Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
jener ersteren, und welche nach Analogie der englischen Ver-
fassung und der französischen Charte eine Pairskammer mit
erblichen und lebenslänglichen Pairs der Deputirtenkammer
beiordnete. Diese Verfassung spricht nun von vier Gewalten:
1) der gesetzgebenden, welche den Cortes unter der Sanction
des Königes, 2) der vermittelnden (moderador), welche
dem Könige "als höchstem Oberhaupte der Nation zur Hand-
habung des Gleichgewichts und der Harmonie der andern
politischen Gewalten," 3) der vollziehenden, welche dem Kö-
nige in Verbindung mit den Ministern, und 4) der richter-
lichen, welche unabhängigen Gerichten zusteht. 17

Auch nach der Besiegung der absolutistischen Partei Don
Miguels, welche von keiner der beiden Verfassungen etwas
wissen wollte, stritten sich zwei andere Parteien mit wechseln-
dem Glücke um die Herrschaft; die eine demokratische, welche
sich an die Verfassung von 1822, die andere, der Chartisten,
welche sich an die Charte von 1826 hielt. Im Jahre 1838
kam es zu einer Revision der letzteren, durch welche die
erblichen Senatorwürden in periodisch gewählte umgewandelt,
und die Institution des Statsraths aus der Verfassung ge-
strichen wurde. 18 Die Masse des Volkes nimmt indessen noch
immer wenig Antheil an diesen Verfassungen. Indessen haben
sich die Portugiesischen Statszustände, unter dem Einflusse
der Koburgischen neuen Dynastie friedlicher und günstiger
entwickelt als die Spanischen.

4. Auch auf den gröszeren amerikanischen Tochterstat
Portugals, auf das unabhängig gewordene Kaiserthum Bra-
silien
wurde die Verfassung der constitutionellen Monarchie
übergetragen und erlebte dort ähnliche Schwankungen und
Kämpfe, machte aber auch ähnliche Fortschritte wie in Europa.

5. Italien rang sich allmählich aus dem unwürdigen

17 Art. 11, 13, 71, 75, 118 der Verf. von 1826. Beide Verfassungen
bei Pölitz II, S. 299 ff., die letztere bei Schubert, Verf. II, S. 148.
18 Bei Schubert, Verf. II, S. 173.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 30

Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
jener ersteren, und welche nach Analogie der englischen Ver-
fassung und der französischen Charte eine Pairskammer mit
erblichen und lebenslänglichen Pairs der Deputirtenkammer
beiordnete. Diese Verfassung spricht nun von vier Gewalten:
1) der gesetzgebenden, welche den Cortes unter der Sanction
des Königes, 2) der vermittelnden (moderador), welche
dem Könige „als höchstem Oberhaupte der Nation zur Hand-
habung des Gleichgewichts und der Harmonie der andern
politischen Gewalten,“ 3) der vollziehenden, welche dem Kö-
nige in Verbindung mit den Ministern, und 4) der richter-
lichen, welche unabhängigen Gerichten zusteht. 17

Auch nach der Besiegung der absolutistischen Partei Don
Miguels, welche von keiner der beiden Verfassungen etwas
wissen wollte, stritten sich zwei andere Parteien mit wechseln-
dem Glücke um die Herrschaft; die eine demokratische, welche
sich an die Verfassung von 1822, die andere, der Chartisten,
welche sich an die Charte von 1826 hielt. Im Jahre 1838
kam es zu einer Revision der letzteren, durch welche die
erblichen Senatorwürden in periodisch gewählte umgewandelt,
und die Institution des Statsraths aus der Verfassung ge-
strichen wurde. 18 Die Masse des Volkes nimmt indessen noch
immer wenig Antheil an diesen Verfassungen. Indessen haben
sich die Portugiesischen Statszustände, unter dem Einflusse
der Koburgischen neuen Dynastie friedlicher und günstiger
entwickelt als die Spanischen.

4. Auch auf den gröszeren amerikanischen Tochterstat
Portugals, auf das unabhängig gewordene Kaiserthum Bra-
silien
wurde die Verfassung der constitutionellen Monarchie
übergetragen und erlebte dort ähnliche Schwankungen und
Kämpfe, machte aber auch ähnliche Fortschritte wie in Europa.

