Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch
günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der
entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es
in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immer¬
hin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären
Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen,
welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach
einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die
Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation
beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen
Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt ge¬
geben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revi¬
diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten,
noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Ver¬
fassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen
Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen
Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf
von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung
unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine
Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die
Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach par¬
lamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag
im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer
nach Prag abgeordneten Mitglieder.

Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der
deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dargeboten,
als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen Aufstandes
und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frankfurter Fürsten¬
congreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigenhändiger Cor¬
respondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geschriebenen
Bogen in der feinen Hand des Kaisers, weit ausgesponnen und
mit mehr Declamation, als in seiner Feder lag, konnte der Brief
an Hamlets Wort:

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch
günſtiger geweſen ſein, wenn die Wahl einige Tage nach der
entſcheidenden Schlacht ſtattgefunden hätte; aber auch ſo war es
in Verbindung mit der ſchwunghaften Stimmung im Lande immer¬
hin geeignet, nicht blos conſervativen, ſondern auch reactionären
Beſtrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen,
welche nach der Rückbildung zum Abſolutismus oder doch nach
einer Reſtauration im ſtändiſchen Sinne ſtrebten, war durch die
Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentariſche Situation
beim Ausbruch des Krieges und den ungeſchickten und ehrgeizigen
Eigenſinn der Führer der Oppoſition ein Anknüpfungspunkt ge¬
geben, um die preußiſche Verfaſſung zu ſuſpendiren und zu revi¬
diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeſchnitten,
noch weniger aber auf die Einſchichtung in die zukünftige Ver¬
faſſung Deutſchlands. Die Verfaſſungsurkunde ſelbſt enthielt einen
Artikel (118), welcher, entſtanden unter dem Eindruck der nationalen
Stimmung zur Zeit der Verfaſſungsbildung und aus dem Entwurf
von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußiſchen Verfaſſung
unter eine neu zu ſchaffende deutſche berechtigte. Es war alſo eine
Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anſtrich der Legalität die
Verfaſſung und die Beſtrebungen der Conflictsmajorität nach par¬
lamentariſcher Herrſchaft aus den Angeln zu heben, und dies lag
im Hintergrunde des Bemühns der äußerſten Rechten und ihrer
nach Prag abgeordneten Mitglieder.

Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der
deutſchen Frage zu erledigen, hatte ſich dem Könige dargeboten,
als der Kaiſer Alexander 1863 zur Zeit des polniſchen Aufſtandes
und des Ueberrumpelungsverſuchs für den Frankfurter Fürſten¬
congreß ein preußiſch-ruſſiſches Bündniß in eigenhändiger Cor¬
reſpondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geſchriebenen
Bogen in der feinen Hand des Kaiſers, weit ausgeſponnen und
mit mehr Declamation, als in ſeiner Feder lag, konnte der Brief
an Hamlets Wort:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="62"/><fw place="top" type="header">Einundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Der Norddeut&#x017F;che Bund.<lb/></fw>hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch<lb/>
gün&#x017F;tiger gewe&#x017F;en &#x017F;ein, wenn die Wahl einige Tage nach der<lb/>
ent&#x017F;cheidenden Schlacht &#x017F;tattgefunden hätte; aber auch &#x017F;o war es<lb/>
in Verbindung mit der &#x017F;chwunghaften Stimmung im Lande immer¬<lb/>
hin geeignet, nicht blos con&#x017F;ervativen, &#x017F;ondern auch reactionären<lb/>
Be&#x017F;trebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen,<lb/>
welche nach der Rückbildung zum Ab&#x017F;olutismus oder doch nach<lb/>
einer Re&#x017F;tauration im &#x017F;tändi&#x017F;chen Sinne &#x017F;trebten, war durch die<lb/>
Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentari&#x017F;che Situation<lb/>
beim Ausbruch des Krieges und den unge&#x017F;chickten und ehrgeizigen<lb/>
Eigen&#x017F;inn der Führer der Oppo&#x017F;ition ein Anknüpfungspunkt ge¬<lb/>
geben, um die preußi&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu &#x017F;u&#x017F;pendiren und zu revi¬<lb/>
diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zuge&#x017F;chnitten,<lb/>
noch weniger aber auf die Ein&#x017F;chichtung in die zukünftige Ver¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung Deut&#x017F;chlands. Die Verfa&#x017F;&#x017F;ungsurkunde &#x017F;elb&#x017F;t enthielt einen<lb/>
Artikel (118), welcher, ent&#x017F;tanden unter dem Eindruck der nationalen<lb/>
Stimmung zur Zeit der Verfa&#x017F;&#x017F;ungsbildung und aus dem Entwurf<lb/>
von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
unter eine neu zu &#x017F;chaffende deut&#x017F;che berechtigte. Es war al&#x017F;o eine<lb/>
Gelegenheit gegeben, mit dem formalen An&#x017F;trich der Legalität die<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung und die Be&#x017F;trebungen der Conflictsmajorität nach par¬<lb/>
lamentari&#x017F;cher Herr&#x017F;chaft aus den Angeln zu heben, und dies lag<lb/>
im Hintergrunde des Bemühns der äußer&#x017F;ten Rechten und ihrer<lb/>
nach Prag abgeordneten Mitglieder.</p><lb/>
          <p>Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der<lb/>
deut&#x017F;chen Frage zu erledigen, hatte &#x017F;ich dem Könige dargeboten,<lb/>
als der Kai&#x017F;er Alexander 1863 zur Zeit des polni&#x017F;chen Auf&#x017F;tandes<lb/>
und des Ueberrumpelungsver&#x017F;uchs für den Frankfurter Für&#x017F;ten¬<lb/>
congreß ein preußi&#x017F;ch-ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;ches Bündniß in eigenhändiger Cor¬<lb/>
re&#x017F;pondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng ge&#x017F;chriebenen<lb/>
Bogen in der feinen Hand des Kai&#x017F;ers, weit ausge&#x017F;ponnen und<lb/>
mit mehr Declamation, als in <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> Feder lag, konnte der Brief<lb/>
an Hamlets Wort:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0086] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch günſtiger geweſen ſein, wenn die Wahl einige Tage nach der entſcheidenden Schlacht ſtattgefunden hätte; aber auch ſo war es in Verbindung mit der ſchwunghaften Stimmung im Lande immer¬ hin geeignet, nicht blos conſervativen, ſondern auch reactionären Beſtrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Abſolutismus oder doch nach einer Reſtauration im ſtändiſchen Sinne ſtrebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentariſche Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeſchickten und ehrgeizigen Eigenſinn der Führer der Oppoſition ein Anknüpfungspunkt ge¬ geben, um die preußiſche Verfaſſung zu ſuſpendiren und zu revi¬ diren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeſchnitten, noch weniger aber auf die Einſchichtung in die zukünftige Ver¬ faſſung Deutſchlands. Die Verfaſſungsurkunde ſelbſt enthielt einen Artikel (118), welcher, entſtanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfaſſungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußiſchen Verfaſſung unter eine neu zu ſchaffende deutſche berechtigte. Es war alſo eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anſtrich der Legalität die Verfaſſung und die Beſtrebungen der Conflictsmajorität nach par¬ lamentariſcher Herrſchaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußerſten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der deutſchen Frage zu erledigen, hatte ſich dem Könige dargeboten, als der Kaiſer Alexander 1863 zur Zeit des polniſchen Aufſtandes und des Ueberrumpelungsverſuchs für den Frankfurter Fürſten¬ congreß ein preußiſch-ruſſiſches Bündniß in eigenhändiger Cor¬ reſpondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehren eng geſchriebenen Bogen in der feinen Hand des Kaiſers, weit ausgeſponnen und mit mehr Declamation, als in ſeiner Feder lag, konnte der Brief an Hamlets Wort:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/86
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/86>, abgerufen am 08.05.2024.