Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
vereint" (Art. 15) und ebenso diesem die "Aufsicht über die Justiz" (Art. 171) zugeschrieben. Indessen kann er durch wiederholte Abstimmung der Cortes zur Sanction der Gesetze genöthigt werden (Art. 149). Darin aber unterscheidet sich diese Verfassung sehr von der englischen Form, dasz sie eine aristokratische Pairskammer als Mittelmacht nicht kennt, son- dern dem Könige die Eine Versammlung der Cortes, als der gewählten Volksvertreter gegenüber stellt. 14
Die Willkür, mit welcher der befreite König diese Ver- fassung aufhob (4. Mai 1814) und die Häupter der Cortes verfolgte, und die alten und neuen Erfahrungen, welche die Nation über die absolute Regierungsweise der Bourbonischen Dynastie machte, hatten die Folge, dasz die Verfassung von 1812 trotz ihrer Mängel und ungeachtet man sich anfänglich wenig um dieselbe bekümmert hatte, nach ihrer Beseitigung populär ward, und wiederholte Versuche (1820, 1836) ge- macht wurden, dieselbe mit Gewalt einzuführen. Auch das Estatuto Real von 1834, welches Spanien nun doch eine Re- präsentativverfassung verlieh, befriedigte nicht mehr. Die Königin-Regentin wurde 1836 genöthigt, die Verfassung von 1812 anzuerkennen, und im Jahr 1837 kam unter dem Ein- flusz der Progressisten die neue constitutionelle Verfassung für Spanien, auf Grundlage der ersteren und mit theilweiser Benutzung des Estatuto Real von 1834 zur feierlichen Be- schwörung. In dieser modificirten Verfassung ist denn die Sanction der Gesetze durch den König wieder ohne Beschrän- kung anerkannt, und das Zweikammersystem (ein Senat und eine Deputirtenkammer) eingeführt worden. 15 Noch mehr näherte sich die unter dem Einflusze der Moderados revidirte
14 Die Verfassung ist in deutscher Uebersetzung abgedruckt bei Pölitz II, S. 263 ff., und bei Schubert, Verf. II, S. 44 ff. Vgl. be- sonders die ausgezeichnete Darstellung von Baumgarten in Gervinus Geschichte des XIX. Jahrhunderts, Bd. IV.
15Bülau, Europ. Verf. seit 1828, S. 221.
Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
vereint“ (Art. 15) und ebenso diesem die „Aufsicht über die Justiz“ (Art. 171) zugeschrieben. Indessen kann er durch wiederholte Abstimmung der Cortes zur Sanction der Gesetze genöthigt werden (Art. 149). Darin aber unterscheidet sich diese Verfassung sehr von der englischen Form, dasz sie eine aristokratische Pairskammer als Mittelmacht nicht kennt, son- dern dem Könige die Eine Versammlung der Cortes, als der gewählten Volksvertreter gegenüber stellt. 14
Die Willkür, mit welcher der befreite König diese Ver- fassung aufhob (4. Mai 1814) und die Häupter der Cortes verfolgte, und die alten und neuen Erfahrungen, welche die Nation über die absolute Regierungsweise der Bourbonischen Dynastie machte, hatten die Folge, dasz die Verfassung von 1812 trotz ihrer Mängel und ungeachtet man sich anfänglich wenig um dieselbe bekümmert hatte, nach ihrer Beseitigung populär ward, und wiederholte Versuche (1820, 1836) ge- macht wurden, dieselbe mit Gewalt einzuführen. Auch das Estatuto Real von 1834, welches Spanien nun doch eine Re- präsentativverfassung verlieh, befriedigte nicht mehr. Die Königin-Regentin wurde 1836 genöthigt, die Verfassung von 1812 anzuerkennen, und im Jahr 1837 kam unter dem Ein- flusz der Progressisten die neue constitutionelle Verfassung für Spanien, auf Grundlage der ersteren und mit theilweiser Benutzung des Estatuto Real von 1834 zur feierlichen Be- schwörung. In dieser modificirten Verfassung ist denn die Sanction der Gesetze durch den König wieder ohne Beschrän- kung anerkannt, und das Zweikammersystem (ein Senat und eine Deputirtenkammer) eingeführt worden. 15 Noch mehr näherte sich die unter dem Einflusze der Moderados revidirte
14 Die Verfassung ist in deutscher Uebersetzung abgedruckt bei Pölitz II, S. 263 ff., und bei Schubert, Verf. II, S. 44 ff. Vgl. be- sonders die ausgezeichnete Darstellung von Baumgarten in Gervinus Geschichte des XIX. Jahrhunderts, Bd. IV.
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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
vereint“ (Art. 15) und ebenso diesem die „Aufsicht über die
Justiz“ (Art. 171) zugeschrieben. Indessen kann er durch
wiederholte Abstimmung der Cortes zur Sanction der Gesetze
genöthigt werden (Art. 149). Darin aber unterscheidet sich
diese Verfassung sehr von der englischen Form, dasz sie eine
aristokratische Pairskammer als Mittelmacht nicht kennt, son-
dern dem Könige die Eine Versammlung der Cortes, als der
gewählten Volksvertreter gegenüber stellt. 14
Die Willkür, mit welcher der befreite König diese Ver-
fassung aufhob (4. Mai 1814) und die Häupter der Cortes
verfolgte, und die alten und neuen Erfahrungen, welche die
Nation über die absolute Regierungsweise der Bourbonischen
Dynastie machte, hatten die Folge, dasz die Verfassung von
1812 trotz ihrer Mängel und ungeachtet man sich anfänglich
wenig um dieselbe bekümmert hatte, nach ihrer Beseitigung
populär ward, und wiederholte Versuche (1820, 1836) ge-
macht wurden, dieselbe mit Gewalt einzuführen. Auch das
Estatuto Real von 1834, welches Spanien nun doch eine Re-
präsentativverfassung verlieh, befriedigte nicht mehr. Die
Königin-Regentin wurde 1836 genöthigt, die Verfassung von
1812 anzuerkennen, und im Jahr 1837 kam unter dem Ein-
flusz der Progressisten die neue constitutionelle Verfassung
für Spanien, auf Grundlage der ersteren und mit theilweiser
Benutzung des Estatuto Real von 1834 zur feierlichen Be-
schwörung. In dieser modificirten Verfassung ist denn die
Sanction der Gesetze durch den König wieder ohne Beschrän-
kung anerkannt, und das Zweikammersystem (ein Senat und
eine Deputirtenkammer) eingeführt worden. 15 Noch mehr
näherte sich die unter dem Einflusze der Moderados revidirte
14 Die Verfassung ist in deutscher Uebersetzung abgedruckt bei
Pölitz II, S. 263 ff., und bei Schubert, Verf. II, S. 44 ff. Vgl. be-
sonders die ausgezeichnete Darstellung von Baumgarten in Gervinus
Geschichte des XIX. Jahrhunderts, Bd. IV.
15 Bülau, Europ. Verf. seit 1828, S. 221.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/481>, abgerufen am 24.11.2024.
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