5. Italien rang sich allmählich aus dem unwürdigen

17 Art. 11, 13, 71, 75, 118 der Verf. von 1826. Beide Verfassungen
bei Pölitz II, S. 299 ff., die letztere bei Schubert, Verf. II, S. 148.
18 Bei Schubert, Verf. II, S. 173.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 30
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0483" n="465"/><fw place="top" type="header">Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.</fw><lb/>
jener ersteren, und welche nach Analogie der englischen Ver-<lb/>
fassung und der französischen Charte eine Pairskammer mit<lb/>
erblichen und lebenslänglichen Pairs der Deputirtenkammer<lb/>
beiordnete. Diese Verfassung spricht nun von <hi rendition="#g">vier</hi> Gewalten:<lb/>
1) der gesetzgebenden, welche den Cortes unter der Sanction<lb/>
des Königes, 2) der <hi rendition="#g">vermittelnden</hi> (moderador), welche<lb/>
dem Könige &#x201E;als höchstem Oberhaupte der Nation zur Hand-<lb/>
habung des Gleichgewichts und der Harmonie der andern<lb/>
politischen Gewalten,&#x201C; 3) der vollziehenden, welche dem Kö-<lb/>
nige in Verbindung mit den Ministern, und 4) der richter-<lb/>
lichen, welche unabhängigen Gerichten zusteht. <note place="foot" n="17">Art. 11, 13, 71, 75, 118 der Verf. von 1826. Beide Verfassungen<lb/>
bei <hi rendition="#g">Pölitz</hi> II, S. 299 ff., die letztere bei <hi rendition="#g">Schubert</hi>, Verf. II, S. 148.</note></p><lb/>
          <p>Auch nach der Besiegung der absolutistischen Partei Don<lb/>
Miguels, welche von keiner der beiden Verfassungen etwas<lb/>
wissen wollte, stritten sich zwei andere Parteien mit wechseln-<lb/>
dem Glücke um die Herrschaft; die eine demokratische, welche<lb/>
sich an die Verfassung von 1822, die andere, der Chartisten,<lb/>
welche sich an die Charte von 1826 hielt. Im Jahre 1838<lb/>
kam es zu einer Revision der letzteren, durch welche die<lb/>
erblichen Senatorwürden in periodisch gewählte umgewandelt,<lb/>
und die Institution des Statsraths aus der Verfassung ge-<lb/>
strichen wurde. <note place="foot" n="18">Bei <hi rendition="#g">Schubert</hi>, Verf. II, S. 173.</note> Die Masse des Volkes nimmt indessen noch<lb/>
immer wenig Antheil an diesen Verfassungen. Indessen haben<lb/>
sich die Portugiesischen Statszustände, unter dem Einflusse<lb/>
der <hi rendition="#g">Koburgischen</hi> neuen Dynastie friedlicher und günstiger<lb/>
entwickelt als die Spanischen.</p><lb/>
          <p>4. Auch auf den gröszeren amerikanischen Tochterstat<lb/>
Portugals, auf das unabhängig gewordene Kaiserthum <hi rendition="#g">Bra-<lb/>
silien</hi> wurde die Verfassung der constitutionellen Monarchie<lb/>
übergetragen und erlebte dort ähnliche Schwankungen und<lb/>
Kämpfe, machte aber auch ähnliche Fortschritte wie in Europa.</p><lb/>
          <p>5. <hi rendition="#g">Italien</hi> rang sich allmählich aus dem unwürdigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Bluntschli</hi>, allgemeine Statslehre. 30</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0483] Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc. jener ersteren, und welche nach Analogie der englischen Ver- fassung und der französischen Charte eine Pairskammer mit erblichen und lebenslänglichen Pairs der Deputirtenkammer beiordnete. Diese Verfassung spricht nun von vier Gewalten: 1) der gesetzgebenden, welche den Cortes unter der Sanction des Königes, 2) der vermittelnden (moderador), welche dem Könige „als höchstem Oberhaupte der Nation zur Hand- habung des Gleichgewichts und der Harmonie der andern politischen Gewalten,“ 3) der vollziehenden, welche dem Kö- nige in Verbindung mit den Ministern, und 4) der richter- lichen, welche unabhängigen Gerichten zusteht. 17 Auch nach der Besiegung der absolutistischen Partei Don Miguels, welche von keiner der beiden Verfassungen etwas wissen wollte, stritten sich zwei andere Parteien mit wechseln- dem Glücke um die Herrschaft; die eine demokratische, welche sich an die Verfassung von 1822, die andere, der Chartisten, welche sich an die Charte von 1826 hielt. Im Jahre 1838 kam es zu einer Revision der letzteren, durch welche die erblichen Senatorwürden in periodisch gewählte umgewandelt, und die Institution des Statsraths aus der Verfassung ge- strichen wurde. 18 Die Masse des Volkes nimmt indessen noch immer wenig Antheil an diesen Verfassungen. Indessen haben sich die Portugiesischen Statszustände, unter dem Einflusse der Koburgischen neuen Dynastie friedlicher und günstiger entwickelt als die Spanischen. 4. Auch auf den gröszeren amerikanischen Tochterstat Portugals, auf das unabhängig gewordene Kaiserthum Bra- silien wurde die Verfassung der constitutionellen Monarchie übergetragen und erlebte dort ähnliche Schwankungen und Kämpfe, machte aber auch ähnliche Fortschritte wie in Europa. 5. Italien rang sich allmählich aus dem unwürdigen 17 Art. 11, 13, 71, 75, 118 der Verf. von 1826. Beide Verfassungen bei Pölitz II, S. 299 ff., die letztere bei Schubert, Verf. II, S. 148. 18 Bei Schubert, Verf. II, S. 173. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 30

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/483
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/483>, abgerufen am 24.11.2024.