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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.

3. Das Streben der Lehensmonarchie, alle Unterthanen
in ein Vasallenverhältnisz hinein zu ziehen, hat auch eine
dingliche Beziehung auf den Boden. In diesem Sinne suchten
die ersten englischen Könige von normännischem Geschlechte
ein Obereigenthum des Königs über das ganze Land zur
Anerkennung zu bringen, in Folge dessen nicht blosz die
hergebrachten oder neu verliehenen Lehengüter, sondern auch
die freien Eigengüter in dem Rechtssystem als von dem Könige
abgeleitet erklärt wurden. Das Volksrecht des freien Eigen-
thums am Boden wurde so in das Lehensrecht des abhängi-
gen Grundbesitzes
(tenure) umgewandelt. 7 Das aber ist
ein allgemeiner Charakterzug der Feudalmonarchie, welcher
in der englischen Rechtsgeschichte besonders klar erscheint. 8

4. Ganz parallel dieser stufenweisen Ableitung des Grund-
besitzes von dem Obereigenthum des Königs geht in dem

in England Rechtsregel: "Quantum homo debet domino ex homagio,
tantum illi debet dominus ex domininio, praeter solam reverentiam."
Reeves hist. of Engl. law. I. p. 126. Assises de Jerusalem Haute Cour
322 (Kausler S. 372): "Lassise et la lei de Jerusalem juge et dit que
autant doit li rois de fei a son home lige, come lome lige doit a luy, et auis
est tenus li rois de guarentir et de sauver et de desfendre des homes
liges vers toutes gens qui tort lor vorreent faire com ses homes liges
sont tenus a luy de guarentir le et de sauver vers toutes gens. Et por ce
ne pent il mie mettre la main sur son home lige sans esgart de ces
pers."
7 Wilhelm I. führte erst den Treueid nach Art des Vasalleneides
ein. Vgl. oben B. II. Cap. 12. Dann erliesz er ein Gesetz, durch wel-
ches alle Grafen, Barone, Ritter, Edelknechte und alle Freien verpflichtet
wurden, stäts (wie Vasallen) zum Kriege gerüstet zu seyn, mit Waffen
und Pferden, und diese Verpflichtung wurde auf die "feoda et
tenementa
"
begründet, welche sie haben. So ward die Fiction des Lehenssystems ein-
geführt, dasz der König der ursprüngliche Herr und Eigenthümer alles
englischen Bodens sei, und niemand Güter habe, die nicht unmittelbar
oder mittelbar von ihm hergeleitet seien. Gegen die Folgen dieses Sy-
stems wurde denn freilich später ernste Einsprache erhoben. Vgl. Black-
stone
Comm. II. ch. 4. Reeves a. a. O. S. 6. ff.
8 In
Frankreich war das verwandte Princip: "Nulle terre sans
seigneurs
" bereits im 13ten Jahrhundert entschieden. Vgl.
Loysel II,
2, 1. Weder in Italien dagegen noch in Deutschland kam das
Lehenssystem zu so ausgedehnter Verbreitung.
Sechstes Buch. Die Statsformen.

3. Das Streben der Lehensmonarchie, alle Unterthanen
in ein Vasallenverhältnisz hinein zu ziehen, hat auch eine
dingliche Beziehung auf den Boden. In diesem Sinne suchten
die ersten englischen Könige von normännischem Geschlechte
ein Obereigenthum des Königs über das ganze Land zur
Anerkennung zu bringen, in Folge dessen nicht blosz die
hergebrachten oder neu verliehenen Lehengüter, sondern auch
die freien Eigengüter in dem Rechtssystem als von dem Könige
abgeleitet erklärt wurden. Das Volksrecht des freien Eigen-
thums am Boden wurde so in das Lehensrecht des abhängi-
gen Grundbesitzes
(tenure) umgewandelt. 7 Das aber ist
ein allgemeiner Charakterzug der Feudalmonarchie, welcher
in der englischen Rechtsgeschichte besonders klar erscheint. 8

