Weiter, meine liebe Chloe! Sie kennen sich selbst nicht. Noch ist es ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass sie, vor so vielen andern Bekanntschaften, Diese zu machen, schuldig gewesen wären. Doch ich thue ihnen zu viel! Sie sind ja von dem Werthe ihrer kleinen Person so vollkom- men unterrichtet; sie wissen es ja so genau woran es ihnen fehlt, um die Rolle durch- zuspielen, die sie sich zu spielen vorgenom- men haben. Wer will ihnen Das streiten? Wer seine Musche so geschickt aufzutragen weiss, der muss doch den verdrüsslichen Fle- cken wohl gesehen haben, den er damit zu verbergen gedenkt. Wo sind aber die Mu- schen für die grossen Höcker der Seele, die aller sittlichen Harmonie so ganz entgegen sind? Sie mögen sich noch so vortheilhaft einhüllen; sie mögen die schlaueste Kunst zu Hülfe rufen; sie mögen die beste Seite
Weiter, meine liebe Chloe! Sie kennen ſich ſelbſt nicht. Noch iſt es ihnen nicht in den Sinn gekommen, daſs ſie, vor ſo vielen andern Bekanntſchaften, Dieſe zu machen, ſchuldig geweſen wären. Doch ich thue ihnen zu viel! Sie ſind ja von dem Werthe ihrer kleinen Perſon ſo vollkom- men unterrichtet; ſie wiſsen es ja ſo genau woran es ihnen fehlt, um die Rolle durch- zuſpielen, die ſie ſich zu ſpielen vorgenom- men haben. Wer will ihnen Das ſtreiten? Wer ſeine Muſche ſo geſchickt aufzutragen weiſs, der muſs doch den verdrüſslichen Fle- cken wohl geſehen haben, den er damit zu verbergen gedenkt. Wo ſind aber die Mu- ſchen für die groſsen Höcker der Seele, die aller ſittlichen Harmonie ſo ganz entgegen ſind? Sie mögen ſich noch ſo vortheilhaft einhüllen; ſie mögen die ſchlaueſte Kunſt zu Hülfe rufen; ſie mögen die beſte Seite
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Weiter, meine liebe Chloe! Sie kennen
ſich ſelbſt nicht. Noch iſt es ihnen nicht
in den Sinn gekommen, daſs ſie, vor ſo
vielen andern Bekanntſchaften, Dieſe zu
machen, ſchuldig geweſen wären. Doch ich
thue ihnen zu viel! Sie ſind ja von dem
Werthe ihrer kleinen Perſon ſo vollkom-
men unterrichtet; ſie wiſsen es ja ſo genau
woran es ihnen fehlt, um die Rolle durch-
zuſpielen, die ſie ſich zu ſpielen vorgenom-
men haben. Wer will ihnen Das ſtreiten?
Wer ſeine Muſche ſo geſchickt aufzutragen
weiſs, der muſs doch den verdrüſslichen Fle-
cken wohl geſehen haben, den er damit zu
verbergen gedenkt. Wo ſind aber die Mu-
ſchen für die groſsen Höcker der Seele, die
aller ſittlichen Harmonie ſo ganz entgegen
ſind? Sie mögen ſich noch ſo vortheilhaft
einhüllen; ſie mögen die ſchlaueſte Kunſt
zu Hülfe rufen; ſie mögen die beſte Seite
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Blum, Joachim Christian: Spatziergänge. Bd. 1. Berlin, 1774, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blum_spatziergaenge01_1774/186>, abgerufen am 09.05.2024.
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