Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
in eine blosz äuszerliche Beziehung zu dem nämlichen Für- sten als Statsoberhaupt zu bringen.
Auszer ihr kommt aber auch eine dauernde Personal- union vor, indem die Kronen zweier Staten derselben Dynastie und nach dem nämlichen Successionsgesetze zugehören. Bei- spiele dieser Art sind die pragmatische Sanction von 1713 für die unter dem österreichischen Scepter vereinigten Staten, welcher 1722 auch der ungarische Reichstag für das König- reich Ungarn beitrat, die Erwerbung des Fürstenthums Neu- chatel von Seite der Krone Preuszens von 1707, die Verbin- dung von Norwegen und Schweden seit 1814, die Ueberein- kunft zwischen dem Königreich Ungarn und dem kaiserlichen Oesterreich von 1867.
Eine solche dauerhafte Vereinigung kann zwar einen neuen Gesammtstat begründen; aber die Einheit ist doch eine sehr unvollständige und fast nur unter der Voraussetzung von ent- scheidender practischer Geltung, wenn eine absolute Macht in der Person des Herrschers wirklich concentrirt ist. Unter jeder anderen Voraussetzung wird der unversöhnte innere Widerspruch zweier verschiedener Staten mit abweichenden Interessen und Stimmungen und eines gemeinsamen Fürsten sich fühlbar machen und es kann in Folge desselben sogar die unsinnige Forderung an den Fürsten gerichtet werden, dasz er in seiner Eigenschaft als Oberhaupt eines States Feindschaft über wider den andern Stat, an dessen Spitze er nicht minder steht. Mit der Repräsentativverfassung ist da- her diese Form der Personalunion nicht wohl zu vereinigen.
5. Eine höhere Einigung liegt in der sogenannten Real- union, welche mit der Föderation ebenso verwandt ist, wie die Personalunion mit der Conföderation. In ihr ist nicht blosz die Person des Herrschers geeinigt, sondern die oberste Stats- leitung selbst in Gesetzgebung und Regierung. 2
2 Anders versteht Pözl den Unterschied der Personal- und der Realunion (Deutsches Staatswörterbuch, Art. Union); jene ist ihm die
Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
in eine blosz äuszerliche Beziehung zu dem nämlichen Für- sten als Statsoberhaupt zu bringen.
Auszer ihr kommt aber auch eine dauernde Personal- union vor, indem die Kronen zweier Staten derselben Dynastie und nach dem nämlichen Successionsgesetze zugehören. Bei- spiele dieser Art sind die pragmatische Sanction von 1713 für die unter dem österreichischen Scepter vereinigten Staten, welcher 1722 auch der ungarische Reichstag für das König- reich Ungarn beitrat, die Erwerbung des Fürstenthums Neu- chatel von Seite der Krone Preuszens von 1707, die Verbin- dung von Norwegen und Schweden seit 1814, die Ueberein- kunft zwischen dem Königreich Ungarn und dem kaiserlichen Oesterreich von 1867.
Eine solche dauerhafte Vereinigung kann zwar einen neuen Gesammtstat begründen; aber die Einheit ist doch eine sehr unvollständige und fast nur unter der Voraussetzung von ent- scheidender practischer Geltung, wenn eine absolute Macht in der Person des Herrschers wirklich concentrirt ist. Unter jeder anderen Voraussetzung wird der unversöhnte innere Widerspruch zweier verschiedener Staten mit abweichenden Interessen und Stimmungen und eines gemeinsamen Fürsten sich fühlbar machen und es kann in Folge desselben sogar die unsinnige Forderung an den Fürsten gerichtet werden, dasz er in seiner Eigenschaft als Oberhaupt eines States Feindschaft über wider den andern Stat, an dessen Spitze er nicht minder steht. Mit der Repräsentativverfassung ist da- her diese Form der Personalunion nicht wohl zu vereinigen.
5. Eine höhere Einigung liegt in der sogenannten Real- union, welche mit der Föderation ebenso verwandt ist, wie die Personalunion mit der Conföderation. In ihr ist nicht blosz die Person des Herrschers geeinigt, sondern die oberste Stats- leitung selbst in Gesetzgebung und Regierung. 2
2 Anders versteht Pözl den Unterschied der Personal- und der Realunion (Deutsches Staatswörterbuch, Art. Union); jene ist ihm die
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Viertes Buch. Von der Entstehung und dem Untergang des States.
in eine blosz äuszerliche Beziehung zu dem nämlichen Für-
sten als Statsoberhaupt zu bringen.
Auszer ihr kommt aber auch eine dauernde Personal-
union vor, indem die Kronen zweier Staten derselben Dynastie
und nach dem nämlichen Successionsgesetze zugehören. Bei-
spiele dieser Art sind die pragmatische Sanction von 1713
für die unter dem österreichischen Scepter vereinigten Staten,
welcher 1722 auch der ungarische Reichstag für das König-
reich Ungarn beitrat, die Erwerbung des Fürstenthums Neu-
chatel von Seite der Krone Preuszens von 1707, die Verbin-
dung von Norwegen und Schweden seit 1814, die Ueberein-
kunft zwischen dem Königreich Ungarn und dem kaiserlichen
Oesterreich von 1867.
Eine solche dauerhafte Vereinigung kann zwar einen neuen
Gesammtstat begründen; aber die Einheit ist doch eine sehr
unvollständige und fast nur unter der Voraussetzung von ent-
scheidender practischer Geltung, wenn eine absolute Macht in
der Person des Herrschers wirklich concentrirt ist. Unter
jeder anderen Voraussetzung wird der unversöhnte innere
Widerspruch zweier verschiedener Staten mit abweichenden
Interessen und Stimmungen und eines gemeinsamen Fürsten
sich fühlbar machen und es kann in Folge desselben sogar
die unsinnige Forderung an den Fürsten gerichtet werden,
dasz er in seiner Eigenschaft als Oberhaupt eines States
Feindschaft über wider den andern Stat, an dessen Spitze er
nicht minder steht. Mit der Repräsentativverfassung ist da-
her diese Form der Personalunion nicht wohl zu vereinigen.
5. Eine höhere Einigung liegt in der sogenannten Real-
union, welche mit der Föderation ebenso verwandt ist, wie
die Personalunion mit der Conföderation. In ihr ist nicht blosz
die Person des Herrschers geeinigt, sondern die oberste Stats-
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2 Anders versteht Pözl den Unterschied der Personal- und der
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/330>, abgerufen am 22.11.2024.
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