf die individuelle
Sorge und die individuelle Energie des Monarchen einen
groszen Werth, und es wäre ungereimt, dem Monarchen das
höchste Recht im State zuzusprechen und zugleich ihn um
deszwillen unter die Vormundschaft anderer zu setzen. Nicht
die Kammern schaffen das Gesetz, sondern, indem er seine
Sanction frei ertheilt, begründet er das statliche Ansehen
des Gesetzes. Nicht die Minister fügen seinen Regierungs-
beschlüssen ihre Autorität bei, sondern er verleiht denselben
seine Autorität, und die Minister dienen ihm als Organe,
wenn auch als unentbehrliche Organe seines Willens.

So weit der König durch die Verfassung nicht beschränkt
und nicht gebunden ist an die nothwendige Zustimmung oder
Mitwirkung anderer Glieder des Statsorganismus, so weit ist
er auch völlig frei, seinen eigenen persönlichen Willen
auszusprechen
und demgemäsz zu handeln.

Die Eigenthümlichkeit der constitutionellen im Gegensatz
zu andern Monarchien besteht darin, dasz der Monarch für
sich allein
weder Gesetze geben noch in der Regel Re-
gierungshandlungen ausüben darf, sondern in der ersteren
Beziehung die Mitwirkung und Zustimmung der Kam-
mern
, in der letzteren die Mitwirkung der Minister
erfordert
wird. Sie besteht aber nicht darin, dasz der
Schwerpunkt der Statsregierung in den Kammern oder in den
Ministern liegt.


ne suffit pas à faire des rois; il faut que celui qui devient roi porte en
lui-même et apporte en dot, au pays qui l'épouse, quelques-uns
des ca-
ractères naturels et indépendants de la
royauté.“
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[494/0512] Sechstes Buch. Die Statsformen. Seine Person gehört zwar auch nicht in allen Beziehungen und nicht ganz, aber sie gehört doch vorzugsweise und mehr dem State an, als jede andere Person. Er ist auch ein Gatte, Vater, ein Genosse einer Kirche, vielleicht ein Gelehrter oder Dichter. Aber in allen öffentlichen Dingen soll sich der Statswille in ihm zum individuellen Willen erheben und po- tenziren. Der monarchische Stat legt auf die individuelle Sorge und die individuelle Energie des Monarchen einen groszen Werth, und es wäre ungereimt, dem Monarchen das höchste Recht im State zuzusprechen und zugleich ihn um deszwillen unter die Vormundschaft anderer zu setzen. Nicht die Kammern schaffen das Gesetz, sondern, indem er seine Sanction frei ertheilt, begründet er das statliche Ansehen des Gesetzes. Nicht die Minister fügen seinen Regierungs- beschlüssen ihre Autorität bei, sondern er verleiht denselben seine Autorität, und die Minister dienen ihm als Organe, wenn auch als unentbehrliche Organe seines Willens. So weit der König durch die Verfassung nicht beschränkt und nicht gebunden ist an die nothwendige Zustimmung oder Mitwirkung anderer Glieder des Statsorganismus, so weit ist er auch völlig frei, seinen eigenen persönlichen Willen auszusprechen und demgemäsz zu handeln. Die Eigenthümlichkeit der constitutionellen im Gegensatz zu andern Monarchien besteht darin, dasz der Monarch für sich allein weder Gesetze geben noch in der Regel Re- gierungshandlungen ausüben darf, sondern in der ersteren Beziehung die Mitwirkung und Zustimmung der Kam- mern, in der letzteren die Mitwirkung der Minister erfordert wird. Sie besteht aber nicht darin, dasz der Schwerpunkt der Statsregierung in den Kammern oder in den Ministern liegt. 1 1 ne suffit pas à faire des rois; il faut que celui qui devient roi porte en lui-même et apporte en dot, au pays qui l'épouse, quelques-uns des ca- ractères naturels et indépendants de la royauté.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/512>, abgerufen am 24.11.2024.