II. Den zweiten welthistorischen Versuch, die constitu- tionelle Monarchie einzuführen, machte die französische Nation. Die Verfassung von 1791 sollte nach der Meinung ihrer Urheber als ein vollkommenes Meisterwerk aus dem mo- dernen Statsprincip unmittelbar geboren werden, mit logischer Nothwendigkeit. Aber die Statsprincipien selbst der National- versammlung waren vielmehr republikanisch-demokratisch, als monarchisch. Die Rousseau'sche Theorie von der Volkssou- veränetät und den zwei Gewalten, und das Vorbild der nord- amerikanischen Constitution, welche eine constitutionelle Demokratie mit drei unabhängigen, aber durch die Einheit des souveränen Volkes zusammen gehaltenen Gewalten ins Dasein gerufen hatte, übten auf die Geister der Franzosen einen stärkeren Einflusz aus als die englische Verfassung. Der Grundcharakter der neuen Verfassung von 1791 war de- mokratisch. Das Königthum in ihr war eine Inconsequenz des Systems, ein zurückgebliebener Rest der Vergangenheit, mit welcher die Revolution im übrigen von Grund aus ge- brochen hatte.
Dann richtete Napoleon die monarchische Gewalt wieder auf, indem er die Nation aus dem Schlamme errettete, in den sie versunken war. Er concentrirte die gesammte Statsgewalt wieder in seiner starken Hand. Aber um eine modern fran- zösische constitutionelle Monarchie zu gründen, dazu war in den ersten Zeiten nach der Revolution und inmitten des euro- päischen Krieges das Bedürfnisz der Nation nach einer Dic- tatur zu stark und er selbst von Natur ein zu gewaltiger Herrscher. Einzelne Anfänge dazu freilich liesz er zu. Er erkannte in dem französischen Volke die Quelle seiner Macht
die Eingriffe des Hauses der Gemeinen zu überwachen, aber sie dürfen sich heut zu Tage nicht auf diese als unübersteigliche Bollwerke ver- lassen. Die Regierung des Landes musz hauptsächlich mit dem guten Willen und durch die unmittelbare Thätigkeit des Hauses der Gemeinen geführt werden."
Sechstes Buch. Die Statsformen.
II. Den zweiten welthistorischen Versuch, die constitu- tionelle Monarchie einzuführen, machte die französische Nation. Die Verfassung von 1791 sollte nach der Meinung ihrer Urheber als ein vollkommenes Meisterwerk aus dem mo- dernen Statsprincip unmittelbar geboren werden, mit logischer Nothwendigkeit. Aber die Statsprincipien selbst der National- versammlung waren vielmehr republikanisch-demokratisch, als monarchisch. Die Rousseau'sche Theorie von der Volkssou- veränetät und den zwei Gewalten, und das Vorbild der nord- amerikanischen Constitution, welche eine constitutionelle Demokratie mit drei unabhängigen, aber durch die Einheit des souveränen Volkes zusammen gehaltenen Gewalten ins Dasein gerufen hatte, übten auf die Geister der Franzosen einen stärkeren Einflusz aus als die englische Verfassung. Der Grundcharakter der neuen Verfassung von 1791 war de- mokratisch. Das Königthum in ihr war eine Inconsequenz des Systems, ein zurückgebliebener Rest der Vergangenheit, mit welcher die Revolution im übrigen von Grund aus ge- brochen hatte.
Dann richtete Napoleon die monarchische Gewalt wieder auf, indem er die Nation aus dem Schlamme errettete, in den sie versunken war. Er concentrirte die gesammte Statsgewalt wieder in seiner starken Hand. Aber um eine modern fran- zösische constitutionelle Monarchie zu gründen, dazu war in den ersten Zeiten nach der Revolution und inmitten des euro- päischen Krieges das Bedürfnisz der Nation nach einer Dic- tatur zu stark und er selbst von Natur ein zu gewaltiger Herrscher. Einzelne Anfänge dazu freilich liesz er zu. Er erkannte in dem französischen Volke die Quelle seiner Macht
die Eingriffe des Hauses der Gemeinen zu überwachen, aber sie dürfen sich heut zu Tage nicht auf diese als unübersteigliche Bollwerke ver- lassen. Die Regierung des Landes musz hauptsächlich mit dem guten Willen und durch die unmittelbare Thätigkeit des Hauses der Gemeinen geführt werden.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0472"n="454"/><fwplace="top"type="header">Sechstes Buch. Die Statsformen.</fw><lb/><p>II. Den zweiten welthistorischen Versuch, die constitu-<lb/>
tionelle Monarchie einzuführen, machte die <hirendition="#g">französische</hi><lb/>
