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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung
etc.
Prinzen Albert von Koburg ist es vorzüglich zu verdanken,
dasz auch die Gesinnung der gegenwärtigen Königsfamilie
rückhaltslos verfassungsmäszig geworden ist und das König-
thum hat an Ansehen und Macht nicht eingebüszt, seitdem
es die Vorurtheile der dynastischen Tradition abgestreift hat
und zum wahren Volkskönigthum geworden ist.

Der englische König ist sich bewuszt, dasz er nicht seinen
Eigenwillen, sondern den Statswillen darstelle und voll-
ziehe. Daher haben die Minister und da die englischen Minister
vorzugsweise in dem Vertrauen des Parlaments -- hauptsäch-
lich des Unterhauses -- ihre Stärke finden, auch die Volks-
vertretung einen gröszeren Einflusz auf die Regierung als in
den continentalen Staten. Insofern kann man das englische
Königthum ein parlamentarisches und republikani-
sches
nennen. Aber die Ehrfurcht vor der Monarchie ist
doch kaum in einem andern Lande stärker als in England.
So mächtig die aristokratischen Elemente und das Parlament
in England sind, die englische Verfassungsform ist doch eine
Monarchie geblieben. 4

4 Schon Edm. Burke bemerkt
(Aus seinen Schriften, München
1850): "Auf dem festen Lande hat man gemeiniglich von der Stellung
eines Königs von Groszbritannien einen irrigen Begriff. Er ist ein wirk-
licher König, nicht ein vollziehender Beamter. Wenn er sich um Kleinig-
keiten nicht bekümmert, noch zur Aufmerksamkeit auf geringfügige
Zänkereien sich herabläszt, so ist es kaum zweifelhaft, ob er nicht eine
wirklichere, stärkere und ausgedehntere Macht besitze als der König von
Frankreich vor der Revolution besasz." Als Sir Robert Peel in neuerer
Zeit aus politischen Gründen von der Königin Victoria verlangte, dasz
sie einige Hofdamen entferne und andere an deren Stelle treten lasse,
drang die Zumuthung allerdings selbst in den Kreis des persönlichen und
Familienlebens der Königin ein, beweist aber gerade für die Wichtigkeit
auch der persönlichen Beziehungen und Gesellschaft der englischen
Monarchin für die englische Politik. Aber wahr ist es doch, dasz die
englische Statsverfassung, wenn man auf die entscheidende Macht sieht,
in neuerer Zeit zur Parlaments- und Ministerregierung
geworden
ist. Robert Peel selbst sprach im Parlament (Rede vom 11. Mai 1835)
die wichtigen Sätze aus: "Die Prärogative der Krone, die Autorität der
Lords, sind allerdings der Constitution nach mächtig genug, gelegentlich

Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung
etc.
Prinzen Albert von Koburg ist es vorzüglich zu verdanken,
dasz auch die Gesinnung der gegenwärtigen Königsfamilie
rückhaltslos verfassungsmäszig geworden ist und das König-
thum hat an Ansehen und Macht nicht eingebüszt, seitdem
es die Vorurtheile der dynastischen Tradition abgestreift hat
und zum wahren Volkskönigthum geworden ist.

Der englische König ist sich bewuszt, dasz er nicht seinen
Eigenwillen, sondern den Statswillen darstelle und voll-
ziehe. Daher haben die Minister und da die englischen Minister
vorzugsweise in dem Vertrauen des Parlaments — hauptsäch-
lich des Unterhauses — ihre Stärke finden, auch die Volks-
vertretung einen gröszeren Einflusz auf die Regierung als in
den continentalen Staten. Insofern kann man das englische
Königthum ein parlamentarisches und republikani-
sches
nennen. Aber die Ehrfurcht vor der Monarchie ist
doch kaum in einem andern Lande stärker als in England.
So mächtig die aristokratischen Elemente und das Parlament
in England sind, die englische Verfassungsform ist doch eine
Monarchie geblieben. 4