4. Ganz parallel dieser stufenweisen Ableitung des Grund-
besitzes von dem Obereigenthum des Königs geht in dem

in England Rechtsregel: „Quantum homo debet domino ex homagio,
tantum illi debet dominus ex domininio, praeter solam reverentiam.“
Reeves hist. of Engl. law. I. p. 126. Assises de Jerusalem Haute Cour
322 (Kausler S. 372): „Lassise et la lei de Jerusalem juge et dit que
autant doit li rois de fei a son home lige, come lome lige doit a luy, et auis
est tenus li rois de guarentir et de sauver et de desfendre des homes
liges vers toutes gens qui tort lor vorreent faire com ses homes liges
sont tenus a luy de guarentir le et de sauver vers toutes gens. Et por ce
ne pent il mie mettre la main sur son home lige sans esgart de ces
pers.“
7 Wilhelm I. führte erst den Treueid nach Art des Vasalleneides
ein. Vgl. oben B. II. Cap. 12. Dann erliesz er ein Gesetz, durch wel-
ches alle Grafen, Barone, Ritter, Edelknechte und alle Freien verpflichtet
wurden, stäts (wie Vasallen) zum Kriege gerüstet zu seyn, mit Waffen
und Pferden, und diese Verpflichtung wurde auf die „feoda et
tenementa

begründet, welche sie haben. So ward die Fiction des Lehenssystems ein-
geführt, dasz der König der ursprüngliche Herr und Eigenthümer alles
englischen Bodens sei, und niemand Güter habe, die nicht unmittelbar
oder mittelbar von ihm hergeleitet seien. Gegen die Folgen dieses Sy-
stems wurde denn freilich später ernste Einsprache erhoben. Vgl. Black-
stone
Comm. II. ch. 4. Reeves a. a. O. S. 6. ff.
8 In
Frankreich war das verwandte Princip: „Nulle terre sans
seigneurs
“ bereits im 13ten Jahrhundert entschieden. Vgl.
Loysel II,
2, 1. Weder in Italien dagegen noch in Deutschland kam das
Lehenssystem zu so ausgedehnter Verbreitung.
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[432/0450] Sechstes Buch. Die Statsformen. 3. Das Streben der Lehensmonarchie, alle Unterthanen in ein Vasallenverhältnisz hinein zu ziehen, hat auch eine dingliche Beziehung auf den Boden. In diesem Sinne suchten die ersten englischen Könige von normännischem Geschlechte ein Obereigenthum des Königs über das ganze Land zur Anerkennung zu bringen, in Folge dessen nicht blosz die hergebrachten oder neu verliehenen Lehengüter, sondern auch die freien Eigengüter in dem Rechtssystem als von dem Könige abgeleitet erklärt wurden. Das Volksrecht des freien Eigen- thums am Boden wurde so in das Lehensrecht des abhängi- gen Grundbesitzes (tenure) umgewandelt. 7 Das aber ist ein allgemeiner Charakterzug der Feudalmonarchie, welcher in der englischen Rechtsgeschichte besonders klar erscheint. 8 4. Ganz parallel dieser stufenweisen Ableitung des Grund- besitzes von dem Obereigenthum des Königs geht in dem 6) 7 Wilhelm I. führte erst den Treueid nach Art des Vasalleneides ein. Vgl. oben B. II. Cap. 12. Dann erliesz er ein Gesetz, durch wel- ches alle Grafen, Barone, Ritter, Edelknechte und alle Freien verpflichtet wurden, stäts (wie Vasallen) zum Kriege gerüstet zu seyn, mit Waffen und Pferden, und diese Verpflichtung wurde auf die „feoda et tenementa“ begründet, welche sie haben. So ward die Fiction des Lehenssystems ein- geführt, dasz der König der ursprüngliche Herr und Eigenthümer alles englischen Bodens sei, und niemand Güter habe, die nicht unmittelbar oder mittelbar von ihm hergeleitet seien. Gegen die Folgen dieses Sy- stems wurde denn freilich später ernste Einsprache erhoben. Vgl. Black- stone Comm. II. ch. 4. Reeves a. a. O. S. 6. ff. 8 In Frankreich war das verwandte Princip: „Nulle terre sans seigneurs“ bereits im 13ten Jahrhundert entschieden. Vgl. Loysel II, 2, 1. Weder in Italien dagegen noch in Deutschland kam das Lehenssystem zu so ausgedehnter Verbreitung. 6) in England Rechtsregel: „Quantum homo debet domino ex homagio, tantum illi debet dominus ex domininio, praeter solam reverentiam.“ Reeves hist. of Engl. law. I. p. 126. Assises de Jerusalem Haute Cour 322 (Kausler S. 372): „Lassise et la lei de Jerusalem juge et dit que autant doit li rois de fei a son home lige, come lome lige doit a luy, et auis est tenus li rois de guarentir et de sauver et de desfendre des homes liges vers toutes gens qui tort lor vorreent faire com ses homes liges sont tenus a luy de guarentir le et de sauver vers toutes gens. Et por ce ne pent il mie mettre la main sur son home lige sans esgart de ces pers.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/450>, abgerufen am 23.11.2024.