Nation. Die Verfassung von 1791 sollte nach der Meinung<lb/>
ihrer Urheber als ein vollkommenes Meisterwerk aus dem mo-<lb/>
dernen Statsprincip unmittelbar geboren werden, mit logischer<lb/>
Nothwendigkeit. Aber die Statsprincipien selbst der National-<lb/>
versammlung waren vielmehr republikanisch-demokratisch, als<lb/>
monarchisch. Die Rousseau'sche Theorie von der Volkssou-<lb/>
veränetät und den zwei Gewalten, und das Vorbild der nord-<lb/>
amerikanischen Constitution, welche eine <hirendition="#g">constitutionelle<lb/>
Demokratie</hi> mit drei unabhängigen, aber durch die Einheit<lb/>
des souveränen Volkes zusammen gehaltenen Gewalten ins<lb/>
Dasein gerufen hatte, übten auf die Geister der Franzosen<lb/>
einen stärkeren Einflusz aus als die englische Verfassung.<lb/>
Der Grundcharakter der neuen Verfassung von 1791 war de-<lb/>
mokratisch. Das Königthum in ihr war eine Inconsequenz<lb/>
des Systems, ein zurückgebliebener Rest der Vergangenheit,<lb/>
mit welcher die Revolution im übrigen von Grund aus ge-<lb/>
brochen hatte.</p><lb/><p>Dann richtete Napoleon die monarchische Gewalt wieder<lb/>
auf, indem er die Nation aus dem Schlamme errettete, in den<lb/>
sie versunken war. Er concentrirte die gesammte Statsgewalt<lb/>
wieder in seiner starken Hand. Aber um eine modern fran-<lb/>
zösische constitutionelle Monarchie zu gründen, dazu war in<lb/>
den ersten Zeiten nach der Revolution und inmitten des euro-<lb/>
päischen Krieges das Bedürfnisz der Nation nach einer Dic-<lb/>
tatur zu stark und er selbst von Natur ein zu gewaltiger<lb/>
Herrscher. Einzelne Anfänge dazu freilich liesz er zu. Er<lb/>
erkannte in dem französischen Volke die Quelle seiner Macht<lb/><notexml:id="note-0472"prev="#note-0471"place="foot"n="4">die Eingriffe des Hauses der Gemeinen zu überwachen, aber sie dürfen<lb/>
sich heut zu Tage nicht auf diese als unübersteigliche Bollwerke ver-<lb/>
lassen. Die Regierung des Landes musz <hirendition="#g">hauptsächlich</hi> mit dem guten<lb/>
Willen und durch die unmittelbare Thätigkeit des Hauses der Gemeinen<lb/>
geführt werden.“</note><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[454/0472]
Sechstes Buch. Die Statsformen.
II. Den zweiten welthistorischen Versuch, die constitu-
tionelle Monarchie einzuführen, machte die französische
Nation. Die Verfassung von 1791 sollte nach der Meinung
ihrer Urheber als ein vollkommenes Meisterwerk aus dem mo-
dernen Statsprincip unmittelbar geboren werden, mit logischer
Nothwendigkeit. Aber die Statsprincipien selbst der National-
versammlung waren vielmehr republikanisch-demokratisch, als
monarchisch. Die Rousseau'sche Theorie von der Volkssou-
veränetät und den zwei Gewalten, und das Vorbild der nord-
amerikanischen Constitution, welche eine constitutionelle
Demokratie mit drei unabhängigen, aber durch die Einheit
des souveränen Volkes zusammen gehaltenen Gewalten ins
Dasein gerufen hatte, übten auf die Geister der Franzosen
einen stärkeren Einflusz aus als die englische Verfassung.
Der Grundcharakter der neuen Verfassung von 1791 war de-
mokratisch. Das Königthum in ihr war eine Inconsequenz
des Systems, ein zurückgebliebener Rest der Vergangenheit,
mit welcher die Revolution im übrigen von Grund aus ge-
brochen hatte.
Dann richtete Napoleon die monarchische Gewalt wieder
auf, indem er die Nation aus dem Schlamme errettete, in den
sie versunken war. Er concentrirte die gesammte Statsgewalt
wieder in seiner starken Hand. Aber um eine modern fran-
zösische constitutionelle Monarchie zu gründen, dazu war in
den ersten Zeiten nach der Revolution und inmitten des euro-
päischen Krieges das Bedürfnisz der Nation nach einer Dic-
tatur zu stark und er selbst von Natur ein zu gewaltiger
Herrscher. Einzelne Anfänge dazu freilich liesz er zu. Er
erkannte in dem französischen Volke die Quelle seiner Macht
4
4 die Eingriffe des Hauses der Gemeinen zu überwachen, aber sie dürfen
sich heut zu Tage nicht auf diese als unübersteigliche Bollwerke ver-
lassen. Die Regierung des Landes musz hauptsächlich mit dem guten
Willen und durch die unmittelbare Thätigkeit des Hauses der Gemeinen
geführt werden.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/472>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.