Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Buch. Die Statsformen.

Dem Monarchen kommt es ferner zu, mit eigenen Augen
zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, selber zu prüfen,
wie es steht in seinem Lande, unmittelbar sich von den Be-
dürfnissen des Volks zu unterrichten, die Erscheinungen des
öffentlichen Lebens zu beobachten, und wo das Interesse und
die Wohlfahrt des Ganzen es erfordert, anregend einzu-
greifen
, Aufträge zur Bearbeitung der nöthigen Ge-
setze
oder zur Einleitung der erforderlichen Masz-
regeln
zu geben. Das ist es, wodurch von jeher grosze Mon-
archen sich ausgezeichnet haben. Das ist die wahre Activität
des Monarchen. 5 Auch die constitutionelle Statsform bietet
einer bedeutenden Individualität in diesen Beziehungen noch
immer freien Spielraum. Sie darf denselben nicht verschlieszen.

II. Das zweite Princip ist: Dem Monarchen steht die
oberste Statshoheit und die vollkommene Stats-
macht
zu. Auch das englische Statsrecht, welches die Rechte
des Königthums in einem Masze beschränkt, wie es die meisten
Monarchien des Continents noch nicht ertragen, erkennt das
Princip dennoch an. Darin liegt:

1. Die Monarchie ist nicht ein Aggregat von einzelnen
Hoheitsrechten, sondern die Einheit und Fülle aller
Hoheitsrechte. 6 Die absolute Monarchie outrirt diesen

5 Friedrich der Grosze von Preuszen im Essai
sur les formes
de gouvernement: "Le souverain represente l'Etat: lui et
ses peuples ne
forment qu'un corps, qui ne peut etre heureux qu'autant la concorde les
unit. Le prince est a la societe qu'il gouverne ce que la
tete est au corps:
il doit voir, penser et agir pour toute la communaute, afin de lui pro-
curer tous les avantages dont elle est susceptible. Si l'on veut que le
gouvernement monarchique l'emporte sur le republicain, l'arret du sou-
verain est prononce: il doit etre actif et
integre et rassembler toutes ses
forces pour fournir la carriere qui lui est ouverte. Le souverain est at-
tache par des liens indissolubles au corps d'Etat; par
consequent il res-
sent par repercussion
tous les maux qui affligent ses sujets, et la
societe
souffre egalement
des malheurs qui touchent son
souverain."
6 Der Artikel 57 der Wiener Schluszacte von 1820
drückt das mon-
archische Princip in dem ersten Satze nicht unrichtig aus, umfaszt
aber
Sechstes Buch. Die Statsformen.

Dem Monarchen kommt es ferner zu, mit eigenen Augen
zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, selber zu prüfen,
wie es steht in seinem Lande, unmittelbar sich von den Be-
dürfnissen des Volks zu unterrichten, die Erscheinungen des
öffentlichen Lebens zu beobachten, und wo das Interesse und
die Wohlfahrt des Ganzen es erfordert, anregend einzu-
greifen
, Aufträge zur Bearbeitung der nöthigen Ge-
setze
oder zur Einleitung der erforderlichen Masz-
regeln
zu geben. Das ist es, wodurch von jeher grosze Mon-
archen sich ausgezeichnet haben. Das ist die wahre Activität
des Monarchen. 5 Auch die constitutionelle Statsform bietet
einer bedeutenden Individualität in diesen Beziehungen noch
immer freien Spielraum. Sie darf denselben nicht verschlieszen.

II. Das zweite Princip ist: Dem Monarchen steht die
oberste Statshoheit und die vollkommene Stats-
macht
zu. Auch das englische Statsrecht, welches die Rechte
des Königthums in einem Masze beschränkt, wie es die meisten
Monarchien des Continents noch nicht ertragen, erkennt das
Princip dennoch an. Darin liegt:

1. Die Monarchie ist nicht ein Aggregat von einzelnen
Hoheitsrechten, sondern die Einheit und Fülle aller
Hoheitsrechte. 6 Die absolute Monarchie outrirt diesen

