zelnen Sicilianern wird ein ausgedehntes Recht des Wider- standes gegen jeden vom Gesetz nicht autorisirten Zwang zuerkannt, die Censur als Regel -- mit Ausnahme theologischer Schriften -- aufgehoben, die Feudalrechte beseitigt u. s. f.
Man sieht, diese Verfassung war eine Nachbildung der englischen Formen, mit Beimischung der Theorien, welche in der französischen Verfassung von 1791 verkündet worden waren. Auch in ihr war das republikanische Element überwiegend, und der Widerspruch mit der monarchischen Tradition trat um so schroffer hervor, je weniger der absolu- tistisch gesinnte Hof des Bourbonischen Königs sich mit der Verfassung vertragen mochte und je mehr in den Volksparteien klerikale und jakobinische Tendenzen vertreten waren und mit der Leidenschaft des südlichen Blutes sich heftig be- kämpften. Der in Neapel restaurirte König fühlte sich nun stark genug, die beschworene Verfassung zu beseitigen (De- cember 1816) und die absolute Regierung herzustellen. Aber dieser erste Versuch, die englischen Statsformen mit den Theo- rien der französischen Revolution zu verbinden und daraus ein neues constitutionelles Statsrecht für Europa hervorzu- bringen, blieb auch für die spätern ähnlichen Versuche ein Vorbild.
2. Die sehr ausführliche Verfassung vom 19. März 1812, welche die Regentschaft und die spanischen Cortes während der Gefangenschaft des Königs und während ein groszer Theil von Spanien in der Gewalt der Franzosen war, der spanischen Nation gegeben hatten, und welche von den verbündeten Engländern anerkannt ward, geht groszen- theils von ähnlichen Theorien über den constitutionellen Stat und die Trennung der drei Gewalten aus. Die französische Verfassung von 1791 diente den Cortes als Muster. Indessen sind, obwohl das Princip der Volkssouveränetät (Art. 3) procla- mirt ist, die Rechte des Königs in weitem Umfange anerkannt. Die gesetzgebende Gewalt wird "den Cortes mit dem Könige
Sechtes Buch. Die Statsformen.
zelnen Sicilianern wird ein ausgedehntes Recht des Wider- standes gegen jeden vom Gesetz nicht autorisirten Zwang zuerkannt, die Censur als Regel — mit Ausnahme theologischer Schriften — aufgehoben, die Feudalrechte beseitigt u. s. f.
Man sieht, diese Verfassung war eine Nachbildung der englischen Formen, mit Beimischung der Theorien, welche in der französischen Verfassung von 1791 verkündet worden waren. Auch in ihr war das republikanische Element überwiegend, und der Widerspruch mit der monarchischen Tradition trat um so schroffer hervor, je weniger der absolu- tistisch gesinnte Hof des Bourbonischen Königs sich mit der Verfassung vertragen mochte und je mehr in den Volksparteien klerikale und jakobinische Tendenzen vertreten waren und mit der Leidenschaft des südlichen Blutes sich heftig be- kämpften. Der in Neapel restaurirte König fühlte sich nun stark genug, die beschworene Verfassung zu beseitigen (De- cember 1816) und die absolute Regierung herzustellen. Aber dieser erste Versuch, die englischen Statsformen mit den Theo- rien der französischen Revolution zu verbinden und daraus ein neues constitutionelles Statsrecht für Europa hervorzu- bringen, blieb auch für die spätern ähnlichen Versuche ein Vorbild.
2. Die sehr ausführliche Verfassung vom 19. März 1812, welche die Regentschaft und die spanischen Cortes während der Gefangenschaft des Königs und während ein groszer Theil von Spanien in der Gewalt der Franzosen war, der spanischen Nation gegeben hatten, und welche von den verbündeten Engländern anerkannt ward, geht groszen- theils von ähnlichen Theorien über den constitutionellen Stat und die Trennung der drei Gewalten aus. Die französische Verfassung von 1791 diente den Cortes als Muster. Indessen sind, obwohl das Princip der Volkssouveränetät (Art. 3) procla- mirt ist, die Rechte des Königs in weitem Umfange anerkannt. Die gesetzgebende Gewalt wird „den Cortes mit dem Könige
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Sechtes Buch. Die Statsformen.
zelnen Sicilianern wird ein ausgedehntes Recht des Wider-
standes gegen jeden vom Gesetz nicht autorisirten Zwang
zuerkannt, die Censur als Regel — mit Ausnahme theologischer
Schriften — aufgehoben, die Feudalrechte beseitigt u. s. f.
Man sieht, diese Verfassung war eine Nachbildung der
englischen Formen, mit Beimischung der Theorien, welche
in der französischen Verfassung von 1791 verkündet worden
waren. Auch in ihr war das republikanische Element
überwiegend, und der Widerspruch mit der monarchischen
Tradition trat um so schroffer hervor, je weniger der absolu-
tistisch gesinnte Hof des Bourbonischen Königs sich mit der
Verfassung vertragen mochte und je mehr in den Volksparteien
klerikale und jakobinische Tendenzen vertreten waren und
mit der Leidenschaft des südlichen Blutes sich heftig be-
kämpften. Der in Neapel restaurirte König fühlte sich nun
stark genug, die beschworene Verfassung zu beseitigen (De-
cember 1816) und die absolute Regierung herzustellen. Aber
dieser erste Versuch, die englischen Statsformen mit den Theo-
rien der französischen Revolution zu verbinden und daraus
ein neues constitutionelles Statsrecht für Europa hervorzu-
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Vorbild.
2. Die sehr ausführliche Verfassung vom 19. März 1812,
welche die Regentschaft und die spanischen Cortes
während der Gefangenschaft des Königs und während ein
groszer Theil von Spanien in der Gewalt der Franzosen
war, der spanischen Nation gegeben hatten, und welche von
den verbündeten Engländern anerkannt ward, geht groszen-
theils von ähnlichen Theorien über den constitutionellen Stat
und die Trennung der drei Gewalten aus. Die französische
Verfassung von 1791 diente den Cortes als Muster. Indessen
sind, obwohl das Princip der Volkssouveränetät (Art. 3) procla-
mirt ist, die Rechte des Königs in weitem Umfange anerkannt.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/480>, abgerufen am 24.11.2024.
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