4 Schon Edm. Burke bemerkt
(Aus seinen Schriften, München
1850): „Auf dem festen Lande hat man gemeiniglich von der Stellung
eines Königs von Groszbritannien einen irrigen Begriff. Er ist ein wirk-
licher König, nicht ein vollziehender Beamter. Wenn er sich um Kleinig-
keiten nicht bekümmert, noch zur Aufmerksamkeit auf geringfügige
Zänkereien sich herabläszt, so ist es kaum zweifelhaft, ob er nicht eine
wirklichere, stärkere und ausgedehntere Macht besitze als der König von
Frankreich vor der Revolution besasz.“ Als Sir Robert Peel in neuerer
Zeit aus politischen Gründen von der Königin Victoria verlangte, dasz
sie einige Hofdamen entferne und andere an deren Stelle treten lasse,
drang die Zumuthung allerdings selbst in den Kreis des persönlichen und
Familienlebens der Königin ein, beweist aber gerade für die Wichtigkeit
auch der persönlichen Beziehungen und Gesellschaft der englischen
Monarchin für die englische Politik. Aber wahr ist es doch, dasz die
englische Statsverfassung, wenn man auf die entscheidende Macht sieht,
in neuerer Zeit zur Parlaments- und Ministerregierung
geworden
ist. Robert Peel selbst sprach im Parlament (Rede vom 11. Mai 1835)
die wichtigen Sätze aus: „Die Prärogative der Krone, die Autorität der
Lords, sind allerdings der Constitution nach mächtig genug, gelegentlich
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[453/0471] Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc. Prinzen Albert von Koburg ist es vorzüglich zu verdanken, dasz auch die Gesinnung der gegenwärtigen Königsfamilie rückhaltslos verfassungsmäszig geworden ist und das König- thum hat an Ansehen und Macht nicht eingebüszt, seitdem es die Vorurtheile der dynastischen Tradition abgestreift hat und zum wahren Volkskönigthum geworden ist. Der englische König ist sich bewuszt, dasz er nicht seinen Eigenwillen, sondern den Statswillen darstelle und voll- ziehe. Daher haben die Minister und da die englischen Minister vorzugsweise in dem Vertrauen des Parlaments — hauptsäch- lich des Unterhauses — ihre Stärke finden, auch die Volks- vertretung einen gröszeren Einflusz auf die Regierung als in den continentalen Staten. Insofern kann man das englische Königthum ein parlamentarisches und republikani- sches nennen. Aber die Ehrfurcht vor der Monarchie ist doch kaum in einem andern Lande stärker als in England. So mächtig die aristokratischen Elemente und das Parlament in England sind, die englische Verfassungsform ist doch eine Monarchie geblieben. 4 4 Schon Edm. Burke bemerkt (Aus seinen Schriften, München 1850): „Auf dem festen Lande hat man gemeiniglich von der Stellung eines Königs von Groszbritannien einen irrigen Begriff. Er ist ein wirk- licher König, nicht ein vollziehender Beamter. Wenn er sich um Kleinig- keiten nicht bekümmert, noch zur Aufmerksamkeit auf geringfügige Zänkereien sich herabläszt, so ist es kaum zweifelhaft, ob er nicht eine wirklichere, stärkere und ausgedehntere Macht besitze als der König von Frankreich vor der Revolution besasz.“ Als Sir Robert Peel in neuerer Zeit aus politischen Gründen von der Königin Victoria verlangte, dasz sie einige Hofdamen entferne und andere an deren Stelle treten lasse, drang die Zumuthung allerdings selbst in den Kreis des persönlichen und Familienlebens der Königin ein, beweist aber gerade für die Wichtigkeit auch der persönlichen Beziehungen und Gesellschaft der englischen Monarchin für die englische Politik. Aber wahr ist es doch, dasz die englische Statsverfassung, wenn man auf die entscheidende Macht sieht, in neuerer Zeit zur Parlaments- und Ministerregierung geworden ist. Robert Peel selbst sprach im Parlament (Rede vom 11. Mai 1835) die wichtigen Sätze aus: „Die Prärogative der Krone, die Autorität der Lords, sind allerdings der Constitution nach mächtig genug, gelegentlich

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/471>, abgerufen am 02.05.2024.