5 Friedrich der Grosze von Preuszen im Essai
sur les formes
de gouvernement: „Le souverain représente l'État: lui et
ses peuples ne
forment qu'un corps, qui ne peut être heureux qu'autant la concorde les
unit. Le prince est à la société qu'il gouverne ce que la
tête est au corps:
il doit voir, penser et agir pour toute la communauté, afin de lui pro-
curer tous les avantages dont elle est susceptible. Si l'on veut que le
gouvernement monarchique l'emporte sur le républicain, l'arrêt du sou-
verain est prononcé: il doit être actif et
intègre et rassembler toutes ses
forces pour fournir la carrière qui lui est ouverte. Le souverain est at-
taché par des liens indissolubles au corps d'État; par
conséquent il res-
sent par répercussion
tous les maux qui affligent ses sujets, et la
société
souffre également
des malheurs qui touchent son
souverain.“
6 Der Artikel 57 der Wiener Schluszacte von 1820
drückt das mon-
archische Princip in dem ersten Satze nicht unrichtig aus, umfaszt
aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0514" n="496"/>
          <fw place="top" type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/>
          <p>Dem Monarchen kommt es ferner zu, mit eigenen Augen<lb/>
zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, selber zu prüfen,<lb/>
wie es steht in seinem Lande, unmittelbar sich von den Be-<lb/>
dürfnissen des Volks zu unterrichten, die Erscheinungen des<lb/>
öffentlichen Lebens zu beobachten, und wo das Interesse und<lb/>
die Wohlfahrt des Ganzen es erfordert, <hi rendition="#g">anregend einzu-<lb/>
greifen</hi>, <hi rendition="#g">Aufträge zur Bearbeitung</hi> der nöthigen <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
setze</hi> oder zur <hi rendition="#g">Einleitung</hi> der <hi rendition="#g">erforderlichen Masz-<lb/>
regeln</hi> zu geben. Das ist es, wodurch von jeher grosze Mon-<lb/>
archen sich ausgezeichnet haben. Das ist die wahre <hi rendition="#g">Activität</hi><lb/>
des Monarchen. <note place="foot" n="5"><hi rendition="#g">Friedrich der Grosze</hi> von Preuszen im Essai<lb/>
sur les formes<lb/>
de gouvernement: &#x201E;Le souverain représente l'État: lui et<lb/>
ses peuples ne<lb/>
forment qu'un corps, qui ne peut être heureux qu'autant la concorde les<lb/>
unit. Le prince est à la société qu'il gouverne ce que la<lb/>
tête est au corps:<lb/>
il doit voir, penser et agir pour toute la communauté, afin de lui pro-<lb/>
curer tous les avantages dont elle est susceptible. Si l'on veut que le<lb/>
gouvernement monarchique l'emporte sur le républicain, l'arrêt du sou-<lb/>
verain est prononcé: il doit être <hi rendition="#i">actif</hi> et<lb/><hi rendition="#i">intègre</hi> et rassembler toutes ses<lb/>
forces pour fournir la carrière qui lui est ouverte. Le souverain est at-<lb/>
taché par des liens indissolubles au corps d'État; par<lb/>
conséquent il <hi rendition="#i">res-<lb/>
sent par répercussion</hi> tous les maux qui affligent ses sujets, et <hi rendition="#i">la<lb/>
société<lb/>
souffre également</hi> des malheurs qui touchent son<lb/>
souverain.&#x201C;</note> Auch die constitutionelle Statsform bietet<lb/>
einer bedeutenden Individualität in diesen Beziehungen noch<lb/>
immer freien Spielraum. Sie darf denselben nicht verschlieszen.</p><lb/>
          <p>II. Das zweite Princip ist: Dem Monarchen steht die<lb/><hi rendition="#g">oberste Statshoheit</hi> und die <hi rendition="#g">vollkommene Stats-<lb/>
macht</hi> zu. Auch das englische Statsrecht, welches die Rechte<lb/>
des Königthums in einem Masze beschränkt, wie es die meisten<lb/>
Monarchien des Continents noch nicht ertragen, erkennt das<lb/>
Princip dennoch an. Darin liegt:</p><lb/>
          <p>1. Die Monarchie ist nicht ein Aggregat von einzelnen<lb/>
Hoheitsrechten, sondern die <hi rendition="#g">Einheit</hi> und <hi rendition="#g">Fülle</hi> aller<lb/><hi rendition="#g">Hoheitsrechte</hi>. <note xml:id="note-0514" next="#note-0515" place="foot" n="6">Der Artikel 57 der Wiener Schluszacte von 1820<lb/>
drückt das mon-<lb/>
archische Princip in dem ersten Satze nicht unrichtig aus, umfaszt<lb/>
aber</note> Die absolute Monarchie outrirt diesen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[496/0514] Sechstes Buch. Die Statsformen. Dem Monarchen kommt es ferner zu, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, selber zu prüfen, wie es steht in seinem Lande, unmittelbar sich von den Be- dürfnissen des Volks zu unterrichten, die Erscheinungen des öffentlichen Lebens zu beobachten, und wo das Interesse und die Wohlfahrt des Ganzen es erfordert, anregend einzu- greifen, Aufträge zur Bearbeitung der nöthigen Ge- setze oder zur Einleitung der erforderlichen Masz- regeln zu geben. Das ist es, wodurch von jeher grosze Mon- archen sich ausgezeichnet haben. Das ist die wahre Activität des Monarchen. 5 Auch die constitutionelle Statsform bietet einer bedeutenden Individualität in diesen Beziehungen noch immer freien Spielraum. Sie darf denselben nicht verschlieszen. II. Das zweite Princip ist: Dem Monarchen steht die oberste Statshoheit und die vollkommene Stats- macht zu. Auch das englische Statsrecht, welches die Rechte des Königthums in einem Masze beschränkt, wie es die meisten Monarchien des Continents noch nicht ertragen, erkennt das Princip dennoch an. Darin liegt: 1. Die Monarchie ist nicht ein Aggregat von einzelnen Hoheitsrechten, sondern die Einheit und Fülle aller Hoheitsrechte. 6 Die absolute Monarchie outrirt diesen 5 Friedrich der Grosze von Preuszen im Essai sur les formes de gouvernement: „Le souverain représente l'État: lui et ses peuples ne forment qu'un corps, qui ne peut être heureux qu'autant la concorde les unit. Le prince est à la société qu'il gouverne ce que la tête est au corps: il doit voir, penser et agir pour toute la communauté, afin de lui pro- curer tous les avantages dont elle est susceptible. Si l'on veut que le gouvernement monarchique l'emporte sur le républicain, l'arrêt du sou- verain est prononcé: il doit être actif et intègre et rassembler toutes ses forces pour fournir la carrière qui lui est ouverte. Le souverain est at- taché par des liens indissolubles au corps d'État; par conséquent il res- sent par répercussion tous les maux qui affligent ses sujets, et la société souffre également des malheurs qui touchent son souverain.“ 6 Der Artikel 57 der Wiener Schluszacte von 1820 drückt das mon- archische Princip in dem ersten Satze nicht unrichtig aus, umfaszt aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/514
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/514>, abgerufen am 17.05.2024.